Julia Shaw beleuchtet sechs Umweltverbrechen weltweit und versucht, Handlungstipps zu geben - Buchpremiere in Köln.
Rechtspsychologin über Umweltverbrechen„Wir sind denen, die schlimme Dinge tun, ähnlich“

Julia Shaw
Copyright: Boris Breuer
Frau Shaw, Sie haben sich in ihren bisherigen Büchern unter anderem mit unserem trügerischen Gedächtnis und dem Bösen im Menschen beschäftigt. In Ihrem neuen Buch „Green Crime“ geht es jetzt um Umweltverbrechen. Warum dieses Thema?
Beim Thema Umweltschutz haben viele das Gefühl, das anonyme, große, vage „System“ sei das Problem. Das kann einem Angst machen, weil wir das nicht greifen können. Ich habe mich selbst etwas hilflos gefühlt und mich gefragt, wie ich als Rechtspsychologin in diesem Kampf für unsere Zukunft helfen kann und ob wir vielleicht auch hier von der Sozialwissenschaft und der Psychologie lernen können. Mir war es sehr wichtig, genau wie ich bei anderen Formen der Gewalt nicht pauschal über „die gefährliche Gesellschaft“ spreche, auch hier Individuen zu betrachten, die sich zum Beispiel entscheiden, Umweltverbrechen zu begehen.
Sie erzählen von sechs internationalen Fällen: von illegalen Minen in Südafrika über Elefantenwilderer bis hin zum VW-Abgas-Skandal in einer Art True-Crime-Thriller.
Das war für mich tatsächlich auch ein großes Schreibexperiment. Ich schreibe immer wissenschaftliche Bücher, auch in diesem hier ist sehr viel Wissenschaft drin, aber die Idee war diesmal, das Psychologische mit dem Narrativen zu verbinden, sodass man nachvollziehen kann, woher diese Ideen überhaupt kommen. Wie haben die Menschen diese Entscheidungen gefällt? Und auf welchen psychologischen Faktoren haben diese Straftaten aufgebaut?
Es geht darum, diejenigen zu mobilisieren, die diese weitreichenden Entscheidungen treffen
Welche sind das? Gibt es ähnliche Faktoren über die doch sehr unterschiedlichen Fallbeispiele hinweg?
Ja, in die Straftaten waren jeweils viele Akteure involviert, ähnlich wie bei organisierten Verbrechen. Dementsprechend muss man hier auch die Beziehung zwischen den Menschen sozialpsychologisch verstehen, um nachzuvollziehen, wie es dazu kam, dass sie miteinander arbeiten und als Individuen diese Entscheidung getroffen haben. Mir sind dabei unterschiedliche psychologische Motive aufgefallen, die in allen Fällen auftreten: Bequemlichkeit, Straffreiheit, Gier, Rationalisierung, Konformität und Verzweiflung. Das war für mich ein Durchbruch, diese großen Fälle alle auf diese Weise verstehen zu können. Und ich fand es erleichternd, zu sehen, dass es sehr menschlichen Faktoren sind. Mir ist immer wichtig, zu zeigen, wie ähnlich wir den Menschen sind, die schlimme Dinge tun, dass wir nicht auf „böse“ Menschen schauen, die wir nicht verstehen können, weil sie so anders sind als wir.
Jeder hat also das Zeug zum Umweltkriminellen?
Ja, trotzdem ist zum Beispiel passive Aggressivität natürlich nicht dasselbe wie ein Serienmörder zu sein. Bei Umweltfragen ist es genauso: Einmal in ein Flugzeug zu steigen oder allein in den USA 600.000 Autos zu verkaufen, die 40-mal so viele Stickstoffoxide ausstoßen als erlaubt, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Nicht jeder hat die Macht, solche weitreichenden Entscheidungen zu treffen.
Wie lassen sich Straftaten gegen die Umwelt verhindern?
Es geht darum, diejenigen zu mobilisieren, die diese weitreichenden Entscheidungen treffen. Entscheidungsträger müssen möglichen Folgen in ihre Kosten-Nutzen-Analyse einbeziehen. Dafür müssen wir Anreize setzen, sodass umweltschädigendes Verhalten durch entsprechende Strafen schlicht zu teuer, zu umständlich oder zu persönlich riskant ist. Denn Syndikaten und auch Organisationen wie großen Unternehmen geht es meist um kurzfristigen Profit. Aber auch gesellschaftlich ist immer noch das Narrativ fest verankert, dass Kapitalismus und Geldverdienen zwangsläufig umweltzerstörerisch sein müssen. Dabei bedeutet Nachhaltigkeit auch, die Möglichkeit, langfristig Geld zu verdienen.
