„Unerträgliche Zustände“Stadt Köln soll Hilfsangebote für Obdachlose ausbauen

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Abends rollen Obdachlose vor den Geschäften ihre Schlafsäcke aus.

Abends rollen Obdachlose vor den Geschäften ihre Schlafsäcke aus.

Köln – Die Stadt soll die Hilfen für Obdachlose verstärken und alles dafür tun, die Konflikte zwischen den Wohnungslosen und Anwohnern zu lösen. Das hat die Bezirksvertretung (BV) Innenstadt am Dienstag auf Antrag der Grünen beschlossen. Als „Sofortmaßnahmen an den entsprechenden Brennpunkten“ verlangen die Politiker etwa, mobile Toiletten und Duschcontainer aufzustellen, saubere Kleidung auszugeben und medizinische Versorgung anzubieten. „Ordnungs- und rechtswidrige Verhaltensweisen“ von Obdachlosen müssten „konsequent geahndet“ werden; dazu gehöre, die Einhaltung der Corona-Regeln zu überwachen.

Zu den weiteren Forderungen der BV zählt, Hilfseinrichtungen und Sozialverbände, die in der Obdachlosenhilfe aktiv sind, einzubinden und „nachbarschaftliche Netzwerke, die das Ziel eines Dialogs verfolgen“, zu unterstützen. Auf Wunsch der FDP wurde hinzugenommen, das städtische Projekt Housing First, das den Ansatz verfolgt, Obdachlosen auch ohne Annahme einer Mietfähigkeit eine Wohnung zu vermitteln und anschließend weiter zu betreuen, „intensiv voranzutreiben“. Zudem ist die Verwaltung beauftragt, ein von der BV schon 2015 gefordertes Kolloquium zu veranstalten, das sich mit der Obdachlosen- und Bettlerszene in der Innenstadt befasst.

Kölner Anwohnerin spricht von „unerträglichen Zuständen“

Die Grünen werfen der Sozialverwaltung „weitestgehendes Versagen“ vor; trotz zahlreicher Hinweise von Bürgern und aus der Politik sei sie untätig geblieben. Bezirksbürgermeister Andreas Hupke (Grüne) kritisierte, dass Sozialdezernent Harald Rau der Einladung zur Sitzung nicht gefolgt sei.

Eine Anwohnerin aus Deutz sagte, auf der Deutzer Freiheit herrschten „unerträgliche Zustände“ und sprach von „Ohnmacht“. Obdachlose aus Osteuropa verrichteten in Hauseingängen ihre Notdurft, alle Nase lang schlage einem Uringeruch entgegen, und Frauen würden angemacht und angepöbelt. Sie habe selber im Ausland gelebt und sei nicht ausländerfeindlich, „aber ich ertappe mich dabei, dass ich Gedanken habe, die ich nicht haben möchte.“

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Horst Janke vom Ordnungsamt sagte: „Wir kontrollieren regelmäßig.“ Doch einschreiten könnten die Mitarbeiter nur, wenn Obdachlose gegen die Stadtordnung verstoßen würden, etwa durch aggressives Betteln. Dann werde ein Verwarnungsgeld verhängt, ein Bußgeldverfahren eingeleitet oder ein Platzverweis erteilt. „Nur mit ordnungsbehördlichen Maßnahmen wird es nicht gelingen, das Problem in den Griff zu bekommen“, so Janke. Ein Bezirksdienstbeamter aus Deutz äußerte sich ähnlich: Allein mit repressivem Vorgehen werde man nicht weiterkommen, zudem könne die Polizei nicht ununterbrochen vor Ort sein. Die Menschen aus der „etablierten Trinkerszene“ kehrten immer wieder zurück. Für eine „langfristige Lösung“ könnten nur Stadt und Politik sorgen.

Das Ausmaß des Problems machte auch Wolfgang Hartwig vom Sozialamt deutlich. Seit 2018 biete die Stadt mit der Notunterkunft in der Vorgebirgstraße gezielt Obdachlosen aus Osteuropa humanitäre Hilfe an. 80 Prozent der Bedürftigen könne man damit erreichen. Die Menschen befänden sich in einem so schlechten Zustand, dass sie weder „beratbar“ noch „unterstützungsfähig“ seien.

Bezirkspolitiker geraten in Streit

Bei aller Einigkeit der Bezirkspolitiker, dass dringend etwas geschehen müsse, gab es auch Streit. Die Linke hatte beantragt, die „konsequente Ahndung ordnungs- und rechtswidriger Verhaltensweisen“ aus dem Katalog herauszunehmen. Stefan Fischer (Grüne) interpretierte dies als Unterstellung, seiner Fraktion gehe es „primär“ darum, Obdachlose zu maßregeln. Auch „ordnungspolitische Maßnahmen“ sein nötig – zum Schutz der Anwohner, die ebenso ein „Recht auf Menschenwürde“ hätten. Die Politik dürfe sich „nicht feige wegducken vor dieser Seite der Realität“.

Im Antrag der Grünen heißt es, die BV setze sich „für gleiche Chancen und gute Lebensverhältnisse für alle Menschen im Stadtbezirk ein, ob mit oder ohne festen Wohnsitz“. Vor der Sitzung hatte Hupke zur „abscheulichen Tat“ Stellung genommen, dass wenige Tage zuvor in einem Toilettenhäuschen auf dem Chlodwigplatz ein Obdachloser angezündet worden war (hier lesen Sie mehr): „Für mich wirft dies auch ein Schlaglicht auf den Zeitgeist in Stadt, Land, Bund und Europa, der zu viele Menschen schutzlos im Regen stehen lässt.“

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