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Schock in Italien19-jähriger Kölner macht sich mit dem Fahrrad auf den Weg nach China

4 min
Das Bild zeigt einen jungen Mann mit einer Tasse Tee in einem Café.

Diese Reise würde Leo Blömeke „sofort wieder“ machen.

Was erzählen Menschen, wenn man sie auf der Straße anspricht? Darum geht es Susanne Hengesbach in ihrer Rubrik „Zwei Kaffee, bitte!“.

Ein Charakteristikum dieser Rubrik ist die Tasse Kaffee. Aber allein damit hätte ich meinen heutigen Gesprächspartner nicht ködern können. Leo Blömeke trinkt Tee und tat dies, wie ich erfahre, in den letzten Wochen besonders häufig. Mich interessiert weshalb, und schon sind wir mitten in einer spannenden, insgesamt 9177 Kilometer langen Geschichte, die am Kölner Dom ihren Anfang nimmt und 83 Tage später auch dort wieder endet. Der 19-Jährige ist diesen Sommer nämlich mal eben mit dem Fahrrad nach China aufgebrochen.

„Du wolltest ernsthaft nach China radeln? – Weshalb?“, frage ich, nachdem uns unsere zufällige Begegnung auf der Straße ins Gespräch und dann ins Café „Wo ist Tom?“ gebracht hat. Er habe schon mit drei Jahren auf dem Rad gesessen, erzählt Leo, und mit zwölf an der Seite seines Vaters Deutschland durchquert. Diese Art zu reisen finde er besonders faszinierend. Also habe er vor Antritt seiner Lehre zum Werkzeugmechaniker beschlossen: „Ich möchte nach Asien.“

Auf der Strecke nach Istanbul hat Leo noch Begleitung

Er lächelt, als er das sagt. Es ist ein Lächeln, aus dem die Unbefangenheit eines jungen Menschen spricht, der die Dinge einfach angeht, ohne vorher Vorbehalte aufzutürmen. Das einzige, womit er sich im Vorfeld intensiver beschäftigte, war die Auswahl seines Verkehrsmittels – „eine Art Touringrad aus Stahl, was ich zur Not selber hätte reparieren können“ – und die 23 Kilogramm schwere Ausrüstung. Zelt und Koch-Utensilien inklusive.

Die „überschaubare“ Strecke vom Kölner Dom nach Garmisch, Innsbruck, Südtirol, dann die Küstenstraße an der Adria entlang bis nach Albanien und schließlich über Griechenland in die Türkei hat Leo noch seinen langjährigen Klassenkameraden Claudius an seiner Seite. In Istanbul kehrt der Freund wie geplant um. Von da an ist der 19-Jährige ganz auf sich gestellt.

Ihm begegnet viel Gastfreundschaft

Obwohl: Eigentlich ist er es doch nicht. Denn wo immer er auftaucht, trifft er auf Menschen, die seine Sprache zwar nicht verstehen, sich aber mächtig für den großen schlaksigen Kerl auf dem Rad interessieren und dann auch gerne dafür sorgen, dass er nach einer 115 oder 150 oder einmal sogar 190 Kilometer langen Tagesetappe wieder ordentlich Kalorien nachladen kann. Ansonsten muss eben der Campingkocher herhalten, um das Wasser für rund 500 Gramm Nudeln zu erhitzen.

Geradezu schwärmerisch berichtet Leo von der Gastfreundschaft der fremden Menschen. Von Essenseinladungen und Schlafplätzen, die ihm gewährt werden; egal, ob Wohnzimmer-Couch oder in einer Moschee. Leo schafft es nicht nach China, was jedoch weder an ihm noch an seinem Rad liegt. Er scheitert an der für Touristen unüberwindbaren Grenze nach Aserbaidschan. Er hätte seine Reise von Armenien aus mit dem Flugzeug fortsetzen können, aber das passt nicht zu seiner Vorstellung des Weiterkommens. Also beschließt er nach fünf Tagen des Haderns und Alternativen-Überlegens umzudrehen.

Nach seiner Rückkehr hat er mit dem Vertrauten und Bekannten zu kämpfen

Im Nachhinein ist er froh darüber, denn so hat er viel mehr Zeit, die unterschiedlichen Landschaften in der Türkei zu genießen: Wüstenregionen, saftgrüne Wiesen, Gebirgssilhouetten und das spektakuläre Bild hunderter Heißluftballons bei Sonnenaufgang in Kappadokien. Leo hat zwar kleinere Unfälle, aber sonst keine gesundheitlichen Probleme. Und bis auf die drei Stunden, die er sein Rad bei strömendem Regel ohne genauere Orientierung durch georgisches Gebirge schieben muss und fast verzweifelt, verläuft die Reise ohne böse Zwischenfälle.

Den „totalen Schock“ erlebt er nach eigenen Worten bei seiner Rückkehr in Italien. Plötzlich, nach all den Wochen in der auch sprachlich völlig fremden Welt wieder Bekanntem und Vertrautem zu begegnen, empfindet Leo alles andere als beglückend. Im Gegenteil. Es bringt ihn in eine mentale Erschöpfung, mit der er, wie er berichtet, ein paar Tage echt zu kämpfen hat.

Knapp drei Monate, nachdem er Köln verlassen hat, steht er am 21. Juni wieder am Dom. In der Zwischenzeit hat er 15 verschiedene Länder durchfahren oder gestreift, aber insgesamt – Fähren mit eingerechnet – nicht mal 1000 Euro ausgegeben. Er kann von wunderbaren menschlichen Begegnungen erzählen und Abschieden, bei denen er „Tränen wegdrücken musste“. Er hat das Alleinsein zu schätzen gelernt und die Sauberkeit türkischer Tankstellen-Toiletten. Und er würde die Reise „sofort wieder“ machen.