Ise Gropius bei Konrad AdenauerWie das Bauhaus beinahe kölsch wurde

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Hätte auch in Köln stehen können: Der berühmte Schriftzug am von Walter Gropius entworfenen Bauhausgebäude in Dessau (1925/26)

Hätte auch in Köln stehen können: Der berühmte Schriftzug am von Walter Gropius entworfenen Bauhausgebäude in Dessau (1925/26)

Köln – Das große Bauhaus-Jubiläum wirft seine Schatten voraus. Museen und Institute kündigen für 2019 einen Ausstellungsreigen an und in den Buchverlagen stapeln sich die Bauhaus-Titel. Alle wollen teilhaben an der Erfolgsgeschichte der 1919 in Weimar gegründeten Staatlichen Hochschule für Gestaltung, die weltweit zu einem Synonym für moderne Architektur und modernes Design wurde. Obwohl das Bauhaus in den lediglich 14 Jahren seines Bestehens eine Vielzahl von Ideen und Stilen hervorbrachte, hat es sich im Ganzen zu einer der mächtigsten Marken des 20. Jahrhunderts entwickelt. Auch Architekten und Gestalter, die niemals am Bauhaus tätig waren, werden diesem häufig zugeschlagen, solange sie nur zur Moderne zählen.

Gefeiert wird das Jubiläum vor allem am Gründungsort Weimar, in Berlin, Sitz des Bauhaus-Archivs, und in Dessau, wohin das Bauhaus 1925 umzog, wo es wurde, wofür es heute steht, und wo die rekonstruierten Bauhaus-Gebäude als Weltkulturerbe das Publikum anziehen. An Köln gehen die Festivitäten naturgemäß vorbei, dabei hätte alles auch ganz anders kommen können. Im September 1924 verhandelte Ise Gropius, die Ehefrau des Bauhaus-Gründers Walter Gropius, mit dem damaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer über einen Umzug des unter politischen Druck geratenen Bauhauses nach Köln – und offenbar waren beide Parteien der Idee sehr zugetan. Walter Gropius sah die Zukunft der Hochschule damals bereits außerhalb von Weimar, und Adenauer suchte nach Wegen, das kulturpolitische Profil der Stadt Köln zu schärfen. Wie konkret das Interesse beider Seiten tatsächlich war, wie weit die Verhandlungen gediehen und warum nichts aus den Umzugsplänen wurde, das ist kaum erforscht und immer noch ein Rätsel. Eines lässt sich aber ohne Übertreibung sagen: An Köln ging damals eine historische Gelegenheit vorüber.

Die Geschichte beginnt damit, dass Ise Gropius im Spätsommer 1924 zur Kur ins Sanatorium nach Opladen bei Leverkusen fährt. Als jungvermählte Ehefrau des Bauhaus-Direktors hatte sie zwar keine offizielle Funktion, doch ihr Leben glich damals einem Werbefeldzug für das Bauhaus. Sobald es ihr besser ging, setzte sie diesen auch in Köln fort. Ihre wichtigste Adresse war Auguste Adenauer, genannt Gussie, eine ehemalige Mitschülerin und die zweite Ehefrau des Kölner Oberbürgermeisters. In ihren Briefen erstattete Ise Gropius ihrem Ehemann detailliert Bericht: „Ich revolutioniere ganz Köln samt dem Oberbürgermeister für das Bauhaus und nun soll es gar hierher!“, schrieb sie am 28. September. „Wir fuhren dann zum Oberbürgermeister und ich muss sagen, dass ich einen sehr sympathischen Eindruck von Adenauer hatte. Ich schilderte ihm erst die politische Lage, dann die Bauhausarbeit, über die er in keiner Weise unterrichtet war, die ihn aber sichtlich interessierte. Ich war 1,5 Stunden bei ihm, was überall größtes Erstaunen erregte und meine Situation entschieden erleichtert. Alle nennen mich hier Frau Bauhaus.“

