Kritik zu „Das Opfer“Sentimentalität macht Berliner „Tatort“ sehenswert trotz einiger Macken

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Maik Balthasar und Robert Karow sitzen als Jugendliche nebeneinander vor Maiks Haus und schauen sich an.

Maik und Robert kannten sich schon als Jugendliche, es war Roberts erste große Liebe

Robert Karow (Mark Waschke) bleibt keine Zeit, um für seine verstorbene Partnerin Nina Rubin (Meret Becker) zu trauern. Der nächste persönliche Schicksalsschlag führt ihn zu einem neuen Tatort, der schmerzhafte Erinnerungen weckt.

Der Fall

Es ist sein alter Jugendfreund, Maik Balthasar (Andreas Pietschmann), der da ermordet im Wald liegt, mit einem Kopfschuss und zerschnittenem Gesicht. Robert Karow sieht sofort, dass es sich um eine Hinrichtung handelt. Schnell wird auch ein Täter gefasst, Mesut Günes (Sahin Eryilmaz), ein Berliner Nachtclubbesitzer und Mafioso, in dessen Umfeld Maik als verdeckter Ermittler gearbeitet hat. Die Polizei stürmt sein Haus, als er gerade mit seiner Familie und seinen Kindern gemütlich zu Abend isst. Die Günes schaffen es gerade noch ihre Jüngsten aus dem Weg zu schaffen, da rollen schon die Ordnungshüter heran, um sie an die Wand zu stellen und anzuschnauzen.

Clanchef Mesut Günes (Sahin Eryilmaz) wird im Gefängnis von Karow konfrontiert, er hat Tränen in den Augen.

Karow besucht Clanchef Mesut Günes (Sahin Eryilmaz) im Gefängnis

Wie sich herausstellt war Maik nicht nur irgendein Freund. Er war Karows erste Jugendliebe und das macht den Fall nach dem Verlust seiner Kollegin zur emotionalen Überforderung. Immer wieder findet er anhand von Spuren, die Maik hinterlässt: Eine Münze, die er als Kind stahl oder ein Symbol, das er als Kind auf Roberts Arm gemalt hat, den nächsten Schritt, den er gehen muss. Er findet aber auch Erinnerungen, die ihn näher an sein Trauma bringen.

Robert Karows Jugendliebe lässt ihn nicht los

Die Beziehung der beiden wurde früh unterbunden, als Roberts Vater die beiden nach ihrem ersten Kuss erwischte. Der wahrheitstreue Robert gestand sofort und Karow Senior schleppte dann Maik zu seinem Vater. Als Robert Maik wiedersieht, hat er ein blaues Auge und die beiden sind keine Freunde mehr. In Wahrheit hat Roberts Vater aber nichts über den Kuss verlauten lassen, sondern nur, dass Maik eine seiner Münzen gestohlen hat.

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Und mit eben dieser Münze setzt Maik Jahrzehnte später Karow an den Fall an. So führen die Hinweise Karow zu einer Sexarbeiterin in Günes Umfeld, Camilla (Kim Riedle). Die erzählt, dass Maik als Fahrer oft Sammy Paroussi (Luka Dimic) kutschiert hat, einen männlichen Eskort. Fortan avanciert Camilla zu Karows Partnerin. Als Metin Günes Bruder und sein Handlanger ihn erwischen, rettet sie ihm sogar das Leben, leider erst nachdem der Handlanger Karows Finger durchgeschnitten hat.

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Das Opfer | Tatort

Die Auflösung

Camilla und Karow finden einen versteckten Rückzugsort, in dem Metin Günes sich mit Sammy verabredete, der Clanchef hatte den Eskort als heimlichen „steady job“, also als exklusiven Liebhaber. Während seiner verdeckten Ermittlung führte auch Maik eine Liebesbeziehung mit Sammy. Als Günes Maik und Sammy zusammen erwischte, tötete er Sammy und ließ Maik am Leben, unter Androhung auch Maiks Frau und seine Kinder zu töten, sollte er nicht alles tun, was Günes verlangt. Er wollte, dass Maik auch mit dem Schmerz für Sammy weiterlebt.

Maik steht vor seinem schwarzen Auto und wartet auf Sammy. Im Hintergrund ist eine mit Graffiti besprühte Wand.

Maik Balthasar in seinem Job als Fahrer.

Doch dieser entschied sich stattdessen, die Hinweise wie Brotkrumen für Karow zurückzulassen und dann seinen eigenen Tod so zu inszenieren, dass Günes dafür ins Gefängnis kommen würde. Robert entscheidet sich, Günes damit zu konfrontieren und ist bereit dazu gerichtlich auszusagen, dass er Maik nicht getötet hat. Allerdings unter einer Bedingung: Günes muss dafür den Mord an Sammy gestehen. Damit würde seine Homosexualität bekannt, für ihn eine panische Vorstellung. Er verweigert es, flieht förmlich vor Karow.

Fazit

Der Tatort hat ein paar Macken. Narration aus dem off ist immer ein riskantes Unternehmen, und auch in diesem Fall scheint sie immer wieder überflüssig zu sein oder das Fass des Kitsch zum Überlaufen zu bringen, etwa als am Ende über mehrere Szenen Karows Brief an Maiks Frau vorgelesen wird, die im Fall ohnehin keine Rolle spielt. Dass er sich dann auch noch das Symbol seines Freundes an den Arm tätowiert und der Tätowierer sagt: „Das bleibt“, das ist dann irgendwann zu viel des Guten. Niemand muss so an die Hand genommen werden.

Im Handlungsstrang um Familie Günes verschenkt die Folge viel Potential. Als Metin Günes in seinem trautem Familienleben seinem Vater nur von seinen „Geschäftsverabredungen“ erzählt, dann auch noch die Polizei einbricht und die beiden sich anschauen, da wird das erste Mal der Druck spürbar, als türkischer Gangster und schwuler Mann an die Stelle eines Patriarchen treten zu müssen.

Die Liebe zwischen Männern ist in einer Welt der toxischen Männlichkeit stets eine Grenzüberschreitung. Vielleicht hat er deswegen in Sammy einen Menschen geknechtet, um sich geliebt zu fühlen. Doch im Rest der Folge wird die Familiendynamik unter den Günes leider nicht weitererzählt, es bleibt eine Leerstelle.

Vaterbeziehungen stehen im „Tatort: Opfer“ im Mittelpunkt

Stattdessen fokussiert sich die Folge auf Robert Karow, seine Erinnerungen an Maik und seine Vaterbeziehung. Diese wird gelungen und konsequent an ein befriedigendes Ende erzählt. Bemerkenswert, wie Karow fieberhaft und mit durchtrenntem Finger durch die Berliner Nacht rennt und wieder einen Mann küssen muss, bevor er endlich zu seinem Vater zurückkehren kann.

Und dann endlich sagen kann, nachdem sein Vater gesteht, die Beziehung zwischen ihm und Maik hätte er als ungesund empfunden: „Es war das einzig Gesunde, was ich je gefühlt habe für einen Menschen. In meinem ganzem Leben.“ Diese Sentimentalität und die Romantik machen den Tatort sehenswert.

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