Der neue Intendant zum Beethovenfest„Jedes Konzert soll einzigartig sein"

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Steven Walter      

Bonn  – Herr Walter, die zentrale Frage an den neuen Intendanten: Wo steht das Bonner Beethovenfest, und wo soll es unter Ihrer Ägide hin? Steven Walter: Ich komme ja sozusagen aus dem Off zu dieser ehrenvollen Aufgabe, habe bislang als Cellist meine eigenen Projekte gemacht, dann mein eigenes Festival gegründet. Für mich ist das Beethovenfest eines der großen Klassikfestivals in Deutschland – ich habe da übrigens früher schon eben als Cellist mitgespielt. Zugleich ist die Tatsache, dass gerade ich in meinem Alter und mit meiner Vorgeschichte zum Intendanten gewählt wurde, ein Zeichen dafür, dass die Frage: Wie geht es weiter? in der Tat auf dem Tisch liegt. Meine Generation ist ja auf ganz anderen Wegen, in einer anderen medialen Realität als die Vorgänger zur Musik gekommen. Dadurch ändern sich die Prämissen auch für ein solches Festival.

Inwiefern?

Die Anforderungen an das Konzerterlebnis haben sich verändert, der programmatische Möglichkeitsraum weitet sich, ein bewusster Umgang mit Multimedialität wird wichtiger. Ich bin übrigens optimistisch, was die Zukunft des Konzerts generell anbelangt. Das ist – das merken wir auch in der Corona-Krise – eine für Künstler wie Publikum wertvolle Plattform, die sich aber weiterentwickeln muss. Beim Beethovenfest ist diesbezüglich ja auch schon viel passiert. Meine Vorgängerinnen haben viele neuen Entwicklungen integriert und nun bin ich dran, eine neue Idee für das Beethovenfest zu entwickeln. Dahinter steht die Frage: Wie kommen wir raus aus der Denkmalschutzhaltung des Klassik-Betriebes und rein in lebendiges klassisches Musikschaffen?

Was also wollen Sie anders machen als Nike Wagner?

Ich bin eine komplett andere Figur mit gänzlicher anderer Prägung. Ich glaube, dass Musik in erster Linie eine sinnliche und keine intellektuelle Angelegenheit ist. Meine zentrale Frage ist: Wie kann man das besondere Erlebnis im Konzert herstellen? Wie sieht das Format aus, wie sind die Umstände des Musikhörens? Musik also nicht als l’art pour l’art, sondern eingebettet in einen sozialen und körperlichen Kontext. Als Halb-Amerikaner bin ich auch durchaus popkulturell geprägt, daher kommt mein Interesse für den Zusammenhang von Öffentlichkeit und Musik.

Steven Walter, im November 2021 zum Nachfolger von Nike Wagner in der Intendanz des Bonner Beethovenfestes ernannt, wurde 1986 in eine deutsch-amerikanische Familie hineingeboren und wuchs in der Nähe von Stuttgart auf. Mit acht Jahren begann er das Cellospiel, studierte nach dem Abitur das Instrument auch in Oslo und Detmold und trat als Solist und Kammermusiker europaweit auf. Er war Mitglied des International Mahler Orchestra und Gründungsmitglied der Badischen Kammerphilharmonie.

Neben seiner Karriere als Musiker wirkte Walter, bislang wohnhaft in Stuttgart und Berlin, als Kulturunternehmer und -manager, u.a. als Gründer und künstlerischer Leiter des PODIUM Festivals Esslingen. In Anerkennung seiner Arbeit als innovativer Musikförderer erhielt er 2010 den ECHO Klassik und wurde zum Kulturmanager des Jahres 2011 ernannt. Er referiert regelmäßig zu Themen des Konzertdesigns und des Kulturmanagements. (ksta)

Was planen Sie konkret?

Jedes Konzert soll möglichst einzigartig und voller Überraschungen sein – eben nicht von der Stange. Wir werden viel mit Residenzen arbeiten, sehr besondere Ensembles wie etwa Spira Mirabilis nach Bonn holen. Bei denen stehen ja öffentliche Probe und Gespräch, kurzum: das „Werden“ eines Musikereignisses, ungleich stärker im Fokus als bei Traditionsorchestern. Wir werden neue Spielstätten auf originelle Weise bespielen, zum Beispiel den früheren Bundestagsplenarsaal oder die Villa Hammerschmidt.

Sie wollen die Zugänglichkeitsschwellen senken?

