„Hart aber fair“ zum Fachkräftemangel„Potenziale in Deutschland nicht ausgeschöpft“

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Hart aber fair

Frank Plasberg leitete am Montagabend eine Diskussion über den Fachkräftemangel.

Köln – Während die Hörsäle der Hochschulen immer voller werden, suchen Handwerksbetriebe nach Auszubildenden. Dass es in Deutschland an Fachkräften fehlt, ist offensichtlich. Die Lösungen des Problems nicht. Deshalb fragte Moderator Frank Plasberg am Montagabend in seiner Sendung „Hart aber fair“: „Warum gehen Deutschland die Fachkräfte aus?“

Über das Thema diskutierten folgende Gäste:

  • Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales
  • Rainer Brüderle (FDP), ehemaliger Wirtschaftsminister, Präsident des bpa-Arbeitgeberverbandes
  • Janne Wissler, Parteivorsitzende Die Linke
  • Simon Meinberg, Tischlermeister, Inhaber und Geschäftsführer einer Tischlerei in Berlin
  • Dieter Könnes, Verbraucherjournalist, Moderator der WDR-Servicezeit-Sendung „Könnes kämpft“

Schon in der Vorstellungsrunde gibt es die erste Meinungsverschiedenheit, ohne, dass die Gäste ein Wort gesagt hätten. Eine gute Ausgangsposition für eine Talksendung. Der FDP-Mann Rainer Brüderle wird im Eingangsstatement mit den Worten zitiert, man müsse die hiesigen Probleme mit qualifizierten Zuwanderern abfangen. Janine Wissler von den Linken findet, stattdessen müsse endlich für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne, vor allem in der Pflege, gesorgt werden.

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Das wird allerdings nicht sofort ausdiskutiert. Erst einmal will Plasberg die Frage nach dem „warum“ klären. Die erste Antwort darauf muss natürlich Hubertus Heil geben. Der sieht die Probleme in der Aufklärung über den Arbeitsmarkt in der Schule, aber auch in Menschen, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Und das „wie“? Klar, „das geht nur gemeinsam“, die Politiker-Phrase hat Heil schon früh am Abend abgehakt.

„Vielleicht denken sie, man könne mit Tiktok einfacher Geld verdienen“

Konkreter wird es, als Plasberg Simon Meinberg ins Boot holt – der sich bewusst gegen das Abitur und für eine Ausbildung entschieden hat, als Tischler. Heute führt er insgesamt fast 100 Fachkräfte. Und kann aus eigener Erfahrung berichten, wie schwer er es bei der Suche nach Fachkräften hat. Immerhin hat er knapp 130 Bewerbungen für Ausbildungsplätze. Vielleicht auch, weil er vergleichsweise aktiv auf die jungen Menschen zugeht. Zum Beispiel bei Tiktok, wie Plasberg einwirft.

Tiktok, das Internet, sind ein Thema in der Runde. Verbraucherjournalist Dieter Könnes beobachtet, dass jungen Menschen die Einstellung fehle, „vielleicht denken sie, man könnte mit Tiktok einfacher Geld verdienen.“ Aber nicht nur die jungen Menschen selbst, auch die Schulen und damit die Politik sei an der Reihe. „Schülerinnen und Schüler brauchen die Möglichkeit, in Berufe reinzuschnuppern. Das ist ein bildungspolitisches Problem.“ Meinberg sieht das auch so: „Es ist wichtig, früh anzufangen, die Tür aufzumachen, damit Interessen überhaupt entstehen.“

Einwanderung oder ungenutzte Potenziale in Deutschland?

