Der Kölner Schauspieler Denis Moschitto über sein Debüt als „Tatort“-Kommissar, deutsches Fernsehen und klischeebeladene Rollen.
Denis Moschitto„Wir fühlen uns immer zum Dunklen hingezogen“

Denis Moschitto ist jetzt „Tatort“-Kommissar Mario Schmitt im Ersten zu sehen.
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Herr Moschitto, Sie sind nicht der allergrößte Fan des deutschen Fernsehens. Nun haben Sie aber ein Engagement als „Tatort“-Ermittler an der Seite von Wotan Wilke Möhring angenommen. Warum?
Als Schauspieler ist es ein Ritterschlag, „Tatort“-Kommissar sein zu dürfen. Aber ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich das machen möchte. Ich bin ja Kölner und ich liebe die Stadt, aber ich mag Norddeutschland auch sehr gerne. Ich habe immer eine Nähe gefühlt. Außerdem bin ich ein großer Fan von Wotan Wilke Möhring. Und das Finanzielle spielt natürlich auch eine Rolle. Ich bin Schauspieler, ich muss davon leben.
Warum sind Menschen so fasziniert von Krimis?
Wir fühlen uns immer zum Dunklen hingezogen. Das ist spannend. Ich mag auch Horror gerne. Bei mir hat es damit zu tun, dass das meine ersten Filmerfahrungen als Kind waren. Ich habe diese klassischen Hollywood-Horrorfilme aus den 50er-, 60er-Jahren gesehen. Das hat mich seelisch zerstört, aber es triggert etwas in mir. Das sind Filme, die politisch lesbar sind und die für mich heute noch gut funktionieren.
Sie spielen im „Tatort“ den Cyberkriminalisten Mario Schmitt, den man schon als ziemlichen Nerd bezeichnen kann, oder?
Ich bin selbst ein Nerd. Und ja, ich würde Mario Schmitt auch als Nerd bezeichnen. Ich glaube, Nerds sind großartig. Ich möchte eine gewisse Sympathie für diese Figur erwecken und einfach die Fahne für alle Nerds auf der Welt hochhalten.
In Deutschland ist Geld immer ein Thema. Wir versuchen, überall Kosten zu sparen
In Ihrem ersten Fall geht es um die Mocro-Mafia. Wie gelingt es, da nicht die klassischen Gangsterklischees zu reproduzieren?
Die Gefahr besteht. Andererseits versucht der „Tatort“, eine gewisse Realität widerzuspiegeln. Und kriminelle Vereinigungen sind ein Thema in Deutschland. Ich habe viel mehr Probleme mit Botschaften im Film. Krimis sollten sich darauf konzentrieren, gute, spannende Geschichten zu erzählen. Mich stört es, wenn mir etwas beigebracht werden soll, so banale Dinge wie „Rassismus ist schlecht“.
Ist das etwas Deutsches, pädagogische Botschaften vermitteln zu wollen?
Es gibt in Deutschland schon die Tendenz, Gründe finden zu müssen, aus denen man überhaupt eine Geschichte erzählt. Da sind wir noch nicht wirklich frei. Soziale Relevanz ist immer ein Thema. Ich wünsche mir Filme, die ein bisschen anders sind. Ich würde gerne einen deutschen Science-Fiction-Film sehen. Die ersten deutschen Filme waren Genre-Filme. Davon sind wir komplett weg.
Schmitts Partner Thorsten Falke ist extrovertiert. Sie spielen den introvertierten Cyber-Ermittler. Diese Gegensatzpaare gibt es häufig beim „Tatort“. Wie gelingt es, dass so eine Figur nicht zur Karikatur wird?
Man muss aufpassen, dass so eine Figur nicht lächerlich gemacht wird. Von mir aus sehe ich da keine Gefahr, aber es ist im deutschen Fernsehen oft so, dass Figuren für einen schlechten Gag verkauft werden. Dann reißt man sie runter, macht sie klein. Ich versuche, Mario Schmitt Kompetenz mitzugeben. Ich hoffe, er ist eine sehr ambivalente Figur. Das ist mein Versuch, ihn vor der Lächerlichkeit zu schützen.