Ja, es geht mir um ein zugewandtes Festival. Wie kommen wir ins Gespräch mit dem Publikum, wie kann man maximale Nahbarkeit, „Entanonymisierung“ zwischen Künstler und Publikum bewirken? Wir werden also Gesprächsformate haben, aber auch „Wandelkonzerte“ mit dem Hannoveraner „Orchester im Treppenhaus“. Da kauft man dann ein Ticket, weiß aber nicht, was kommt. Wir werden an allen möglichen Orten in der Stadt spontan erscheinen. Es kommt darauf an, Überraschungsmomente zu erzeugen – so ein Festival muss ein Ausnahmezustand sein.

Das Motto Ihres ersten Festivals?

„Alle Menschen“, ausgehend natürlich von der berühmten Stelle in Schillers Freudenode. Das meint: Wie können wir als Festival divers und inklusiv sein? Wir arbeiten – um nur mal dieses Extrembeispiel zu nennen – mit Blinden und Sehbehinderten zusammen, um „Dunkelkonzerte“ zu machen. Musik in totaler Dunkelheit – die ultimative Reduktion auf den Klang. Es ist überhaupt ein Fokus, Menschen in das Festival zu bringen, die da sonst keinen Zugang hätten. Niederschwelligkeit muss sich aber verbinden mit den hohen künstlerischen Ansprüchen, die so ein Festival haben muss. Und für die Liebhaber des klassischen Formats wird es auch viel geben.

Beethoven bleibt die zentrale Figur des Festes. Wie wollen Sie ihn positionieren?

Naheliegend wird Beethovens Werk eine zentrale Rolle spielen. Was aber nicht heißt, dass man in jedem Jahr einen Sinfonienzyklus anbieten muss. Beethoven braucht kein Revival. Was er aber gerade in Bonn braucht, das ist „Manifestation“ statt „Repräsentation“. Es sollte darauf ankommen, seine Energie, seinen Geist, auch seine politische Dimension unter den Bedingungen unserer Zeit lebendig zu halten. Zu Beethovens Zeit entstand das Konzert als Institution – damals hieß es „Akademie“. Das war übrigens eine abgefahrene Veranstaltung von vier Stunden Dauer. Wie kann man das Konzert als künstlerische Plattform heute weiterentwickeln?

Ja, wie denn?

Wir werden zum Beispiel im Viktoriabad – da stand mal die erste Beethovenhalle – eine Festivalzentrale mit langen Konzertnächten installieren, mit jeweils eigenen Porträtthemen auch zu zeitgenössischen Komponisten.

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Nun gibt es in Bonn ein starkes Traditionspublikum, das „seinen“ Beethoven haben will und das Sie ja sicher nicht vor den Kopf stoßen wollen...

Zunächst einmal erarbeitet man sich viel künstlerische Freiheit durch schiere Präsenz – man muss mit den Menschen reden und erklären, warum es sich lohnt, sich auf Neues einzulassen. Also, ich arbeite sehr daran, dass man mir vertraut. Klar ist: Man muss die „Traditionalisten“ mitnehmen, darf sie niemals als zurückgeblieben abtun. Davon abgesehen werden wir natürlich denen, die das klassische Format wollen, sehr viel bieten können. Aber ich werde auch viel Neue, aber sinnliche, „genießbare“ und im besten Sinne aufregende Musik machen.

Sie starten im Zeichen einer universalen Krise. Die hat in Bonn zwei Namen: Corona und Spielstättenproblematik.

Zu Corona: Wir gehen davon aus, dass wir im Spätsommer einigermaßen „normal“ spielen können. Aber sicher haben wir im Hinterkopf die Frage: Welche Kontingentlösungen gibt es? Insgesamt ist der Hunger nach Musik, der Nachholbedarf groß, da haben wir möglicherweise neue „Goldene 20er“ vor uns.

Und die Spielstätten?

Das Fehlen der Beethovenhalle ist eine „höhere Gewalt“, mit der wir zurande kommen müssen. Wir spielen in der Oper, in der Uni-Aula, im Pantheon, in den Kirchen und sonst überall. Aber es stimmt schon: Es fehlt der Ort für das große sinfonische Format. Darauf müssen wir programmatisch und konzeptionell reagieren. Wir werden auch in die Stadtteile gehen, kleine Stadtteilfeste machen.

Und wo spielen Sie die Neunte?

Die haben wir 2022 nicht im Programm. Wohl aber andere Beethoven-Sinfonien und einige große sinfonische Formate – die spielen wir in der Oper und wo auch immer Platz ist – das geht schon. Wir müssen in vielerlei Hinsicht kreativ werden. Das ist jetzt unsere Aufgabe.

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