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„Sie“ war gesternNicht nur an der Kölner Heliosschule duzen die Schüler ihre Lehrer

Lesezeit 4 Minuten
Die Helios-Schüler Paul Hölker und Jakob Bartsch mit ihrem Lehrer Jakob Bartsch

In der Heliosschule wird geduzt: die Schüler Paul Hölker (l.) und Jakob Bartsch mit ihrem Lehrer Victor Tigges-Perez

An drei Kölner Gesamtschulen wird konsequent geduzt. Die pädagogische Idee dahinter: Es verbessert die Beziehung und macht damit das Lernen einfacher.

Wenn Schulleiter Andreas Niessen durch die Heliosschule geht, dann schallt von irgendwoher im Minutentakt ein freundliches „Hallo Andreas, wie geht's?“. Immer wieder wird Niessen auf den Fluren angesprochen, hält an für ein kurzes Gespräch mit Schüler. Der Ton ist anders: An der Ehrenfelder Gesamtschule wird nämlich geduzt – und zwar durchgehend. Die Schülerinnen und Schüler duzen alle ihre Lehrerinnen und Lehrer und eben konsequenterweise auch den Direktor.

Dabei ist die Heliosschule nicht die einzige weiterführende Schule in Köln, an der diese ganz andere Kultur gepflegt wird. Auch an der Gesamtschule in Holweide, die „Das Du ist wichtig“ sogar im Schul-Logo trägt, wird bereits seit der Gründung der Schule geduzt, ebenso wie an der Gesamtschule Wasseramselweg in Vogelsang. Aber als Universitätsschule Köln möchte die Heliosschule quasi auch Modell sein für andere: „Wir verstehen uns als Beziehungs- und Teamschule. Deshalb war das mit dem Du bei unserer Gründung vor sieben Jahren eigentlich keine Frage“, sagt Niessen. Weil eben Beziehung der Schlüssel zum erfolgreichen Lernen sei. In Ländern wie Schweden, Norwegen, Finnland, den Niederlanden und Spanien ist das mit dem Duzen landesweit die Regel. In Deutschland sind diese drei Kölner Schulen damit allerdings Exoten.

Das Du macht eine andere Beziehung zu den Lehrern möglich. Es gibt mehr Augenhöhe
Schüler Paul Hölker (16)

Wenn Jakob Bartsch (16) und Paul Hölker (16) Freunden aus anderen Schulen erzählen, dass sie ihre Lehrerinnen und Lehrer duzen, kommt immer dieselbe Reaktion: „Die meisten finden das erstmal krass bis komisch und fragen einen als Erstes, ob man auf eine Waldorfschule geht“, erzählt Paul. Er ist im fünften Schuljahr auf ein Kölner Gymnasium gegangen und erst zur sechsten Klasse auf die Heliosschule gewechselt. Er kennt also den Unterschied und erzählt dann gerne davon, wie dieser sich anfühlt: „Ich habe das Gefühl, dass das Du eine andere Beziehung zu den Lehrern möglich macht. Es sorft für mehr Augenhöhe“, erklärt Paul. „Für uns hier sind die Lehrer nicht einfach die Vermittler von Stoff, sondern auch echte Bezugspersonen.“

Und das hat konkrete Auswirkungen. „Es gibt einfach mehr Vertrauen und man spricht viel eher auch über persönliche Probleme, die einen am Lernen hindern. Man ist nicht nur eine Zahl, man lernt sich einfach besser kennen“, ergänzt Jakob. Er hat das selbst schon erlebt, wie er offen erzählt. Als sein Vater gesundheitliche Probleme hatte, sei er selbst in eine depressive Phase gerutscht. „Es ging mir nicht gut.“ Das sehr vertrauensvolle Verhältnis habe dazu geführt, dass es auffiel, er auch direkt angesprochen wurde und sich eben auch anvertrauen konnte und dann Hilfe vermittelt bekam. Gerade angesichts von zunehmend mehr Jugendlichen mit mentalen Problemen von Essstörungen bis Depressionen sei das mit dem Du eine Hilfe, weil man über viel mehr spreche. „Und auch Mathe macht einfach mehr Spaß und ist manchmal auch leichter, wenn man seinen Lehrer gut kennt und mag“, ergänzt Paul.

Schulleiter Niessen ist nach sechs Jahren Praxistest überzeugt von dem Konzept. Weil das Duzen eine andere Beziehungsqualität bedeute und für ein besonderes Schulklima sorge. „Augenhöhe“ nennt auch er das und die präge die Atmosphäre in der Schule. Wobei es ja trotzdem die Lehrerin und der Lehrer sind, die die Noten geben – also weiter ein in diesem Sinne hierarchisches Gefälle besteht. Es gehe daher beim Du mit der Schülerschaft vielleicht eher um einen inklusiven Grundgedanken. „Der Gedanke, dass alle gleich viel wert sind und dass dieses Bewusstsein auch die Haltung bestimmt.“

Positive Rückmeldungen von Praktikumsbetrieben

Und wie ist das mit dem Respekt? Leidet der nicht, wenn es dieses mit mehr Autorität verbundene „Sie“ nicht gibt? „Das erlebe ich auf jeden Fall nicht so“, berichtet Spanisch- und Geschichtslehrer Victor Tigges-Perez. Bevor er an die Heliosschule kam, hat er an einem Gymnasium und einer anderen Gesamtschule unterrichtet, an der gesiezt wurde. „Man kommt hier in der Heliosschule näher an die Schülerschaft ran. Aber ich habe nie weniger Respekt wahrgenommen. Eher mehr.“

Schulleiter Niessen bekommt nach eigenen Angaben immer sehr positive Rückmeldungen, wenn seine Schülerinnen und Schüler ins Praktikum gehen. Respektvoll seien sie und von Problemen, in anderen Kontexten dann ins Sie zu wechseln, habe er noch nie berichtet bekommen. „Man legt da je nach Ort, wo man ist, intuitiv den Schalter wieder um“, sagt Jakob. Aber eines hat Niessen festgestellt und auch aus Betrieben rückgemeldet bekommen: Das Du sei augenscheinlich ein Beitrag, mutiger und selbstbewusster aufzutreten und auch außerhalb der Schule die Augenhöhe zu suchen. „Es befreit von Scheu und zu viel Amtsrespekt.“

Besondere Feedback-Kultur an der Schule

Dazu passt, dass die Schüler Paul und Jakob auch die Fehler- und Reflektionskultur an ihrer Schule schätzen. Man hinterfrage eben mehr und es gebe mehr Feedback – in beide Richtungen. „Hier gibt es Lehrerinnen und Lehrer, die auch Fehler eingestehen.“ Und denen dabei dann kein Zacken aus der Krone breche. Für sie hat das auch mit dem Duzen zu tun.