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„Das überrascht viele“Kölner Pfarrer betreibt Seelsorge auf Kreuzfahrtschiffen

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Ein Mann steht mit Mütze vor einem Kreuzfahrtschiff

Oliver Kießig arbeitet im Alltag als Pfarrer in Zollstock. Gelegentlich fährt er auf einem Kreuzfahrtschiff als Seelsorger mit.

Wenn Menschen im Urlaub plötzlich Zeit für ihre Sorgen haben, ist Oliver Kießig aus Köln-Zollstock an Bord. Der Pfarrer berichtet über besondere Momente. 

Heiligabend in der Karibik. Vor den Bullaugen blinken bunte Lichterketten an Palmen, künstlicher Schnee bedeckt Tannenbäume an Deck. „Stille Nacht“ weht durch den warmen Wind bei 30 Grad, während der Weihnachtsmann mit Kindern über das Kreuzfahrtschiff zieht, um Geschenke zu suchen. Im Restaurant gibt es Gänsekeule mit Klößen und Rotkraut, draußen vor der Gangway spielt eine Steel-Drum-Gruppe, so erinnert sich Pfarrer Oliver Kießig aus Köln-Zollstock.

Gleich wird er einen voll besetzten Familiengottesdienst feiern. Auf seiner Kabine warten auf ihn Lebkuchen, Dominosteine und Spekulatius. „Draußen Palmen, drinnen Plastiktannen – alles ist eine Stufe drüber“, so beschreibt Kießig seine erste Kreuzfahrt über Weihnachten 2018. „Überall glitzerndes Lametta, überall Geschenke. Ein wenig wie die Schildergasse in Köln im Advent. Da wird aufgefahren mit Dekoration.“

Ein Kreuzfahrtschiff auf dem Meer.

Kießig fuhr auf der MS Amadea mit. Es war seine erste Reise, die er 2018 zu den britischen Inseln begleitete.

Auch wenn viele Gäste weit weg vom deutschen Nieselwetter sitzen, möchten sie ein Stück vertrauter Festlichkeit mit in den Urlaub nehmen. Und dazu gehöre für viele auch der Weihnachtsgottesdienst. Kein Gottesdienst sei so gut besucht wie der an Heiligabend – auch auf dem Schiff.

Kirche sollte dorthin gehen, wo die Menschen sind. Und im Urlaub entsteht plötzlich Raum für Gedanken, für die im Alltag kein Platz ist
Pfarrer Oliver Kießig

Seit 2018 begleitet Kießig regelmäßig Kreuzfahrten als kirchlicher Seelsorger. Nach Großbritannien, Norwegen oder eben in die Karibik. Kreuzfahrtseelsorge ist kein privates Vergnügen, sondern Teil der Urlaubsseelsorge der Evangelischen Kirche in Deutschland. „Kirche sollte dorthin gehen, wo die Menschen sind. Und im Urlaub entsteht plötzlich Raum für Gedanken, für die im Alltag kein Platz ist“, sagt er. Diese „Geh-Struktur“ gehe im normalen Gemeindeleben oft unter.

Solange Menschen auf dem Wasser unterwegs sind, begleite sie die Kirche, traditionell etwa in der Seemannsmission. Auf Kreuzfahrten seien die Passagiere „Seefahrer auf Zeit“. Für die Besatzung ist er ebenfalls Ansprechpartner.

Ein Mann in blau-weißem Hemd hält einen Rettungsring in die Kamera.

Zu Beginn der Reise werden alle Menschen, die auf dem Schiff arbeiten, vorgestellt. Auf den Bildschirmen läuft auch Oliver Kießigs Bild.

Nicht jede Reederei nimmt Seelsorger mit. Drei deutsche Veranstalter machen das dauerhaft, andere nur an Weihnachten oder Ostern. Evangelische und katholische Pfarrer wechseln sich auf den Schiffen ab, die Gottesdienste feiern sie ökumenisch.

Der Alltag an Bord setzt klare Grenzen. „Wenn um zehn Uhr morgens die Durchsage des Kapitäns kommt und durch alle Lautsprecher dröhnt, muss ich mit dem Gottesdienst fertig sein“, sagt Kießig. Sonst höre ihn niemand mehr. Eine Kirche oder ein Büro hat er nicht. Die Kabine dient als Arbeitsraum. Seelsorge findet zwischen den Mahlzeiten statt: bei Spaziergängen an Land, in einer ruhigen Ecke eines geschlossenen Restaurants oder morgens in der leeren Bar. Auch die Gottesdienste feiert er dort: in bequemen Loungesesseln, mit Blick durch große Panoramafenster aufs offene Meer.