Wir wissen aus der Forschung, dass die meisten Menschen in der Welt inzwischen jeden Tag an den Klimawandel denken
Warum fällt uns das Umdenken, etwa zu einem langfristig nachhaltigem Handeln, so schwer?
Wenn uns etwas ins Gesicht springt, das uns klarmacht, dass die Welt, wie wir sie bisher wahrgenommen haben, nicht stimmen kann, reagiert der Mensch in der Regel erst einmal defensiv. Das ist ein Problem fürs Ego. Anstelle von großen Aha-Momenten, passieren dann meistens viele kleine Schritte – und mit der Zeit ändert sich unser Denken doch. Auf diese Weise kann man langfristig durchaus zu großen, sozialen Änderungen kommen. Wenn wir beispielsweise einmal zurückdenken, haben noch vor zehn Jahren viel weniger Menschen überhaupt an den Klimawandel geglaubt.
Und heute ist das anders?
Wir wissen aus der Forschung, dass die meisten Menschen in der Welt inzwischen jeden Tag an den Klimawandel denken. Das ist innerhalb weniger Jahre passiert. Oft versuchen Menschen, die sich für die Umwelt einsetzen, immer noch andere zu überzeugen, dass die Welt wichtig ist und wir sie retten müssen. Dabei sind wir schon viel weiter als das. Das heißt, wir müssen jetzt ins konkrete Handeln kommen. Deshalb war es mir mit dem Buch auch ein Anliegen, Menschen zu zeigen, die genau das bereits tun.
Wer sind diese Menschen in Ihren Augen?
Man denkt beim Thema Umweltschutz wahrscheinlich als Erstes an Aktivistinnen und Aktivisten und es ist auch sehr wichtig, dass sie weiterhin Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Mir geht es in diesem Fall aber um Personen, die noch einen Schritt weitergehen und in ihrem jeweiligen Bereich konkrete Veränderungen erreichen können. Der „Held“ im ersten Fall ist zum Beispiel Alberto Ayala, der ehemalige Ermittlungschef der kalifornischen Umweltbehörde CARB. Ein Beamter, der sich mit Emissionen befasst und dabei den Volkswagen-Skandal aufdeckt, ist für mich einer dieser Helden – Menschen, die an vorderster Front gegen Umweltverbrechen kämpfen.
Was möchten Sie Ihren Lesern denn mitgeben?
Das sind einfach sehr spannenden Menschen und Fälle, denen ich mehr Aufmerksamkeit geben möchte. Ich selbst wusste vorher zum Beispiel nichts von Undercover-Agenten, die sich in organisierte Syndikate einschleichen und so versuchen, sie aufzubrechen. Oder, dass Menschen in Boote steigen und jahrelang andere Schiffe verfolgen, um illegalen Fischfang zu verhindern. Und ich hoffe, damit auch bei den Leserinnen und Lesern Interesse zu wecken, selbst zu handeln. Das Buch ist allein schon eine große Auswahl an Jobs, bei denen man konkret daran arbeiten kann, die Welt zu beschützen.
Sie blicken also optimistisch in die Zukunft?
Ja, für mich war es sehr motivierend zu sehen, mit welchen Tools wir jetzt schon umgehen können, welche rechtliche Voraussetzungen und Gesetze wir bereits haben, die wir jetzt nur richtig einsetzen müssen, mit Menschen, die vor Ort handeln, diese Straftaten entdecken und vor Gericht bringen, sodass es Konsequenzen gibt. Die Voraussetzungen sind da – was wir jetzt noch stärker brauchen, ist die Umsetzung.
Julia Shaw, 1987 in Köln geboren und in Kanada aufgewachsen, ist Autorin, Referentin und forscht als promovierte Rechtspsychologin am University College London. Außerdem arbeitet sie als True-Crime-Expertin für die BBC und zahlreiche TV-Produktionen. Ihre Bücher „Das trügerische Gedächtnis“ und „Böse. Die Psychologie unserer Abgründe“ waren Bestseller.
Ihr neues Buch „Green Crime: Was Umweltverbrecher antreibt und wie man sie aufhält“ erscheint am 28. August bei Ullstein. Die Buchpremiere findet in Köln am 05. September, 20.15 Uhr, in der Thalia Mayersche Buchhandlung am Neumarkt statt. Tickets ab zehn Euro gibt es hier.