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Schock-Werners Adventskalender (22)Wunderwerk aus Glas

3 min
Diatretglas - oder auch Netzbecher - aus dem Römisch-Germanischen Museum in Köln

Diatretglas - oder auch Netzbecher - aus dem Römisch-Germanischen Museum in Köln

Was meinen Sie, wo auf der Welt es die bedeutendste Sammlung antiker Gläser gibt? Rom? Paris? London? Dreimal daneben. Die richtige Antwort ist: Köln. Das berühmteste Stück von allen ist das Diatretglas im Römisch-Germanischen Museum (RGM), wirklich ein Kunstwerk von Welterbe-Rang, und damit kennen wir uns ja aus.

Im 19. Jahrhundert warten bei Ausgrabungen an der Benesisstraße schon einmal zwei solche glockenförmigen Gefäße aus der römischen Kaiserzeit gefunden worden. Sie sehen aus, als wären sie von einem durchbrochenen (griechisch „diatretos“) Glasnetz umfangen.

Geschenke an die Könige Preußens und Bayerns

Eines dieser beiden Diatretgläser ging als Geschenk an den bayerischen König nach München, das andere an den preußischen, und zwar für ihre Unterstützung beim Weiterbau des Doms.

Der langjährige Direktor des RGM und berühmte Archäologe Otto Doppelfeld war noch 100 Jahre später kreuzunglücklich, dass die beiden wertvollen Stücke für die Kölner Sammlung verloren waren. Das Münchner steht heute in der dortigen Antikensammlung, das Berliner verschwand in den Kriegswirren 1945.

Am Rand des Diatretglases aus dem Kölner RGM steht ein griechischer Toast: Trink und lebe wohl immerdar!

Am Rand des Diatretglases aus dem Kölner RGM steht ein griechischer Toast: Trink und lebe wohl immerdar!

Und dann tauch doch tatsächlich noch eines dieser äußerst seltenen Gläser auf: Am 1. April 1960 bei Grabungen in Braunsfeld. Doppelfelds Mitarbeiter auf der Grabungsstätte sagten sich: Das können wir nicht machen, am 1. April den Chef anrufen und sagen, übrigens, wir haben da ein Diatretglas gefunden. Also haben sie es ihm persönlich überbracht - und Doppelfeld war hin und weg: Das war sein Schneewittchen-Glas, das schönste von allen! Wegen seines unvergleichlichen Rangs nennt RGM-Marcus Trier es „unsere Kölner Mona Lisa, unsere Himmelsscheibe von Nebra und unsere Nophretete“.

Zwei bis drei Jahre Arbeit an einem einzigen Glas

Ein Wunder, wie gut dieses Meisterwerk, wahrscheinlich die Grabbeigabe für einen reichen Gutsbesitzer im Westen des römischen Köln, nach 1700 Jahren erhalten ist. Man weiß übrigens bis heute nicht genau, wie man es hergestellt hat. Wahrscheinlich wurden auf den farblosen Grundkörper eine bunte Lage aus Glas aufgelegt und dann Stück für Stück herausgefeilt – bis auf die winzigen Stege, die das Netzwerk auf der darunterliegenden Glasfläche halten. Eine Wahnsinnsarbeit, mit der ein Diatret-Schleifer schon mal zwei oder drei Jahre zu tun hatte. Bezahlt werden musste direkt bei Auftragserteilung, und die Kunsthandwerker waren so begehrt, dass sie von Steuern befreit waren.

Bei genauem Hinsehen werden Sie bemerken, dass das Diatretglas perfekt nach Köln passt: Oben am Rand steht auf Griechisch ein Toast: „Trink und lebe wohl immerdar!“ Das ist das antike „Drink doch ene met!“

Aufgezeichnet von Joachim Frank


In unserem Adventskalender stellt Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner jeden Tag ein besonderes Ausstellungsstück aus einem von sechs Kölner Museen vor. Alle Folgen finden Sie hier:
www.ksta.de/weihnachten

Das Römisch-Germanische Museum ist für die Dauer der Sanierung im Belgischen Haus, Cäcilienstraße 46, 50667 Köln untergebracht. Es ist das einzige der städtischen Museen, das montags geöffnet und dienstags geschlossen ist. Öffnungszeiten: 10 bis 18 Uhr. Verlängerte Öffnung bis 22 Uhr am „Köln-Tag“, dem ersten Donnerstag im Monat. Um die Feiertage ist das RGM am 23., 24., 25., 30. und 31. Dezember sowie am Neujahrstag geschlossen. Eintritt: 6 Euro (ermäßigt 3,50 Euro).