Sie selbst haben sich auch früh für Technik interessiert, Sie haben sogar ein Buch über Hacking geschrieben.
Auf dem Papier klingt das spannender, als es ist. Ich habe sehr früh einen Computer gehabt. Das war eine unfassbare Investition für meine Eltern. Meine Mutter war da sehr vorausschauend und hat gesehen, dass Technik wichtig ist. Dann habe ich mich sehr viel damit beschäftigt. Ich habe viel gespielt, aber ich habe auch versucht zu verstehen, wie der Computer funktioniert. Da ist eine Faszination für Technologie entstanden, die mich bis heute nicht verlassen hat. Ich verfolge die Entwicklung bei der Künstlichen Intelligenz sehr aufmerksam. Das ist wie Magie.
Wie blicken Sie auf KI? Drehbücher kann sie heute schon schreiben, in Hollywood sorgte eine komplett KI-generierte Schauspielerin dieses Jahr für Aufsehen. Wie geht das weiter?
Es gibt Jobs, die komplett wegfallen werden. Synchronsprecherinnen und -Sprecher werden es in den nächsten Jahren extrem schwer haben. Und wenn man sich die Marvel-Filme anschaut, kann das auch eine KI schreiben. Aber Kino und Fernsehen haben das Theater nicht verdrängen können. Es gibt ein Interesse an echten Menschen. Ich möchte mir etwas anschauen, mit der Möglichkeit, zu sehen, wie Leute scheitern.
Aber welche Auswirkungen wird die Entwicklung für den deutschen Markt haben?
In Deutschland ist Geld immer ein Thema, mehr noch als in Hollywood. Wir versuchen, überall Kosten zu sparen. Man sieht es ja auch beim „Tatort“. Als ich meinen ersten „Tatort“ gemacht habe, hatten wir um die 30 Tage Zeit, um einen Film zu drehen. Das nähert sich immer mehr den 20 Tagen. Man versucht, zu konsolidieren. Man versucht, Dinge günstiger herzustellen. Da ist artifizielle Bildgenerierung eine Möglichkeit, Kosten zu drücken. Aber wir müssen auch mit der Kamera rausgehen und die Realität aufzeichnen. Das hat sonst ab einem gewissen Punkt nichts mehr mit Filmemacherei zu tun.
Als die Streamer aufkamen, hieß es, jetzt kommt das goldene Zeitalter der Serien. Mittlerweile findet sich dort sehr viel Mittelmaß. Die Euphorie ist verflogen, oder?
Ja, das ist auch mein Eindruck. Ich habe das Gefühl, dass diese goldene Zeit vorbei ist. In der HBO-Zeit mit den großen Serien wie „Die Sopranos“ sind Leute zusammengekommen, die gesagt haben, wir brauchen Qualität. So bekommen wir Zuschauer und Zuschauerinnen. Heute geht es nur noch darum, diese Kacheln herzustellen, dass man durchskippen kann. Qualität spielt keine Rolle mehr. Das finde ich tragisch. Es gibt ja auch dieses Second Viewing. Man produziert Sachen, die so lau sind, dass man parallel ins Handy schauen kann.
Mensch mit Migrationshintergrund, das ist eine Rollenschublade, in der man sehr gut leben kann
Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass Sie früher mit zwielichtigen Typen rumgehangen haben. Daraus wurde dann die Schlagzeile: Denis Moschitto war in einer Gang. Sind Sie also der kriminellen Karriere nur knapp entgangen?
