An St. Karl in Sülz treffen sich zwei Mal pro Woche viele Menschen. Die Gemeinde hat dort eine Lebensmittelausgabe eingerichtet. 150 Ehrenamtliche helfen mit.
Ziemlich beste LeuteDiakon Sprissler: „Für mich ist es die größte Herausforderung, Gerechtigkeit herzustellen“

Diakon Hanno Sprissler hat für seine Gemeinde ein Motto geprägt: Kirche für Leib und Seele.
Copyright: Michael Bause
Es ist Mittwochmittag, halb zwei. Vor der Kirche St. Karl in Sülz warten Menschen auf die Lebensmittelausgabe. Die Stimmung ist lebhaft und vorfreudig. Drinnen, wo früher Kirchenbänke standen, stehen jetzt Helfer und Helferinnen mit Kisten voller Lebensmittel bereit: frisches Obst und Gemüse, Backwaren, Kühlprodukte. Sascha kommt schon lange als Gast zur Ausgabe. Seit mehr als einem Jahr hilft er aber auch selbst mit. „Als ich hier reinkam, habe ich sofort beim zweiten Mal gefragt, ob ich mithelfen kann. Die Atmosphäre ist unwahrscheinlich herzlich. Außerdem spreche ich gerne mit Menschen, ich helfe gerne. Und ich möchte auch etwas zurückgeben.“
Sascha kann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr voll arbeiten. Jetzt unterstütze ihn die Lebensmittelausgabe an St. Karl nicht nur. Den ganzen Ort empfinde er als „heilsam“ und „harmonisch“, das Team als besonders zugewandt und aufnehmend. „Wenn es einem schlecht geht und man mal ein paar Tage nicht kommt, wird das wahrgenommen – alle interessieren sich wirklich.“

Sascha kommt regelmäßig zur Lebensmittelausgabe und hilft bei der Organisation auch mit.
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Diese Atmosphäre hat Hanno Sprissler geschaffen. Er ist seit 2013 Diakon in der Sülzer Gemeinde und hat zahlreiche karitative und beratende Projekte ins Leben gerufen: die „FC-Lebensmittelausgabe“ an St. Karl, die Essensausgabe „Sülz und Pfeffer“, bei der die Gäste eine warme Mahlzeit erhalten, den Veedelsschrank mit Second-Hand-Kleidung und den Krimskrams-Karl, eine Ausgabe von Haushaltswaren. Etwa 150 Ehrenamtliche engagieren sich in den existenzsichernden Angeboten. An der Kirche aus dunklem Backstein mit ihrem großen Platz direkt an der Zülpicher Straße hat er etwas aufgebaut, das für viele Hilfesuchende zu einem Lieblingsort geworden ist. Andere sagen über ihn: „So sollte Kirche doch sein.“
Sprissler hat das alles in einen Slogan gefasst, St. Karl nennt sich „Kirche für Leib und Seele“. Im Gespräch mit dieser Zeitung hebt er hervor: „Das Wesentliche für uns ist der liebevolle Umgang mit unseren Gästen. Die kostenlosen Waren, die wir ausgeben, sind nur ein Vehikel, um den Menschen Wertschätzung und Würde zu schenken.“
„In Sülz, Klettenberg und Lindenthal leben über 3500 Köln-Pass-Inhaber - auch hier gibt es Armut“
Gestartet ist die Lebensmittelausgabe während der Pandemie. 2020 fragte die FC-Stiftung, ob die Gemeinde Interesse an einer Zusammenarbeit hätte, auch die Caritas kam später dazu. „Daraufhin habe ich eine Sozialraumanalyse gemacht und gesehen, dass in Sülz, Klettenberg und Lindenthal über 3500 Köln-Pass-Inhaberinnen und -Inhaber leben. Auch in diesen scheinbar wohlhabenden Stadtteilen gibt es Armut“, sagt Sprissler.
Am 18. November 2020 fand die erste Ausgabe vor der Kirche statt. Fünf Engagierte empfingen damals 50 Besucher. Der Zuspruch nahm rasant zu. „Irgendwann standen dann die Gäste in einer langen Schlange bis auf die Zülpicher Straße und noch an der Straße entlang“, erinnert er sich. „Im Sommer saßen damals im Café die Leute in der Mittagspause, tranken ihren Latte Macchiato, und um sie herum standen Menschen, die für kostenlose Lebensmittel anstanden, die andere wegwerfen. Beide Seiten haben sich dabei nicht wohlgefühlt.“
Sprissler hat die Kirche umgestaltet, zu einem „Wohlfühlort“, wie er sagt. Massive Holzbänke wichen rollbaren Möbeln; wenn Ausgabetag ist, machen sie Platz. „Alles in der Kirche ist mobil. Die Schränke dienen als Raumteiler und zur Aufbewahrung. Mit wenigen Handgriffen lässt sich der gesamte Raum bedarfsgerecht umgestalten: Zu Ausgaben von Lebensmitteln und Haushaltswaren, zu einem Raum für Veranstaltungen mit 300 Personen, oder für kleine spirituelle Angebote mit anschließender Gesprächsmöglichkeit und Bewirtung“, sagt er.