Von der Bildungs- geht es weiter zur Einwanderungspolitik. Heil und Rainer Brüderle sind am Zug. Es geht um die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte, um die Anerkennung von Ausbildungen in anderen Staaten. Natürlich waren die anderen (Heil: „die Konservativen“) Schuld, außerdem sei die Gesetzeslage kompliziert. So richtig kommt die Diskussion hier nicht in Gang, da wird sich Plasberg freuen, dass Janine Wissler einspringt. Sie lenkt den Blick vom Aus- ins Inland. Beim Blick auf die Arbeitslosenzahlen seien „die Potenziale in Deutschland nicht ausgeschöpft“, findet sie. Nicht die Demographie sei das Problem, sondern die Arbeitsbedingungen in vielen Berufen, zum Beispiel in der Pflege. „Da haben viele den Beruf verlassen.“ Und bis die Arbeitsbedingungen sich nicht bessern würden, „braucht man sich nicht wundern, dass es einen Fachkräftemangel gibt.“ Da ist sie, die Meinungsverschiedenheit aus der Vorstellungsrunde.

Ausdiskutiert werden soll sie am Thema Pflege, so richtig funktioniert das aber nicht. Brüderle, der als Präsident den bpa-Arbeitgeberverband in der Pflegekommission vertritt, weist auf gestiegene Löhne in der Pflege hin. Dann geht es um Tarife und Gewerkschaften. Etwas theoretisch, etwas an den praktischen Problemen vorbei. Das wirft dann auch Könnes ein, „es wird herrlich miteinander gestritten, aber nicht über die Menschen geredet, die es betrifft.“ Es gehe nicht nur ums Geld. Heil und Wissler erwähnen, dass in Tarifverträgen mehr als Löhne geregelt seien. Aber die Aussage von Könnes trifft doch einen Punkt. Denn praxisnah ist die Diskussion absolut nicht, die Gäste aus der Politik reden weit von wirklichen Lösungen entfernt.

Wartezeiten von mehreren Monaten

Wohl ebenso weit von Lösungen entfernt ist das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“, das Plasberg in einem Gespräch mit der Rechtsanwältin Bettina Offer thematisiert. Sie hat sich auf Fachkräftezuwanderung und Ausländerbeschäftigungsrecht spezialisiert. Und erzählt: „Viele Unternehmen suchen sich ihre Fachkräfte im Ausland selbst.“ Aber dann werde es schwierig. Deutschland fehle schlichtweg die Infrastruktur, um ein solches Maß an Fachkräften in das Land zu holen. „Die Ausländerbehörden sind schlichtweg überfordert, wir haben teilweise Wartezeiten von mehreren Monaten“, sagt Offer.

Wie es besser geht, will Plasberg wissen. „Wenn man es ernst meint, muss man Geld in die Hand nehmen“, sagt Offer. Die Infrastruktur müsse massiv ausgebaut werden. Ein Zitat bringt es wohl auf den Punkt: „Ich freue mich über jede Behörde, die noch ein Fax hat. Die kann ich noch erreichen.“

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Und nach dem Gespräch wird ein Politiker dann doch noch konkret und realitätsnah. Hubertus Heil erzählt, wie eine neu geschaffene Behörde den Antragsstau bei den Visa auflösen soll, dass die Beschäftigungsduldung ein Thema ist. „Ich habe mit Handwerkern gesprochen, die haben Leute ausgebildet. Aber die können diese Leute nicht behalten, weil denen die Abschiebung droht.“ Drei Punkte seien wichtig beim Thema ausländischer Fachkräfte: das Visum und die Arbeitserlaubnis, die Sprache und die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen.

Es sei viel verpennt worden, gibt Heil zu. „Aber wir gucken jetzt auf Lösungen.“ Das hört sich nach der nächsten Phrase an, Könnes mahnt, „es ist fünf nach zwölf“, Plasberg wirft ein, das Wort „jetzt“ habe er schon vor Jahren gehört. Aber Meinberg kann bestätigen: „Es passiert etwas. Es gibt wieder mehr Zulauf im Handwerk, einen großen Topf an Fördermitteln, damit das Handwerk wieder attraktiv wird. Aber trotzdem ist noch viel Luft nach oben. Wichtig ist, dass der Groschen fällt.“ Dass dies passiert ist, kann Bundesminister Heil nun mit Taten beweisen.

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