Ich habe darüber nachgedacht und ich war tatsächlich in einer Gang. Wir waren eine Gruppe von zehn Leuten, haben uns jeden Tag getroffen und hatten nichts zu tun. Dann kommen junge Männer auf sehr dumme Gedanken. Wir haben Scheiße gebaut, anders kann man es nicht sagen. Ich habe immer einen Abstand empfunden, bin nie mit der Polizei in Kontakt gekommen. Aber viele aus meinem Umfeld schon. Da sind einige Verbrecherkarrieren gestartet, die nicht gut ausgegangen sind.
Nach dem Abi haben Sie angefangen, Philosophie zu studieren. Aber der Plan war schon immer, Schauspieler zu werden, oder?
Ich weiß gar nicht, ob das mein Plan war. Als sich die Möglichkeit auftat, habe ich sie ergriffen und es versucht. Ich war sehr blauäugig. Ich dachte, das wird funktionieren und hatte mehr Glück als Verstand, denn die Wahrheit ist, Talent allein reicht nicht. Es braucht Glück. Man muss an der richtigen Stelle zur rechten Zeit sein.
Anfang der 2000er hatten die Rollen, die Ihnen angeboten wurden, fast immer einen Migrationshintergrund. Wie sehr hat Sie das gestört?
Ich habe das nie so richtig als Problem empfunden, besonders auch, weil mir bewusst geworden ist, dass ich dadurch überhaupt eine Karriere hatte. Das ist eine Schublade, in der man sehr gut leben kann. Ich empfand es als sehr viel problematischer, dass ich oft Rollen verkörpern sollte, die klischeebeladen waren.
Wie sahen solche Klischees aus?
In der Migrantengeneration der Türkinnen und Türken zum Beispiel gab es Zuströme aus Ostanatolien. Das waren arme Leute. Aber es gab auch die Intellektuellen und politisch Verfolgten. Aus diesen Familien haben sich die Kinder oft für künstlerische Berufe entschieden. Das sind moderne Leute, die Brüder spielen müssen, die versuchen, ihre Schwestern zu töten, weil die sich verliebt haben. Das war mein Hauptproblem. Ich habe aber das Gefühl, das hat sich sehr gebessert. Jetzt habe ich keine Probleme, einen Mustafa zu spielen.
Dennoch gibt es einen Rechtsruck, der gerade auch vielen Deutschen mit Migrationshintergrund Angst macht. Wie ist das bei Ihnen?
Erst mal ist man da schon sehr verzweifelt. Es wird unangenehm, wenn man auf die steigenden Umfragewerte für die AfD schaut. Auf der anderen Seite ist diese Debatte so vergiftet. Das macht mich hilflos. Ich wünschte mir einen offeneren Dialog. Die Leute, die Angst haben vor Überfremdung, sind ja nicht alle Nazis. Man muss sie in den Dialog holen. Natürlich bin ich für eine offene Gesellschaft und für Multikulturalität. Aber ich muss auch mit denen ins Gespräch kommen, die das nicht wollen. Man schimpft auf die anderen und hört nicht mehr zu. Das finde ich problematisch. Man drängt die Leute weiter an den rechten Rand.
Sie haben mal gesagt, dass Sie am Anfang Ihrer Karriere das Ziel hatten, berühmt zu werden. Vor einigen Jahren sagten Sie in einem Interview: Prominenz ist scheiße. Das widerspricht sich ja.
Ich finde es mittlerweile gut, dass nicht jeder weiß, wer ich bin. Es war anfangs eine Ego-Sache. Ich wollte gesehen werden. Ich habe Freunde, die sehr erfolgreich geworden sind. Da habe ich festgestellt, dass das nichts für mich ist. Ich hatte mit Daniel Brühl eine WG, der ist ja zu der Zeit total durch die Decke gegangen. Irgendwann habe ich ihn angeschaut und war überhaupt nicht eifersüchtig, weil ich den Stress gesehen habe, den er durchzumachen hatte. Er war sehr gut darin, damit umzugehen, aber ich bin darin ganz schlecht. Ich ziehe mich zurück und will mit niemandem reden. Heute weiß ich: Privatsphäre zu haben, ist ganz wertvoll.