Seelsorgegeheimnis ist rechtlich streng geschützt

Trotz sinkender Kirchenmitgliederzahlen genieße eine Pfarrperson noch immer einen besonderen Vertrauensvorschuss. Das Seelsorgegeheimnis ist rechtlich streng geschützt. „Menschen können mit Seelsorgern über Dinge sprechen, über die sie nicht mit Familie oder Freunden reden können. Man kann sich im wahrsten Sinne des Wortes etwas von der Seele reden.“

Ein Altar im Speisesaal.

Oliver Kießigs Arbeitsplatz auf der MS Artania 2019.

Auf Kreuzfahrtschiffen entstehe schnell eine Gemeinschaft auf Zeit. „Alle sitzen im selben Boot – im wahrsten Sinne des Wortes.“ Anders als in der Gemeinde sehen sich die Passagiere danach meist nie wieder. Die räumliche Enge trage dazu bei: Sie begegnen sich beim Frühstück, beim Landgang, auf dem Gang vor der Kabine. Die meisten Schiffe, auf denen Oliver Kießig reist, haben Platz für 800 bis 1200 Passagiere. Kießig sitzt beim Essen gern an den Tischen der Alleinreisenden, wo leicht Gespräche entstehen. Manchmal begleitet er auch Ausflüge. Dann schaut er, dass alle beisammenbleiben und pünktlich wieder im Bus sitzen.

Das erste Mal alleine auf Reisen

Die Themen in den Seelsorgegesprächen ähneln denen an Land und sind doch so individuell wie die Menschen. Verlust und Einsamkeit im Alter spielen eine große Rolle, oft wegen des höheren Durchschnittsalters an Bord. Viele ältere Frauen erzählen ihm, dass sie die Reise ursprünglich zu zweit gebucht hatten und nun zum ersten Mal allein unterwegs sind.

Ein Moment ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: Bei einer Reise in den Norden wurden nachts plötzlich die Nordlichter sichtbar. Alle Passagiere eilten aufs Deck. „Neben mir stand eine ältere Frau, deren Mann verstorben war. Für sie war dieser schöne Moment schwer auszuhalten, weil sie ihn nicht mehr mit ihm teilen konnte.“ Aus der gemeinsamen Stille wurde ein langes Gespräch.

Heute arbeitet Oliver Kießig als Gemeindepfarrer in Köln-Zollstock. Dort gehören rund 3000 Menschen zur Gemeinde, 20 bis 40 kommen sonntags zum Gottesdienst. Etwa ein Prozent. Auf dem Schiff ist die Quote höher. Da sind es häufig ähnlich viele Menschen, obwohl nur 700 bis 800 an Bord sind. 

Kießig glaubt, dass das an der Enge liegt: „Die Leute kommen vom Frühstück und laufen auf dem Weg zur Kabine am Gottesdienst vorbei. Und die Auswahl an Freizeitangeboten ist begrenzter als in Köln.“ Neben Shows, Bingo und Quizabenden steht eben auch der Gottesdienst auf dem Programm. Dazu komme die Neugier: „Ein Pfarrer an Bord, das überrascht viele. Dann schauen sie sich das mal an.“

Sein Hauptfokus bleibt die Gemeinde in Zollstock. Deshalb fährt er inzwischen meist rund um die Sommerferien. Um die Zeit werde die Arbeit in der Gemeinde überwiegend etwas weniger. Die nächste Reise führt ihn im Frühsommer nach Island und Norwegen. Die Erfahrungen auf See, sagt er, bereichern auch seine Gemeindearbeit. „Ich soll als Gemeindepfarrer über Zollstock hinausschauen.“

Die Abwechslung, die der Beruf mit sich bringe, sei einer der Gründe gewesen, weshalb er Pfarrer geworden sei: „Jeder Tag ist anders – so unterschiedlich wie die Menschen, denen ich begegne.“ Einen Tag verbringt er in der Gemeinde in Zollstock, am nächsten Tag fährt er auf einem Kreuzfahrtschiff in der Karibik mit.