Kölner PhilharmonieWie eine Aufforderung zum Mittanzen

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Dirigent Ingo Metzmacher.

Dirigent Ingo Metzmacher.

Dirigent Ingo Metzmacher und das WDR Sinfonieorchester meisterten scheinbar mühelos das als schwierig geltende Stück "Die Seejungfrau" von Alexander Zemlinsky.

Aus der romantischen Figurenwelt sind sie kaum wegzudenken, jene empfindsamen Wasserwesen, die nach einem schmerzvollen Kontakt mit dem Menschengeschlecht ernüchtert in ihr feucht-kaltes Reich zurückkehren. Alexander Zemlinskys sinfonische Fantasie „Die Seejungfrau“ überführt dieses populäre Motiv in die Klangwelt der äußersten Spätromantik; im groß besetzten Orchester wogt und schillert es so üppig, dass Hans Christian Andersens zartes Märchengeschöpf fast darin untergeht. Die literarische Vorlage leistet hier aber ohnehin kaum mehr als eine atmosphärische Grundierung; die aus wenigen prägnanten Leitmotiven gespeiste und mit grandioser Entwicklungskunst gearbeitete Partitur folgt einer ganz eigenen musikalischen Dramaturgie.

WDR Sinfonieorchester schöpfte behaglich aus dem Vollen

Den sensuellen Reizen dieses Stücks kann kein Orchester widerstehen; das WDR Sinfonieorchester schöpfte denn auch behaglich aus dem Vollen, überließ sich dem Sog der weiten melodischen Bögen, wuchs an den Kulminationspunkten ohne jeden Druck zu weicher Intensität heran. Mit Ingo Metzmacher stand zudem ein Dirigent am Pult, der die Attitüden des Genießers und des Aufklärers auf ideale Weise verbindet. Seine Körpersprache bildete das innere Timing der Musik so glasklar ab, dass man als Orchestermusiker kaum falsch reagieren konnte - es war wie eine Aufforderung zum Mittanzen, zum Eingliedern in eine kollektive Bewegung.

Das Programm des WDR-Abokonzerts in der Philharmonie leuchtete in die faszinierende Klangwelt der Wiener Moderne um 1910. Am „Nachtstück“ aus Franz Schrekers Künstlerdrama „Der ferne Klang“ interessierte den Maestro weniger das leicht übergärige Reizklima des Fin-de-siècle als die fast filmisch wirkende Kunst der beständigen Verwandlung und Überblendung. Auch Arnold Schönbergs Monodram „Erwartung“ ist mehr Film als Theater: Wie mit einer Kamera folgt die Musik der alptraumhaften Wanderung einer Frau durch den nächtlichen Wald, wo sie schließlich auf die Leiche ihres toten Geliebten stößt.

Das etwa halbstündige Stück steht im Ruf extremer Schwierigkeit - aber so etwas ist Ingo Metzmachers Musikantentum ja erst recht ein Stachel. Unter seinen Händen wirkte die expressionistisch ausgezackte und emotional aufgeladene Partitur denn auch nirgends mühsam, sondern in jedem Takt eloquent und spannend. Dazu sang die Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner den enorm fordernden Vokalpart so generös im Klang, so geschmeidig in der Linie, so perfekt verblendet in der Vokalgebung, als sei er von Wagner oder Strauss komponiert.

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