Bestseller-Autor Ken Follett über seinen ersten Steinzeit-Roman, das Aufbegehren der Frauen und schwierige Lehren aus der Geschichte.
Ken Follett„Jeder weiß, dass der Brexit eine Katastrophe war“

Ken Follett in Stonehenge. Sein neuer Roman spielt in der Steinzeit.
Copyright: Gareth Iwan Jones
Herr Follett, Ihr neuer Roman führt bis in die Steinzeit zurück, zum Bau von Stonehenge. Was hat dieser Ort bei Ihnen ausgelöst?
Wie viele war ich einfach nur beeindruckt. Der Ort hat tatsächlich etwas von einer Kathedrale. Beides hat etwas Spirituelles, nicht sehr logisches. Die Kathedrale sagt zwar nichts über Gott aus, und Stonehenge nichts über den Sonnengott, aber beides wurde von Menschen gebaut, die ein echtes Gespür dafür hatten, welche Wirkung ein Gebäude haben kann.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie nicht mehr gläubig sind. Erleben Sie trotzdem Momente von Spiritualität?
Absolut. In einer Kirche spürt man, dass Menschen seit Hunderten von Jahren hierherkommen und genau wie ich über ihr Leben nachdenken. Das gibt einem ein seltsames, angenehmes Gefühl, Teil von etwas zu sein – ein Gefühl, das man nicht ganz versteht. Ich halte es aber für einen Fehler, eine Erklärung dafür zu erfinden. Ich bin Atheist und glaube nichts von dem, was in der Kirche gesagt wird, aber ich gehe wegen dieses Gefühls trotzdem gerne in die Kirche und finde es eine erfrischende spirituelle Erfahrung.
Jeder weiß, dass der Brexit eine Katastrophe war, nur manche wollen es einfach nicht zugeben
Anders als bei Ihren Mittelalterromanen können Sie sich diesmal nicht auf historische Persönlichkeiten stützen. Hat das den Schreibprozess verändert?
Ja, das gibt mir mehr Freiheit, Dinge zu erfinden. Über die Steinzeit gibt es zwar nur wenige gesicherte Erkenntnisse und keine schriftlichen Aufzeichnungen, trotzdem haben wir zahlreiche zuverlässige Beweise und Archäologen können uns durchaus etwas darüber erzählen, wie das Leben in der Steinzeit aussah. Es gibt eine Grundlage von Fakten, und darauf baut die Erfindung des Autors auf. Der Prozess ist derselbe, nur diesmal gibt es weniger Fakten und mehr Erfindung.
Ihre Hauptfigur Joia ist Anführerin der Priesterinnen, auch queere Beziehungen und lesbischer Sex spielen eine Rolle. Ziemlich modern für die Steinzeit.
Natürlich habe ich eine moderne Einstellung zu diesen Themen, aber manches ist eben universell und gilt für alle Zeitalter: Gewalt, Krieg, Sex und Ehe, die Ernährung der eigenen Kinder. Wenn es in der Geschichte um diese grundlegenden Dinge geht, werden Sie immer Parallelen zur Moderne finden, aber nicht, weil ich sie absichtlich eingebaut habe.
Sie wollten damit also nichts über unsere heutige Welt aussagen?
Nein, ich glaube nicht, dass wir in dieser Geschichte, die in der Steinzeit spielt, eine Diskussion über Frauenrechte führen müssen. Aber in der gesamten zivilisierten Menschheitsgeschichte war das ein Thema, denn in den letzten 12.000 Jahren waren Frauen meist Eigentum von Männern und in jedem Zeitalter gab es Menschen, die rebellieren. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass es Diskussionen darüber gab. Und weil Frauenrechte auch mein Leben lang ein großes Thema waren, finde ich es interessant, darüber zu schreiben.

Schriftsteller Ken Follett
Copyright: Olivier Favre
Welche Rolle hat Feminismus in Ihrem Leben gespielt?
Ich war in den 60er Jahren während der berühmten zweiten Welle des Feminismus an der Universität in London. Wir waren sehr politisch und liberal, und alle waren scheinbar gleichberechtigt, bis eine Studentin fragte: „Wenn wir alle gleich sind, warum sind es dann immer die Mädchen, die den Tee kochen?“ Sie hatte natürlich recht. Für meine Generation war das Thema ein großes Ereignis in unserem Leben. Mein Vater hingegen hat den Feminismus nie akzeptiert. Meine Mutter hatte nie ein Bankkonto, und durfte keine Hosen tragen, trotzdem war er kein schlechter Mensch. In seinen Augen war das die richtige Rolle der Frau. Er hätte gesagt, das hätte die Bibel so vorgeschrieben.
Sie haben sich in der Vergangenheit kritisch gegenüber dem Brexit geäußert. Wie schauen Sie heute auf den Zusammenhalt in Europa?
