„Unter uns“ bei den Nikutas„Ich habe oft gedacht, Mann, die Mama ist ein Schaf“

Generationengespräch zwischen Marie-Luise Nikuta und ihrer Tochter Andrea Nikuta-Meerloo.
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Köln – Die Wände im Domizil in der Residenz am Dom hängen voller Impressionen aus dem Karneval. Auf ein knallbuntes Bild ist Marie-Luise Nikuta besonders stolz. Das muss sie vor dem Gespräch mit Tochter Andrea bei Kaffee und Kuchen unbedingt zeigen. Erst jüngst hat sie den Druck eines Gemäldes geschenkt bekommen, von der Stattgarde Colonia Ahoj. Es zeigt die Karnevalsgesellschaft und Gäste bei einer Bootstour auf dem Rhein. An Bord wimmelt es von Karnevalisten. Ganz oben auf dem Deck des Schiffs ist die Nikuta zu sehen, mit ihren leuchtend roten Haaren und im blauen Köbeskostüm – so wie man sie seit Ende der 60er Jahre als Karnevals-Sängerin kennt. Wie eine Königin thront sie auf dem Bild über allen.
In der Serie „Unter uns“ sprechen wir in loser Folge mit bekannten Kölner Politiker-, Kultur-, Unternehmer- und Sportlerfamilien, aber auch mit Nichtprominenten. Weil es keine stärkere Gemeinschaft als die Familie gibt – und jede Generation anders auf das Leben und die Stadt schaut. (uk)
Frau Nikuta-Meerloo, können Sie eigentlich noch Eis essen, ohne daran zu denken, wie Sie ihre Mutter zu einem ihrer Hits inspiriert haben. Als die kleine Andrea mal wieder gequengelt hat, ein Eis zu bekommen, hat die Mama prompt das Lied „E paar Grosche für Ies“ geschrieben.
Andrea Nikuta-Meerloo: Ja, klar, ich denke schon mal dran – und muss schmunzeln. Aber, naja, jeder wurde ja mal besungen in unserer Familie. Vater, Opa, Oma, der beste Freund, die beste Freundin. Sie hat ja immer die Lieder aus dem Leben gemacht...
Marie-Luise Nikuta: ... die Lieder über die normalen Leute sind mir wichtig, der Alltag. So wie „Do jonn mer hin, do jitt et jet zo müffele“. Da bekamen wir eine horrende Forderung vom Finanzamt, wir mussten viel Geld nachzahlen. Da sage ich zu meinem Mann, Willy, wir machen uns keine Sorgen. Wir werden ja viel eingeladen. Da gibt es immer was umsonst zu essen und zu trinken. So kommen wir durch. Da war die Idee fürs Lied da.
A.N.M.: Du bist eine sehr genaue Alltags-Beobachterin. Ich kann es ja bezeugen, die Lieder, in denen du Geschichten erzählst, das ist ja alles passiert. Und du bringst es auf den Punkt.
Sie sind stolz auf Ihre Mutter. Und sie hatte ja stets zahlreiche Fans. Doch die schrille Frau im Köbeskostüm, die Mottoqueen, war zuweilen Zielscheibe für Spötter.
A.N.M.: Ja, das habe ich alles miterlebt, diese Männerdomäne im Karneval. Das war nicht einfach. Die teilweise abfälligen Kommentare, die man da so hört. Und für mich war das als Kind nicht so witzig wie für andere, da gab’s ja viele Neider und viele blöde Kommentare. Tut dann weh, weil es die Mutter ist. Aber irgendwann steht man da ja auch drüber. Aber ich habe schon früh gedacht – das sollen die alle erst einmal nachmachen.
M.L.N.: Manchmal kann ich nicht durch die Straße gehen, irgendeinen trifft man immer, selten aber einen, der einen blöden Kommentar abgibt.
Wurde die Tochter in der Schule gehänselt wegen der Mutter?
A.N.M.: Gehänselt worden eher weniger. Aber ich habe natürlich auch Neid erlebt, Sozialneid. Es gibt viele nette Leute, aber auch die anderen. Einige hatten aber auch eine falsche Vorstellung von uns, wir waren ja keine Millionäre. Erst haben meine Eltern im Karneval draufgezahlt, nachher verdient. Sie haben hart gearbeitet, so dass sie sich ein kleines Einfamilienhaus leisten konnten.
M.L.N.: Wir waren normal, sind aber immer schön in Urlaub gefahren, zweimal im Jahr. Du hast doch immer gesagt, „Mama, Du gönnst Dir zu wenig.“ Ich war nie geizig, aber sparsam. Und ich versteh’ auch die Leute nicht, die plötzlich mittellos dastehen, obwohl sie vorher so viel verdient haben. Das ist doch eine falsche Rechnerei.
