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125 Jahre Geschichte Zollstocks„Es war wirklich grün hier“

Lesezeit 4 Minuten

Die frühe Farbaufnahme zeigt den Zustand des Zollstockgürtels nach dem Zweiten Weltkrieg.

ZollstockHerr Wülfrath, 1888, vor 125 Jahren, wurde Zollstock eingemeindet. Wie sah der Ort davor aus?

Walter Wülfrath: Den Ort gab es damals noch nicht. Der Vorort bestand lange aus Kappesfeldern und Ziegeleien. Vor 10000 Jahren floss nämlich ein Seitenarm des Rheins mitten hier durch Zollstock. Er hinterließ reichlich Kies, Sand und Lehm. Und das hat man im 19. Jahrhundert ausgebeutet und damit Ziegel gebrannt. Die südliche Neustadt, die ab 1880 nach dem Abriss der Stadtmauer errichtet wurde, besteht wohl zu großen Teilen aus Ziegeln aus Zollstock.

Die Arbeiter in den Ziegelfabriken wohnten nicht in Zollstock?

Wülfrath: Ab 1850 haben hier zahlreiche Belgier gearbeitet und gewohnt, Spezialisten für Tonherstellung, genannt „Liégegois“, weil sie aus der Gegend um Lüttich (französisch Liége, Anm. d. Red.) kamen. Das waren die ersten Zollstocker, die im Taufverzeichnis der Immendorfer St. Servatiuskirche stehen. Zollstock gehörte zur katholischen Pfarre Immendorf.

Was hat sich mit der Eingemeindung verändert?

Wülfrath: Nach der Eingemeindung haben sich mehr Firmen hier niedergelassen. Eine sehr bekannte Tapetenfabrik etwa, die unter anderem den Gürzenich und den Kaiser beliefert hat. Das waren sehr vornehme Tapeten. 1868 hat der Metallwarenfabrikant Pohlig seine Fabrik neben der Tapetenfabrik errichtet, wo heute das Südstadion ist. Die Seilbahnen in Köln und Rio de Janeiro stammen aus dieser Fabrik.

Wie sind die Leute denn früher zur Arbeit gekommen?

Wülfrath: Zu Fuß. Zunächst wohnten viele noch in der Südstadt. Ab 1900 fuhr die Straßenbahn über die heutige Ringstraße. Ab 1902 hat man Querbahnen eingerichtet. 1904 haben die Zollstocker Industriellen dann die Verlängerung der Straßenbahn nach Zollstock mitfinanziert. Sie endete am Südfriedhof.

Der existierte damals schon?

Wülfrath: Der Südfriedhof ist 1900 eröffnet worden, obwohl in Zollstock kaum Leute wohnten. Hier wurden also Bewohner der Südstadt beerdigt. Die Leichenzüge fuhren über die Vorgebirgstraße. Auf dem Hinweg spielte die Kapelle traurige Musik. Nach der Beerdigung kehrten die Musiker mit den Trauernden im Gasthaus Schäffer ein und „versoffen ihr Fell“, wie man in Köln so schön sagt. Auf dem Rückweg spielten sie dann lustigere Lieder.

Wann kehrte denn ein bisschen Leben ein in Zollstock?

Wülfrath: Eigentlich war das zunächst ein Ort, wo man nur zum Arbeiten hinging. Die ersten Kneipen öffneten aber schon um die Jahrhundertwende. 1915 wurde die Piuskirche gebaut, 1930 die evangelische Melanchthonkirche, 1931 die Heilig-Geist-Kirche. Die ersten Werkswohnungen entstanden kurz nach 1900. Um 1930 entstanden die großen Wohnblöcke. Mein Großvater ist 1936 aus der Südstadt hierher gezogen.

Walter Wülfrath kam 1937 in Zollstock zur Welt und wohnt heute noch im Veedel. Früher arbeitete er als Verkäufer, heute ist er Rentner.

Zum Jubiläum der Eingemeindung führt er zweimal durch den Stadtteil. Am Samstag, 9. November, treffen sich die Teilnehmer um 15 Uhr an der Melanchthonkirche, Brenigerstraße und am Freitag, 15. November, um 15.30 Uhr an St. Pius, Gottesweg. Die Teilnahme kostet 5 Euro. (phh)

Sind die Leute gerne hergezogen?

Wülfrath: Ja. Besonders ab den 1930er Jahren. Die GAG hat unter dem Motto gebaut „Licht, Luft und Bäumcher“. Es war wirklich grün hier. Zwischen den Häusern standen keine Hinterhäuser, die Innenhöfe waren alle begrünt. Der Südfriedhof war nur fünf Minuten entfernt, und der Grüngürtel war auch nicht weit.

War Zollstock ein Arbeiterviertel?

Wülfrath: Am Anfang schon. Aber in Zollstock wohnten später auch sehr viele Beamte, Mitarbeiter der Gerichte, der Post oder der Polizei. Meine Eltern zogen 1938 in ein Acht-Familien-Haus an der Vorgebirgstraße, in dem sieben Schutzmänner wohnten. Deshalb hatte Zollstock in den 1930er Jahren auch den Beinamen „Schutzmannshausen“.

Hatten es die Nationalsozialisten leicht, hier Fuß zu fassen?

Wülfrath: Wir haben mal versucht, mit alten Zollstockern zu recherchieren, wie das in der Nazi-Zeit war. „Nein, hier waren keine Nazis“, hieß es da immer. Am Zollstocksweg sieht man aber auf Bildern aus der Zeit eine Hakenkreuzfahne neben der anderen bei irgendwelchen Feiern, an jedem zweiten Fenster.

Wissen sie denn etwas über Zollstocker Juden aus der Zeit?

Wülfrath: Hier lebten einige Juden, die auch kleinere Betriebe hatten, Schuhmacher etwa, oder die Firma Siebenborn auf dem Höninger Weg, die mit Schusterwerkzeugen gehandelt hat. Die Eigentümer wurden kurz nach der Machtergreifung enteignet. Heute ist die Unicef in dem Gebäude. Jüdische Zwangsarbeiter gab es auch, seit Anfang der 1940er Jahre. Einige arbeiteten bei Pohlig, andere am Rangierbahnhof Eifeltor und bei kleineren Firmen.

Wie sah Zollstock nach dem Krieg aus?

Wülfrath: 1942, beim sogenannten 1000-Bomber-Angriff, wurde zwar einiges zerstört. Der Wiederaufbau ging aber relativ schnell voran. Auch Trümmerberge gab es wenige.

Woher haben Sie Ihr Wissen über die Zollstocker Geschichte?

Wülfrath: Bei meinen Führungen fordere ich die alten Zollstocker immer auf, mir mitzuteilen, was sie noch wissen. Der erste Spaziergang 1988 hat zweieinhalb Stunden gedauert. Für dieselbe Strecke brauche ich heute neun Stunden. Ich suche jetzt jemanden, der das übernehmen will. Aber das scheint schwierig.