Acht-Brücken-Festival in KölnZeit und Klang entfesselt – „Musik oder Nichts“ am Sonntag

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Das ÉRMA Ensemble bei der Uraufführung seiner Komposition für das Kölner Festival Acht Brücken.

Das ÉRMA Ensemble bei der Uraufführung seiner Komposition für das Kölner Festival Acht Brücken.

Auf dem Kölner Festival Acht Brücken haben die Musiker am Sonntag mit klanglicher Reduktion bis zur Stille gespielt. Das hatten sie zu bieten.

Die ersten beiden Festivaltage boten viel Musik, doch kaum Bezug zum zweiten Teil des diesjährigen Mottos „Musik oder Nichts“. Dafür gab es dann am Sonntag gleich vier Konzerte mit umso mehr „Nichts“ in der Spielart von klanglicher Reduktion bis zur Stille.

Den Anfang machte im Kleinen Sendesaal das Essener Ensemble S201 mit „Stirring Still“ von Porträtkomponistin Rebecca Saunders. Analog zu Samuel Becketts gleichnamigem Prosatext flüstern brüchige Mehrklänge sprachlos durch den Saal. Der Wahrnehmungsformel, je kleiner der Klang, desto größer die Ohren, folgte auch Elena Rykovas „Life Expectancy. Experience #2“.

Gleitende Tonhöhen auf mit Bogen sanft geschlagenem Cello setzten sich in kleiner Trommel fort, deren Fell durch eingeblasene Luft gespannt und dadurch in der Tonhöhe moduliert wurde. Abschließend agierten die sechs Ensemblemitglieder in Ricardo Eiziriks „Junkyard Piece“ IIIB – Pocket Version“ durch Click-Track exakt synchronisiert wie ferngesteuerte Roboter pantomimisch ruckartig, maschinell, präzise.

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Kölner Acht-Brücken-Festival: Zersprengte Einzelaktionen und erweiterte Spieltechniken

Der European Workshop for Contemporary Music ist eine Kooperation von „Podium Gegenwart“ des Deutschen Musikrats mit dem Festival Warschauer Herbst. Seit dem Beitrittsvertrag Polens mit der EU 2003 erhalten jährlich rund 25 junge Musikstudierende aus Polen, Deutschland und anderen EU-Ländern die Gelegenheit, unter Leitung von Rüdiger Bohn anspruchsvolle neue Musik zu erarbeiten.

Das Referenzstück war diesmal Helmut Lachenmanns „Mouvement (– vor der Erstarrung)“. Zersprengte Einzelaktionen und erweiterte Spieltechniken verdichten sich mehrmals zu durchgehenden Repetitionen und wilden Rasereien. Zeit und Klang wirken dadurch wie entfesselt, sind aber gerade an diesen Stellen rhythmisch-metrisch strickt gebunden. Etwas von solcher Dialektik hätte auch den beiden Uraufführungen gut getan.

Die 1979 geborene britische Komponistin Naomi Pinnock reiht und überlagert in „(were the ruins still there)“ zarte Liegetöne und Instrumentalmixturen zu schemenhaft-leisen Klangflächen. Das erinnert an Musik von Morton Feldman und die Farbfeldmalerei des abstrakten Expressionismus. Die spinnweb-feinen Pastellklänge werden am Schluss mit geräuschvollem Wischen über die Große Trommel gleichsam vom Winde verweht. Den filigranen Klangflächen von „in dreams begin melodies“ ließ er polnische Komponist Paweł Malinowski – Jahrgang 1994 – tröpfelnde Melodien von schmelzendem Eis zuspielen. Im architektonisch schönen Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums mit Blick auf die leeren Gewölbe der Trümmerkirche St. Alban wurden manche hauchigen Schattierungen jedoch von der lauten Belüftung weggesaugt.

Kompositionswettbewerb beim Festival Acht Brücken in Köln

Für den Internationalen Acht Brücken Kompositionswettbewerb hatte eine vierköpfige Jury drei Finalisten aus rund achtzig anonymisierten Bewerbungen ausgewählt. Das junge Ensemble ÉRMA brachte diese unter Leitung von Yorgos Ziavras zur Uraufführung. Den mit viertausend Euro dotierten ersten Preis erhielt Po-Chien Liu – Kompositionsstudent bei Günther Steinke in Essen – für „in einem verlassenen Zimmer“, eine vielfarbige Klangkomposition mit am Ende lachenmannesk differenzierten Rauschklängen. Den zweiten und dritten Preis erhielten Antonio La Spina und Luca Ricci.

Den Festivaltag beschloss in der Philharmonie die Uraufführung von Lucia Ronchettis Choroper „Chronicles of Loneliness“ nach Texten von Giacomo Leopardi über Einsamkeit, Schlaf, Illusionen und das Nichts. Statt einsam zeigte sich das männliche Geschlecht hier indes ausgesprochen gesellig. Unter Gesamtleitung von Eberhard Metternich versammelten sich rund hundert Sänger von Bach-Verein Köln, Kölner Männer-Gesang-Vereins, Solistenensemble The Present und die Knaben des Kölner Domchors.

In wechselnden Formationen im Raum bildete man verschiedenste Szenerien aus weichen Liegeklängen, geräuschvollem Atmen, rhythmischem Sprechen, repetitivem Minimalismus, und kleinen Improvisationen über kreisenden Gospelakkorden. Mit Hornist, Trompeter und Posaunist des WDR Sinfonieorchesters erklangen Choräle wie bei Heinrich Schütz, die plötzlich in Glissandi und mikrotonale Schwebungen zerflossen. Ein Werk von seltener Eigenart.

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