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Frau Nikuta-Meerloo, Sie arbeiten beim Deutschen Ärzte-Verlag – also weit weg vom Karneval. Wollten Sie es nie im Fastelovend versuchen?
A.N.M.: Nein, der Karneval war nicht meine Sache. Ich habe zu viel miterlebt. Ich bin im Gürzenich gewickelt worden und war als Kind immer hinter der Bühne, also mittendrin. Im Endeffekt ist das ein knallhartes Geschäft. Ich hab meine Eltern nie feiern gesehen. Das war ja immer Geschäft. Mit 17 war ich während der Karnevalstage das erste Mal im Skiurlaub und fand es großartig.
Immerhin gibt es Fotos, die Sie als ganz junge Sängerin auf kölschen Bühnen zeigen. Da schien es, als wollten Sie ihrer Mutter nacheifern.
A.N.M.: Darüber müssen wir jetzt gar nicht so lange reden. Ich hab’ das nicht gerne gemacht. Also für mich war das eher... nicht so toll... ich habe gesagt, ich singe für Kinder und für alte Leute. Es war immer nur ein Lied: „Mit mingem Opa kann ich alles maache“.
M.L.N.: Das kam so. Ich hatte ein Lied für meine Mutter geschrieben. Die hatte immer so viel für mich und die Familie getan. „Wat e Glöck, dat mir de Omma han“. Und da hat mein Vater sich beschwert: „Die Oma kriegt ein Lied geschrieben, und ich muss dat Enkelchen in der Schlof singe.“ Da hab’ ich zu meinem Vater gesagt: „Du bekommst auch eins.“ Das war dann „Mit mingem Opa kann ich alles maache“. Das hat die Andrea mit acht oder neun gesungen. Danach wollte sie nicht mehr.
Waren Sie enttäuscht, dass Ihre Tochter nicht auch in den Karneval wollte?
M.L.N.: Das war für mich normal. Ich hätte sie nie gezwungen. Ich finde es schlimm, wenn Eltern Kinder zu irgendetwas zwingen, was die gar nicht wollen. Das soll man nicht machen, und es wird dann auch nicht gut. Welche Rolle spielte der Vater Willy in der Familie?
M.L.N.: Mein Mann hat mich zu allen Auftritten gefahren und die ersten Jahre auch finanziell einiges dazu getan. Da hab ich nichts verdient. Aber er hat an mich geglaubt. Nur manchmal war er ja ein bisschen sauer. „Ach, der verdammte Karneval“, hat er dann gesagt. Da hab ich ihm ein Lied geschrieben – „Ich hab ne Jung us Kölle“ – da war er wieder versöhnt. Und wenn einer mal böse war, dann hat er mich sehr verteidigt. Ich hab einmal beim WDR vorm Auftritt an einer Saaltüre gestanden, da hörte ich, wie ein Mann über mich sagte: „Das ist wieder so eine dumme Hausfrau, die singen will.“ Der Willy hat dem Mann dann ordentlich Bescheid gesagt und ich hab mir nur gedacht: Kerlchen, Du wirst Dich wundern, was ich alles im Köpfchen habe.
A.N.M.: Der Papa war schon sehr stolz auf Dich, das muss man sagen. Und das hat man auch gesehen. Ich konnte ihn als Tochter natürlich leicht um den Finger wickeln. Aber er war auch streng...
M.L.N.: ...ja, wenn Du schlecht in der Schule warst...
A.N.M.: ...ich war keine schlechte Schülerin, nur eine faule. Und es lag ja auch an der Lehrerin. Du hast dann gesagt, pass auf, wenn der Papa nach Hause kommt. Na, und dann kam er und hat mal kurz geschimpft. Alles in allem hat er mich wie einen Jungen erzogen. Er hat mir immer geraten, mich niemals von jemandem abhängig zu machen, immer auf eigenen Beinen zu stehen. Als ich ausgezogen bin, war er anfangs gefrustet, hat mir aber direkt eine Waschmaschine besorgt und gesagt, ich solle gar nicht auf die Idee kommen, die Wäsche zu bringen. Da war er schon recht resolut. Mir hat es nicht geschadet. Ich bin selbstständig. Und wir waren irgendwie eine ziemlich normale Familie, wenn ich heute darüber nachdenke.
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Wie hat Ihre Mutter Sie geprägt, Frau Nikuta-Meerloo?
A.N.M.: Das ist jetzt keine einfache Frage. Als Teenager ist man genervt von den Eltern, ist ja klar. Da fand ich alles irgendwie doof, genau so wie meine Tochter jetzt bei mir, sie ist ja jetzt 16. Aber im Endeffekt hat meine Mutter schon mit ihrem Optimismus viel bewirkt. Sie hat immer einen Plan, B, C, D. Ihre Diplomatie hab ich nicht ganz geerbt. Aber du warst immer sehr diplomatisch, Mama. Da hab ich oft gedacht, Mann, ist die ein Schaf, die lässt sich doch hier veräppeln. Vor allem, als mein Vater nicht mehr lebte. Die Mama ist einfach zu gutmütig. Ein Beispiel?
