Kölner AutorinEnergiewirtschafts-Managerin zieht erschreckende Klimabilanz

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Marie-Luise Wolff, Präsidentin des BDEW, Deutschland, Berlin, Bundeskanzleramt, Presseunterrichtung nach dem Treffen der Allianz für Transformation *** Marie Luise Wolff, President of BDEW , Germany, Berlin, Federal Chancellery, Press briefing after the Alliance for Transformation meeting.

Marie-Luise Wolff, Präsidentin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft und Sachbuchautorin

Die Kölner Expertin Marie-Luise Wolff legt eine aufrüttelnde Studie zum Stand der Klimaentwicklung vor.

Das Phänomen kennt vermutlich jeder von sich selbst: Man weiß, was man tun sollte, aber man lässt es. Die Trägheit ist offensichtlich eine Konstante menschlichen Lebens. Das gilt nicht nur für den Einzelnen, es gilt für ganze Gesellschaften. Unser Umgang mit der Klimakrise belegt das eindrücklich. Wir wissen, was notwendig wäre, aber wir spielen auf Zeit in der unergründbaren Hoffnung, dass sich das Problem schon irgendwie löst. Tut es aber leider nicht. Und damit bleibt die hässliche Lücke zwischen Erkenntnis und Umsetzung.

Darauf hat jetzt noch einmal die Kölner Autorin Marie-Luise Wolff in ihrem jüngsten Buch hingewiesen. Sie ist seit Jahrzehnten als Managerin in der Energiewirtschaft, aktuell Chefin eines großen Versorgers und Präsidentin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, in dem fast 2000 Unternehmen der Branche. Ihre geradezu rücksichtslose Bestandsaufnahme zum Stand der Klimaentwicklung ist nicht ernüchternd, er ist erschreckend.

Wir bewegen uns in Richtung von 2,8 Grad Erderwärmung mit katastrophalen Folgen

Wer erwartet, dass sie dabei als Interessenvertreterin einer in der Kritik stehenden Industrie auftritt, sieht sich angenehm getäuscht. Im Gegenteil, sie nimmt weder gegenüber der Industrie noch gegenüber der Politik ein Blatt vor den Mund. Schon der nicht unbedingt zur Lektüre einladende Titel „2,8 Grad - Endspiel für die Menschheit“ lässt ahnen, dass dies kein Buch für einen gemütlichen Lese-Abend ist.

Das beim Pariser Klimaabkommen 2015 verabredete Ziel einer Begrenzung der menschengemachten Erderwärmung um plus 1,5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts ist ihrer Meinung nach - gestützt auf zahlreiche Studien renommierter Forschungseinrichtungen - nicht mehr zu erreichen. Danach bewegen wir uns auf einem Pfad in Richtung von im günstigsten Fall 2,8 Grad plus, mit entsprechend katastrophalen Folgen.

Die Dürren, Missernten, Waldbrände der letzten Jahre sind ein Menetekel, sie werden die Menschheitsgeschichte auf unserem Planeten in immer kürzerer Taktung und immer heftigeren Auswirkungen begleiten, ist Wolff überzeugt und verweist unter anderem auf Erkenntnisse der Rückversicherer. Nicht zuletzt der gewaltige Migrationsdruck vor allem Richtung Europa werde massiv zunehmen, wenn die Menschen ihre Lebensgrundlage verlören.

Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle - mit dem Fuß auf dem Gaspedal.
António Guterres

Detailliert zitiert sie wissenschaftliche Arbeiten, die wenig Spielraum für optimistische Interpretationen lassen. Große Teile der Erde, vor allem auf der Südhalbkugel, wären dann nicht mehr bewohnbar, mit allen Konsequenzen für Milliarden dort lebender Menschen. Wie zur Bestätigung ihrer gut belegten Bestandsaufnahme zitiert Wolff UN-Generalsekretär António Guterres, der auf der letzten Weltklimakonferenz sagte: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle - mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“

Dennoch, als Apokalyptikerin will die Autorin nicht gelten. Sie fordert Ehrlichkeit und entsprechendes Handeln der nationalen wie internationalen Politik. Weder Untergangspropheten der „Letzten Generation“ noch ignorante Zyniker und Klimaleugner dürften den Diskurs bestimmen. Auch das Argument, Deutschland trage nur zwei Prozent zum klimaschädlichen CO₂-Ausstoß bei, lässt sie nicht gelten: Als fortgeschrittene Industrienation müsse das Land Vorbild sein, gleichzeitig seien von Europa die Menschheitsrisiken mit fossil betriebenen Technologien ausgegangen, nun sei der Kontinent auch in der Pflicht, an der Rettung der Spezies mitzuarbeiten.

Wolff belässt es nicht bei Appellen, sie macht im letzten Teil ihres Buches eine ganze Reihe von teilweise sehr konkreten Vorschlägen. Ob Verkehr oder Bauen, Heizen oder das Verbot von Einwegverpackung, vieles liest sich bei der parteilosen Managerin wie aus dem Wunschkatalog grüner Klimaschützer. Klar ist für sie, dass es ohne Verzicht und Einschnitte in bisherige Gewohnheiten kaum gehen wird. Sie misstraut der vor allem von Wirtschaftsliberalen gestreuten Hoffnung auf noch nicht entwickelte technologische Lösungen der Klimakrise, weil sie sofortiges Handeln verhinderten und damit unnötig Zeit verspielten.

Das Verdienst von Wolffs Essay ist es, mit einem Weckruf wieder auf ein Thema aufmerksam zu machen, dass angesichts von Pandemie, Ukraine-Krieg und Nahostkonflikt in den Hintergrund geraten ist. Dabei ist es in seiner Dimension noch gewaltiger. Weil es nicht nur einzelne Regionen betrifft, sondern das Überleben der gesamten Menschheit.


Marie-Luise Wolff: „2,8 Grad: Endspiel für die Menschheit“,  Westend,  176 Seiten, 20 Euro

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