Für die Lebensmittelausgabe werden Produkte verwendet, die andere wegschmeißen. Sie sind aber noch in sehr gutem Zustand.
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Mittlerweile findet die Ausgabe jeden Mittwoch zwischen 14.30 und 16.30 Uhr statt für Menschen aus Sülz, Klettenberg und Lindenthal. Wer einen Köln-Pass, einen Jobcenter-Bescheid oder eine Aufenthaltsgenehmigung hat, darf kommen. Samstags sind auch Menschen willkommen, die in anderen Kölner Veedeln nicht versorgt werden können.
„Die größte Herausforderung für mich ist es, Gerechtigkeit herzustellen. Die Menschen sollen sich hier fair behandelt fühlen“, sagt Sprissler. Dem Konkurrenzdenken vieler Gäste, die gewohnt sind, um alles zu kämpfen und nichts geschenkt zu bekommen, möchte er etwas entgegensetzen. Es gibt vier alphabetisch sortierte Gruppen, die jede Wochen rotieren, sodass jeder Gast irgendwann als erster an der Reihe ist.
Die Atmosphäre steht über allem, dafür hat Sprissler ein „Feel Good-Team“ gegründet aus besonders empathischen Ehrenamtlichen. Das Team hilft bei Spannungen und Konflikten und sorgt für ein freudvolles Miteinander. Dieser Fokus ist wohl auch ein Grund dafür, warum sich schon Stunden vor dem offiziellen Beginn der Ausgabe viele Gäste vor der Kirche treffen. „Es ist eine der wenigen sozialen Interaktionen, die manche Leute hier in der Woche haben“, erzählt Sascha – auch er ist viel früher gekommen.
Hanno Sprissler scheint an diesem Nachmittag überall gleichzeitig zu sein. Für ihn sei Gottesdienst genau das: „Für Menschen da sein und geschwächte Menschen stärken. Das habe ich von zuhause mitbekommen.“
Das würde er als Erstes tun, wenn er Oberbürgermeister wäre: „Ich würde auf jeden Fall den allgemeinen sozialen Dienst stärken, statt gerade bei denen mit der geringsten Lobby zu sparen. Beratung und Begleitung ist das, was wir brauchen: Den Menschen die Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie aus der Armut herauskommen.“
Ihr persönliches Grundgesetz: „Unser Grundgesetz ist schon gut durchdacht: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘. Das ist auch für mich der wesentliche Punkt. Wenn das alle im eigenen Leben verinnerlichen würden und sich so den Menschen gegenüber verhalten würden, dann hätten wir viele Probleme nicht.“