Buch zu Ise Gropius

Das Leben von Ise Gropius, Ehefrau des Bauhaus-Gründers Walter Gropius, erzählt die Architekturhistorikern Jana Revedin in ihrem biografischem Roman „Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus“ (Dumont Buchverlag, 304 S., 22 Euro). Wie über so viele Frauen berühmter Männer gibt es auch zu Ise Gropius weit mehr zu berichten, als es die Geschichtsschreibung lange wahrhaben wollte. (KoM)

Der Besuch von „Frau Bauhaus“ fand zu einem günstigen Zeitpunkt statt. Unter Konrad Adenauer begann das kulturelle Leben in Köln nach dem Krieg wieder aufzublühen; der Oberbürgermeister trieb nicht nur den Ausbau der Messe voran, sondern hatte auch den Architekten Martin Elsaesser nach Köln geholt, um die Kunstgewerbeschule zu einer modernen praxis- und industrienahen Ausbildungsstätte, den Freien Werkschulen, umzubauen – etwas Ähnliches war Gropius in Weimar bereits gelungen. Zudem hatte der Bauhaus-Gründer im Hamburger Baudirektor Fritz Schumacher, der für Adenauer den Kölner Grüngürtel plante, offenbar einen gewichtigen Fürsprecher. Und so stattete Adenauer seine Verhandlungspartnerin Ise Gropius mit einem Empfehlungsschreiben aus, das dieser auch in Düsseldorf und Essen die Türen öffnete. Wie bereits in Köln konnte sie mit ihrer Werbetournee Spenden und Aufträge für das Bauhaus sichern sowie Mitglieder für dessen Freundeskreis gewinnen.

Auf die Kölner Nachrichten antwortete Walter Gropius mit einer Mischung aus verliebtem Süßholzraspeln und nüchternem Geschäftssinn: „Meine süße Frau Bauhaus, Du bist ein Tausendsassa und kannst Dich vor Stolz blähen. Wir sind hier alle vor tiefem Respekt vor Deinen Leistungen, denn wir wissen, wie zäh die Menschen im Ausweichen sind. Ich richte die herzliche Bitte an Frau Lucas, dass sie dich in den Unwohlstagen ins Bett steckt, und wenn ganz Köln bei Dir fensterlt unter Führung von Adenauer. Auf Deinen Eilbrief hin habe ich auch Adenauer zum Beitritt in das Kuratorium aufgefordert. „Wenige Tage später übermittelte Gropius seiner Frau Argumentationshilfen, um Adenauer die auswärtige Konkurrenz für die Freien Kölner Werkschulen schmackhaft zu machen: „Elsaesser – Konkurrenz ja! Man muss das Bauhaus als moderne Akademie hinstellen, die Köln noch fehlt, während andere Städte je eine gleich gute Akademie und Kunstgewerbeschule besitzen. Konkurrenz hält frisch. Du mein süßes, liebes, herrliches Menschenwunder.“

Überliefert ist diese Geschichte im Briefwechsel der Eheleute Gropius aus dem September 1924. Im folgenden Monat bat Walter seine Ehefrau per Telegramm, zu ihm nach Weimar zurückzukehren. Damit brechen anscheinend auch die Verhandlungen mit Adenauer ab. In der Adenauer-Literatur sind diese ebenso eine Marginalie geblieben wie in der Bauhausforschung. Die wenigen Erkenntnisse speisen sich aus lediglich zwei Quellen: In seiner Walter-Gropius-Biografie zitiert R. R. Issacs aus den September-Briefen, schweigt sich aber dazu aus, ob und wie die Verhandlungen weitergingen. Auch die Forscherin Mercedes Valdivieso, die Ise Gropius’ Rolle am Bauhaus untersuchte, kann nicht weiterhelfen: „Ise Gropius erzählt in ihrem Tagebuch von ihren Kontakten in Köln, nennt aber nicht die Gründe, weshalb es sich zerschlug.“ Entsprechend spekulativ ist der Schluss, zu dem Jennifer Kirchhoff 2017 im Katalog zur „Konrad der Große“-Ausstellung im Kölnischen Stadtmuseum kam: „Allerdings ließ Adenauers Interesse wohl rasch wieder nach.“ Etwas konkreter wurde der langjährige Leiter des Kölnischen Kunstvereins Wulf Herzogenrath. Er schrieb 2008 in der „Welt“, dass Adenauer nicht das gesamte Bauhaus nach Köln, sondern lediglich dessen „berühmte Maler“ als Lehrer an die Kölner Werkschulen holen wollte. Aber auch Herzogenrath bleibt Belege schuldig.

