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Der Architekt des Wiederaufbaus

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Im Mittelalter waren Kirchen immer auch mächtige Riesen, deren Bäuche Schutz und Sicherheit versprachen. Wo weiß man das besser als in Köln, das gleich zwölf romanische Kirchen sein Eigen nennt. Auch die Gotteshäuser, die Gottfried Böhm in seiner Heimatstadt gebaut hat, rufen uns ihr „Unser Glaube ist eine feste Burg“ schon aus der Ferne zu. Wie ein zerklüftetes Gebirge ragt Christi Auferstehung in den Lindenthaler Himmel und schlägt dabei einen so eleganten Bogen zur romanischen Architektur, wie man es vom Beton-Brutalismus der 1960er Jahre nicht erwartet hätte.

Vermutlich hätte Böhm in keiner anderen Stadt der Architekt werden können, der er heute ist: fest in Region und Tradition verwachsen und gerade deswegen unter Architekten weltberühmt. Als einziger deutscher Baumeister erhielt er 1986 den Pritzker-Preis, die bedeutendste Auszeichnung, die es in der Welt der Baukunst zu verleihen gibt. Allein die Pfade zwischen seinen Kölner Kirchen ergeben eine moderne Via Sacra, wobei die wichtigste Böhm’sche Pilgerstätte mit der Wallfahrtskirche Maria Königin des Friedens in Velbert-Neviges liegt. Am schroffen Antlitz dieses Betonmassivs geht niemand unberührt vorüber, das weitläufige Innere erinnert in seinen Maßen an einen mittelalterlichen Marktplatz.

Es ist immer wieder verblüffend, wie gekonnt Böhm eine Linie vom Mittelalter über den Expressionismus der 1920er Jahre bis in die Nachkriegsmoderne zieht. Man geht wohl nicht mit der Vermutung fehl, dass diese Sicherheit nicht zuletzt biografische Gründe hat. Böhm wuchs in einer Architektenfamilie auf, in der Handwerk, Arbeitsethos und technisches Wissen als Herausforderung an die jüngere Generation weitergegeben wurden; diese sollte durch gemäßigten Fortschritt vor der älteren bestehen. So blieb Böhm stets relativ unbeeindruckt von den internationalen Architekturmoden. Zwar führten ihn seine Lehr- und Wanderjahre nach dem Krieg auch in die USA zu Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe, den Hohepriestern des funktionalen Stils. Aber daheim in Köln gab es andere Aufgaben, allen voran den Wiederaufbau zerstörter Kirchen. Spuren des International Style finden sich immerhin bei einigen wenigen Privathäusern dieser Zeit, darunter auch Böhms eigenes Heim.

Die Geschichte der Architekturfamilie Böhm in Köln begann im Jahr 1926, als Dominikus Böhm an die Kölner Werkschulen berufen wurde und in seiner neuen Heimat rasch zum wichtigsten Kirchenbaumeister aufstieg. Seinen Sohn Gottfried holte er ins väterliche Büro, den ersten Auftrag reichte er ihm 1947 weiter. Bereits dieses Erstlingswerk, der Neubau der im Krieg zerstörten Kapelle St. Kolumba, sicherte Böhm einen Platz in der Stadtgeschichte. Für das kölsche Gemüt gab es damals kaum ein wichtigeres Projekt als das neue Haus für die wie durch ein Wunder von den Bomben verschonte Skulptur der Muttergottes.

Obwohl sich Gottfried Böhm niemals als reiner Kirchenbauer verstand, gründet seine Karriere doch auf dem Fundament des Glaubens. In den deutschen Nachkriegsjahren gehörte die katholische Kirche zu den wichtigsten Bauherren für anspruchsvolle moderne Architektur – gerade auch in Böhms Entwürfen war sie dem vatikanischen Credo weit voraus. Bei Böhm gipfelt der Kirchenturm häufig über der Gemeinde statt über dem Altar, was im Grunde revolutionärer war als die unregelmäßig gefalteten Betondecken, mit denen Böhm die expressionistische Architektur (nicht nur des Vaters) neu interpretierte. Ähnlich wie Hans Scharoun, einem anderen großen Nachkriegsarchitekten, schrieb er die dem Bauhaus vorangegangene Moderne im „Medium“ des Betons fort.

