Bestseller-Check: „365 Tage“Warum ist dieser frauenfeindliche Schund so erfolgreich?

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So will Massimo (Michele Morrone) Laura (Anna-Maria Sieklucka) davon überzeugen, dass er ein super Typ ist.

Über Sex zu reden, ist manchmal gar nicht so einfach, über Sex zu schreiben ist noch viel schwieriger. Viele große Schriftstellerinnen und Schriftsteller sind an dieser Herausforderung schon gescheitert. Der „Bad Sex in Fiction Award“ der britischen Literaturzeitschrift Literary Review kürt nicht umsonst Jahr für Jahr die schönsten Negativbeispiele.

Offen und ohne peinliche Umschreibungen über Sex zu schreiben, ist also ein ehrenwertes und ehrgeiziges Ziel. „Der Mangel an Offenheit in Bezug auf Sex“ war es angeblich auch, der Blanka Lipinska dazu brachte, ihren Roman „365 Tage“ zu verfassen. Und offen ist sie in der Tat, wenn es um Sex geht. Aber Offenheit allein macht noch keinen guten Roman aus.

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Die polnische Autorin erzählt die Geschichte von Laura, die im Italien-Urlaub von einem Mafia-Boss entführt wird, der sie 365 Tage festhalten will, damit sie sich in dieser Zeit in ihn verliebt. Abgesehen von dieser komplett hanebüchenen Ausgangssituation hat sich Lipinska für eine Charakterzeichnung per Holzhammer entschieden.

Laura ist eine arrogante, selbstverliebte Ziege, deren einzige Hobbys der Konsum großer Mengen Champagner und der Einkauf sehr teurer Kleidung zu sein scheinen. Es ist wirklich enervierend, mit welcher Ausdauer Lipinska auflistet, welches Kleid, welche Schuhe, Sonnenbrille und Uhr welcher Luxusmarke ihre Heldin besitzt, kauft oder geschenkt bekommt.

Säuft sie nicht gerade zwei Flaschen Moët – ohne Markennennung geht es auch hier nicht – steht sie vorm Spiegel und findet sich selbst unwiderstehlich. Ihr Loveinterest Massimo steht dem in nichts nach. „Kein Gramm Fett“ hat er am Körper, alles an ihm ist perfekt, außerdem ist er steinreich, hat eine tolle Villa und eine noch tollere Yacht – da schmeißt eine so ungemein emanzipierte Frau wie Laura all ihre Prinzipien natürlich gerne über Bord.

Grauenhaftes Machwerk

Was ist schon eine Entführung, wenn man eine Rolex haben kann? Wie schlimm kann es sein, dass der Angebetete gerne mal Menschen eiskalt ermordet oder Frauen vergewaltigt, wenn er doch so unglaublich gut im Bett ist? Das einzig Glaubwürdige an diesem grauenhaften Machwerk, das zwischenzeitlich auf Platz 1 der Bestsellerliste stand und eine erfolgreiche Netflix-Verfilmung nach sich zog, ist vielleicht noch die Tatsache, dass diese beiden unsympathischen Narzissten sich gegenseitig anziehend finden.

Es haben schon viele schlechte Bücher den Weg an die Spitzen der Bestseller-Listen gefunden, aber wer das Niveau von „365 Tage“ noch unterbieten möchte, muss sich künftig wirklich anstrengen.  

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