Verbürgt ist dagegen, dass Walter Gropius im Herbst 1924 bereits die Hoffnung aufgegeben hatte, in Weimar bleiben zu können. Nach dem Machtwechsel im thüringischen Parlament hatte das Bauhaus den politischen Rückhalt verloren und sollte mit einer rigiden Kürzung der Finanzmittel auf Kurs gebracht werden. Im Dezember 1924 gab Gropius die Selbstauflösung des Bauhauses zum 1. April 1925 bekannt und suchte sein Heil in der Flucht nach vorn: „Ob das Bauhaus an anderer Stelle seine Arbeit fortsetzen wird, lässt sich zur Zeit noch nicht übersehen.“

Auf dieses kaum verhohlene Stellengesuch folgten rasch Anfragen aus Dessau, Darmstadt, Hagen, Mannheim und Frankfurt am Main. Aus Frankfurt kam ein weitgehend ausgearbeitetes Angebot, das Bauhaus in die dortige Kunstgewerbeschule zu integrieren. Doch da Gropius seinen Posten wohl zugunsten des amtierenden Frankfurter Direktors Ernst Wichert hätte aufgeben müssen, zerschlug sich diese Möglichkeit. Hier könnte, wie von Herzogenrath vermutet, eine Parallele zu den Kölner Verhandlungen liegen.

Am Ende machte Dessau das Rennen. Für das Bauhaus stellte sich diese Lösung als ideal heraus, doch zunächst war Gropius die Stadt zu klein. Im Februar 1925 meldete er sich per Telegramm aus dem Urlaub: „Dessau unmöglich“. Und noch im März las man in einem Brief des Bauhaus-Meisters Lyonel Feininger: „Über Dessau äußerte sich Gropi etwas reserviert.“ Offenbar schwebte „Gropi“ eine größere Lösung als Dessau vor; insofern hätte Köln perfekt zu seinen Ansprüchen gepasst.

In Köln arbeitete Konrad Adenauer unterdessen an einer kölschen Version des Bauhauses. Er holte 1926 Richard Riemerschmid als Direktor der Freien Werkschulen nach Köln sowie Jan Thorn Prikker und Dominikus Böhm als Lehrer; letztere schufen in Köln jeweils prominente Kirchenwerke. Und Adenauer kämpfte darum, nach den Pressa- und Künstlerbund-Ausstellungen mit der Werkbund-Schau ein weiteres Großereignis nach Köln zu holen. Um 1930 verlagerte sich Adenauers kulturpolitischer Ehrgeiz dann jedoch auf den Ausbau der Universität und die Werkschulen büßten an Bedeutung ein.

Es ist eine müßige, aber spannende Frage, wie sich ein kölsches Bauhaus im Vergleich zum realen Dessauer Pendant entwickelt hätte. Dessau lockte Gropius mit der Aussicht auf Kooperationen mit der örtlichen Industrie und bot ihm die Möglichkeit, auf einem eilig angekauften Areal die Hochschulgebäude im Baukastenstil zu errichten. Ob er diese für Entwicklung und Nachruhm des Bauhauses eminent wichtigen Musterbauten auch in Köln hätte errichten können?

In jedem Fall hätte das Bauhaus mit seinen heute weltberühmten Lehrern im Rheinland hell gestrahlt und in der traditionsreichen Kultur- und Industriestadt Köln einen idealen Nährboden gefunden. Man stelle sich vor: Bauhausfeste zum Karneval und die Meisterhäuser unterm Dom.

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