Wenn man an die Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs denkt, haben wir enorme Fortschritte in der Zusammenarbeit gemacht. Großbritannien ist derzeit nicht mehr Mitglied der Europäischen Union, aber wir waren es und werden irgendwann in der Zukunft wieder Mitglied sein.
Sie denken, Großbritannien wird wieder der EU beitreten?
Ja, es könnte zwar noch dauern, weil die ganze Sache so emotional war und viele Menschen das gerade nicht wollen. Aber jeder weiß, dass es eine Katastrophe war, nur manche wollen es einfach nicht zugeben. Trotzdem ist die Zusammenarbeit zwischen den westeuropäischen Ländern heute enorm und wäre noch vor ein paar Jahrzehnten so nicht denkbar gewesen. Es ist immer schwierig, die Menschen davon zu überzeugen, denn sie sind nun mal nationalistisch und misstrauisch gegenüber der Idee, dass wir etwas gemeinsam mit unseren Nachbarn tun und einander vertrauen sollen. Aber wir haben schon viel geschafft, und ich hoffe, dass wir noch mehr erreichen können.
Was stellen Sie sich da vor?
Wir brauchen dringend eine europäische Armee, denn wir haben einen sowjetischen Führer, der eindeutig aggressiv ist und wer weiß, wen er als Nächstes angreifen könnte. Da brauchen wir noch mehr Zusammenarbeit.
Es scheint schon immer Krieg gegeben zu haben – ein bisschen deprimierend, oder?
Das klingt, als würden Sie sich durchaus Sorgen um die Zukunft machen.
Ich glaube, wir alle machen uns Sorgen in Anbetracht der russischen Aggression, der Ereignisse im Nahen Osten und wegen Trump, der so unberechenbar erscheint. Und natürlich wegen des Klimas. Es ist sehr schwierig, die Länder der Welt dazu zu bringen, gemeinsam daran zu arbeiten, denn jedes Land sagt: „Alle müssen Opfer bringen - außer wir, denn wir haben besondere Gründe.“ Das ist furchtbar schwierig, aber genauso wichtig. Von Natur aus bin ich Optimist. Ich denke immer, dass ich beim Kartenspielen gewinnen werde, und bin ernsthaft schockiert, wenn es nicht klappt. Aber wenn ich rational darüber nachdenke, gibt es schon viel Grund zur Sorge.
Krisen treiben die Menschen in Ihrem Buch schon vor tausenden Jahren dazu, in den Krieg zu ziehen. Sind wir in all der Zeit kein bisschen schlauer geworden?
Es scheint schon immer Krieg gegeben zu haben – ein bisschen deprimierend, oder? Wir sind sehr aufgeklärt, hervorragend gebildet, aber immer noch nicht klug genug, um Kriege zu vermeiden, was erschreckend ist. Es wäre durchaus möglich, aus der Geschichte zu lernen, aber die Menschen tun es nicht. Ich habe immer gehofft, dass sie aus meinen Büchern ein bisschen Geschichte lernen könnten.
Haben Sie das Gefühl, mittlerweile alles erreicht zu haben oder planen Sie schon das nächste Buch?
Seitdem ich „Stonehenge“ vor etwa einem Jahr fertiggestellt habe, arbeite ich an einem neuen Projekt. Ich mache keine Pausen. Sobald ein Buch fertig ist, denke ich schon wieder über das nächste nach.
Was treibt Sie an, immer weiterzumachen?
Seit ich drei Jahre alt bin, liebe ich Geschichten. Ich habe alle damit genervt, mir Geschichten vorzulesen. In meinen Zwanzigern, habe ich angefangen, selbst welche zu schreiben. Das ist sogar noch faszinierender, als sie zu lesen. Es wäre gelogen zu sagen, dass es mir Freude bereitet, aber es ist auch keine lästige Pflicht. Schreiben beschäftigt mich und verlangt alles von mir: meine Konzentration, meine Intelligenz, mein Wissen über Menschen – ohne behaupten zu wollen, ein großartiger Experte zu sein – und meine Fähigkeit, zu recherchieren, Informationen aufzunehmen und sie in eine Form zu bringen, die den Menschen Freude bereitet. Ich mache weiter, solange ich kann. Vielleicht falle ich tot an diesem Schreibtisch um. Falls ich irgendwann krank werde und aufhören muss, werde ich sehr unglücklich sein.
Ken Follett, 1949 in Wales geboren, begann nach einem Philosophie-Studium als Journalist und landete 1978 mit „Die Nadel“ seinen ersten Bestseller. „Die Säulen der Erde“ (1989) machten ihn weltberühmt. Seine Bücher verkauften sich fast 200 Millionen Mal. Am 23. September erscheint bei Lübbe sein neuer Roman „Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit“ (672 S., 36 Euro).
Die Autorin reiste auf Einladung des Lübbe Verlags zu Ken Follett.