Der Titel „Was machen wir aus unserem Leben?“ trifft recht genau den melancholischen Grundton der Korrespondenz der beiden Autoren.
Briefwechsel zwischen Bachmann und BöllDie Zwänge einer literarischen Existenz

Heinrich Böll
Copyright: picture alliance / Heinz Wieseler/dpa
Mit grundstürzenden Neuigkeiten über Heinrich Böll (1917-1985) und Ingeborg Bachmann (1926-1973) ist nicht mehr zu rechnen. Immerhin gehören die beiden zum innersten Kreis der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Die Veröffentlichungen über den Deutschen und die Österreicherin sind ohne Zahl. Und doch ist über ihre Freundschaft bislang wenig bekannt.
Nun aber liegt der gemeinsame Briefwechsel vor, der lange unter Verschluss gehalten wurde: „Was machen wir aus unserem Leben?“. Dass es sich bei dem Band um eine editorische Spezialität handelt, machen nicht nur die beiden Schutzumschläge deutlich. Es kooperieren hier auch drei renommierte Verlage – nämlich Kiepenheuer & Witsch, in dem das Werk von Heinrich Böll erscheint, sowie Piper und Suhrkamp, die zusammen die „Salzburger Edition“ von Ingeborg Bachmanns Werken vorantreiben.
Der Titel „Was machen wir aus unserem Leben?“ trifft recht genau den melancholischen Grundton der Korrespondenz. Da fanden zwei zueinander, die vielfach Klage führten und beharrlich einander bedauerten. Zwei Hauptnöte lassen sich ausmachen. Zum einen ist es – vor allem in den 1950er Jahren – das fehlende Geld. Zum anderen sind es die Zwänge einer literarischen Existenz, wozu „Schreckliches“ wie eine Lesereise gehört.
Die Arbeit für den Rundfunk gilt beiden als lästige Notwendigkeit
Zumal Heinrich Böll sah auf dem Buchmarkt mehr Gegner als Gönner. Mit Blick auf die Verleger im Allgemeinen schreibt er: „Man muss den Burschen das Geld aus der Tasche ziehen.“ Über seinen Verleger im Besonderen heißt es: „Witsch steuert auf eine Krankheit zu, die mir recht unsympathisch ist: Größenwahn.“ Die Arbeit für den Rundfunk gilt beiden als lästige Notwendigkeit: Sie schreiben Hörspiele, die schnelles Geld bringen, aber wenig Erfüllung.
Der Schriftwechsel ist geprägt von großer Harmonie. Konflikte entzünden sich in keinem dieser 122 Briefe, die von 1952 bis 1972 geschrieben und ab den 1960er Jahre seltener werden. Offenbar wurde alles vermieden, was das Einvernehmen hätte trüben können. Schon gar nicht kritisierte man die jeweiligen Veröffentlichungen – wenngleich oder vielleicht weil sich die literarischen Ansätze sehr unterschieden.

Porträt der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (undatiertes Archivfoto).
Copyright: dpa
Es handelt sich um „freundschaftliche Lektüreberichte“, wie der Germanist Hans Höller im Vorwort schreibt. Dort verweist er auch auf die Anmerkungen von Herausgeberin Renate Langer, die „eine Vorstellung geben von dem staunenswerten Reichtum verborgener Beziehungen“ in diesen Briefen. Tatsächlich taucht die Herausgeberin tief ein in die Materie. Bölls Abschiedsfloskel „ich küsse Ihre Hand“ wird da zum schönen Anlass, den Handkuss in seinem Leben zu recherchieren. Ergebnis: „Er selbst pflegte diesen Brauch nur ausnahmsweise als Zeichen höchster Verehrung.“ So geschehen bei einem Besuch in der Sowjetunion im Jahre 1965, als er sich von der Dichterin Anna Achmatowa verabschiedete.
Gerade die frühen Briefe zeigen, wie sehr Heinrich Böll von der fast zehn Jahre jüngeren Kollegin fasziniert war. Aus der Schillerstraße 99 in Köln schreibt er 1954, als man noch nicht zum Du übergegangen war: „Liebe Inge, es ist mir sehr schrecklich, daran zu denken, dass ich plötzlich sterben könnte, ohne Sie noch einmal gesehen zu haben.“ Auch zeigt sich, dass er intensiv bemüht war, die Kollegin mit ihrem Werk zu seinem Hausverlag Kiepenheuer & Witsch zu locken: „Glauben Sie mir, dass ich mich sehr freuen würde, wenn Sie eines Tages auch Kiepenheuerin werden würden.“ Doch dazu kam es nicht.
Liebe Inge, es ist mir sehr schrecklich, daran zu denken, dass ich plötzlich sterben könnte, ohne Sie noch einmal gesehen zu haben
Beinahe stereotyp versichern die beiden einander, dass man sich nun sehr bald treffen müsse. Mehrfach lädt Böll die Briefpartnerin nach Köln ein. Im März 1953, als der Weltkrieg noch gar nicht so lange vorüber ist, schreibt er: „Wenn Sie herkommen nach Köln, werden Sie eine ruhige und schöne Stadt finden, nach deren Trümmern sich meine Kinder während eines Aufenthalts in England so sehr gesehnt haben, dass sie nach der Rückkehr nach hier, als der Zug durch die Trümmerkulisse einfuhr, ausriefen: ‚Endlich – die Trümmer!‘“ Tatsächlich besuchte Ingeborg Bachmann die Bölls am Rhein. Aber häufiger sahen sie sich andernorts, bei Treffen der Gruppe 47 oder in Rom, wo Ingeborg Bachmann eine Weile mit Max Frisch zusammenlebte.
Während Heinrich Böll in Irland sein Sehnsuchtsland entdeckt, reist Ingeborg Bachmann zum „International Seminar“ der Harvard University, an dem auch Siegfried Unseld und Henry Kissinger teilnehmen. New York findet sie „viel schöner als man sichs vorstellt.“ Doch der Gesamteindruck vom Land ist desaströs: „Ganz gewiss ist nur, dass man hier nicht leben kann, wenn man von ‚drüben‘ kommt, und ich versteht erst jetzt ganz, warum sich soviele Emigranten umgebracht haben, denn zu allem anderen hat ihnen wohl dieses Land den Rest gegeben.“
Ingeborg Bachmanns bereits vorliegende Briefwechsel mit Hans Werner Henze, Paul Celan, Hans Magnus Enzensberger, Günter Eich und Ilse Aichinger sowie Max Frisch haben insgesamt mehr Feuer. Und jene von Heinrich Böll mit Ernst-Adolf Kunz und Lew Kopelew mehr Tiefe. Bei diesen Paaren gab es offenkundig eine größere Nähe und engere Vertrautheit als zwischen Bachmann und Böll. Gleichwohl ist ihr Briefwechsel eine reich gefüllte Fundgrube. Wer sich der Autorin oder dem Autor und überhaupt der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit verbunden fühlt, findet hier einen attraktiven Lesestoff. Der Band zeichnet keine neuen Profile der beiden Protagonisten. Doch es glitzern viele Steinchen, die das Mosaik ergänzen.
Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll: „‚Was machen wir aus unserem Leben?‘ – Der Briefwechsel“, hrsg. von Renate Langer, Kiepenheuer & Witsch, Piper, Suhrkamp, 488 Seiten, 44 Euro.