A.N.M.: Als Du zum Beispiel bei der Fernsehsitzung rausgeflogen bist.
M.L.N.: Das war ein Duett mit Ludwig Sebus. Ich hab mir ein Abendkleid machen lassen, der Ludwig einen roten Gehrock. Als die Aufzeichnung aus dem Gürzenich dann Rosenmontag ausgestrahlt wurde, war ich nach dem Start kurz in der Küche, und als ich wieder kam, war es vorbei, nach zweieinhalb Minuten. Die hatten fast alles rausgeschnitten.
A.N.M.: Da hättest Du dich mal beschweren sollen. Es sind aber auch andere Sachen. Zum Beispiel besorgst Du immer wieder teure Sitzungskarten für Leute, von denen einige nicht bezahlen.
M.L.N.: Es stimmt schon. Das lerne ich von meiner Tochter, dass ich härter werde, mir nichts gefallen lasse, obwohl mir das schwer fällt. Ich bin manchmal immer noch ein Schaf. Aber die lieben mich trotzdem.
Uneingeschränkt geliebt werden Sie von den Schwulen und Lesben, die Sie für eine Art Schutzheilige halten. Im offiziellen Karneval waren Homosexuelle lange geradezu geächtet. Heute gibt es sogar mit der Stattgarde Colonia Ahoj eine ehemals rein schwule KG im Festkomitee. Ihre Mutter hat da großen Anteil dran, Frau Nikuta-Meerloo. Wie haben Sie das erlebt?
A.N.M.: Am Anfang habe ich gedacht, mein Gott, was finden die denn an der so toll? Es war aber so, dass viele bei Dir das Verständnis gefunden haben, das sie Zuhause nicht bekamen. Du warst oft wie eine Mutter zu denen, hast sie genommen wie sie sind. Genau so, wie Du mich mit meiner früheren Abneigung gegen den Karneval genommen hast. Ich war ja einige Male dabei. Sie haben Dir ihre Lebensgeschichte erzählt, der Mann, der einen anderen Mann liebt, das aber daheim niemals erzählen durfte. Und Du hast Ihnen gesagt, sie sollen einfach glücklich miteinander sein, alles andere sei egal.
M.L.N.: Ich bin eines Tages im Jahr 1975 ins Pimpernell geraten, auf eine Schwulenparty. Die konnten so ausgelassen und herzlich feiern, unter einem bunten Sternenhimmel als Kulisse. Mein Mann musste mich erst einmal aufklären, was da gerade abging. Da hab ich gesagt, ist doch egal, Hauptsache, die Jungs haben Spaß. Und ich bin wieder gekommen und auf die Bühne gegangen. Und seitdem gibt es diese besondere Beziehung. Sie haben gemerkt, dass ich es ernst meine und sie mag.
Im Dezember 2013 brauchten Sie selbst Hilfe. Da war plötzlich alles anders, Sie erlitten eine Hirnblutung, es bestand Lebensgefahr. Seitdem treten Sie kürzer, haben den Abschied von den großen Karnevalsbühnen erklärt.
M.L.N.: Das ist richtig. Aber ganz aufgehört habe ich nicht. Ich habe ja schon im Krankenhaus das Mottolied für die Session 2014/15 gedichtet, Social jeck. Jeden Morgen musste ich dem Professor zeigen, wie weit ich war. Der war ganz stolz und hat den Patienten gesagt, sie sollen sich an mir ein Beispiel nehmen.
A.N.M.: Du warst total tapfer, hast dich durch die Reha gekämpft. Ich dachte, mein Gott, wo bekommt man diesen Lebensmut her. Was mich bei dir beeindruckt hat, einfach zu sagen: Das Haus kommt weg, ich hab’ da 35 Jahre gelebt, aber jetzt kann ich das nicht mehr. Du hast wirklich ein neues Leben begonnen, inklusive neuer Möbel, alles hell, weiß, statt Nußbaum.
M.L.N.: Du hast aber alles organisiert, das Haus verkauft, die Möbel gesucht. Und ich hab noch viel zu tun. Seit 30 Jahren will ich ein Lied über die Pubertät schreiben. Ich hatte mal großen Streit mit meinem Vater, als ich in der Pubertät war. Ich hatte überreagiert, weil ich etwas nicht bekommen hatte, was ich wollte. Mein Vater war total sauer. Meine Mutter hat ihn beruhigt, in dem sie ihm erklärte, dass ich doch in der Pubertät bin. Und Du warst genau so schlimm in der Pubertät wie ich, Andrea. Und jetzt ist das Enkelchen dran, sie ist ja auch mittendrin. Jetzt wird es Zeit. Jetzt muss das Lied her.