Als selbst im Rheinland der Bedarf an Kirchen gesättigt war, konnte sich Böhm im Profanen beweisen. Bereits 1951 hatte er sich mit seinem Vater erfolglos um den Auftrag für das Kölner Wallraf-Richartz-Museum beworben, jetzt schuf er neben Kultur- und Geschäftsbauten mehrere Rathäuser. Auch diesen sieht man zuweilen die klerikale Formsprache an, etwa dem weltberühmten Rathaus von Bensberg. Für diesen Bau setzte Böhm eine machtvolle Schutzgebärde auf die Reste eines alten Schlosses und schraubte das Gedrungene des historischen Altstadtkerns kraftvoll in die Höhe. In unmittelbarer Nachbarschaft zum erhaltenen Barockschloss ist Böhms demokratisches Gebäude ein imposantes Monument des freien Bürgerwillens.

Als regional verwurzelter Architekt scheint Böhm eine gewisse Scheu vor internationalen Großprojekten zu haben; jedenfalls sind Wettbewerbsbeiträge wie der Entwurf für die Walt Disney Concert Hall die (in diesem Fall unverwirklichte) Ausnahme. Seine ungewöhnliche Neigung zur Tradition machte ihn zum perfekten Vordenker für die Neugestaltung des Berliner Reichstags, dessen Kuppel dann allerdings Norman Foster baute.

Auch sonst griff der Kölner Baumeister vor allem in den 1980er Jahren immer wieder gerne auf traditionelle Bautypen wie die dreischiffige Basilika zurück, um sie den aktuellen Erfordernissen anzupassen. Ganz wollte er sich aber offenbar auch nicht von den Architekturmoden abnabeln, hin und wieder probierte er sich in ihnen aus. Dafür stehen vor allem die stürzende Schauseite der (gemeinsam mit seinem Sohn Paul Böhm) entworfenen Kölner WDR-Arkaden, die Zeltdachkonstruktionen für eine Allgäuer Wallfahrtskirche und die nach außen verlegten Rohre und Treppen beim Statistischen Landesamt in Düsseldorf.

Das Selbstbewusstsein des stolzen Architekten zeichnet freilich auch diese Böhm’sche Bauwerke aus. Stets wollte er Gebäude schaffen, die aus der Allerweltsmoderne herausstechen – das nach dem Krieg eilig wieder aufgebaute Köln lieferte ihm in dieser Hinsicht viel Anschauungsmaterial. Der Gefahr, dabei hochmütig zu werden, entging Böhm durch die väterliche Schule – und durch das gesunde Misstrauen gegen Architektur-Utopien, wie sie gerade im modernen Siedlungsbau verwirklicht wurden. Für die Satellitenstadt Köln-Chorweiler entwarf er kleinteilige Wohnbezirke mit Plätzen und Straßen, die eben nicht wie am Reißbrett entstanden wirken, sondern – so gut es ging – die gewachsene Struktur eines kleinstädtischen Milieus nachahmen. Netzartige Stahlkonstruktionen auf den Balkonen lockern zudem die schweren Fassaden der Wohnsilos auf.

Bei Gottfried Böhm sind sogar Betonbunker dem Menschen zugewandt – so wie er selbst stets darum besorgt war, wie seine Bauten angenommen werden. Zur Eröffnung des Bürgerhauses in Bergisch Gladbach mischte sich der Architekt mit falscher Glatze und Pappnase unter die Karnevalisten, um den ersten Ansturm auf sein Gebäude hautnah mitzuerleben. Es spricht Bände über Böhm, dass er Praxistests nicht scheute. Noch ein schöner Grund, um stolz auf diesen Meister aus Köln zu sein.

KURZE WEGE ZU EINEM WELTSTAR

Am 23. Januar 1920 wurde Gottfried Böhm als Sohn des Baumeisters Dominikus Böhm geboren. Von Böhm stammen nicht nur die prächtigsten Betonkirchen der Stadt und in der Region, sondern auch Rat- und Bürgerhäuser, die kunstvoll zerlegten WDR-Arkaden und der beste Teil von Chorweiler. Als einziger deutscher Architekt wurde er 1986 mit dem renommierten Pritzker-Preis geehrt.

Man hat also in Köln das Glück, sich dem Werk eines Weltstars per Spaziergang nähern zu können. Auf keinen Fall verpassen sollte man dabei die grandiosen Betonfelsen der Kölner Kirchen St. Gertrud und Christi Auferstehung. Für Böhms Hauptwerk, die Wallfahrtskirche in Velbert-Neviges, muss man ebenfalls nicht weit fahren. Jenseits des skulpturalen Betons gibt es von Böhm weniger spektakuläre, aber nicht weniger durchdachte Bauten zu sehen: der Bergische Löwe in Bergisch Gladbach etwa oder die Wohnsiedlung Gütergasse in Zündorf.