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„Mein Totemtier und ich“Manchmal hilft magisches Denken eben doch

Lesezeit 3 Minuten
Die elfjährige Ama reitet ein riesiges Stachelschwein.

Die elfjährige Ama findet in „Mein Totemtier und ich“ Trost und Stärke in einem Fabelwesen.

Der Kinderfilm „Mein Totemtier und ich“ stellt kluge Fragen nach Herkunft und Zugehörigkeit. Unsere Kritik.

Die elfjährige Ama ist Niederländerin. Besser gesagt: Ama fühlt sich wie eine Niederländerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Rotterdam, geht zur Schule und mit ihrem besten Freund Thijs zum Schwimmtraining. In zwei Wochen steht eine wichtige Meisterschaft an, und Ama hat gute Chancen zu gewinnen. Dass sie das Teilnahmeformular nicht vollständig ausfüllen kann, ist kein Problem. „Schreiben Sie einfach meine Adresse hin“, schlägt Thijs der Trainerin vor, was diese nur zu gerne macht. Wie andere Erwachsene ist auch sie freundlich und hilfsbereit, obwohl sie weiß: Ama und ihre Familie kommen aus dem Senegal und haben keine Aufenthaltsgenehmigung.

Dann geschieht, was früher oder später zu befürchten war: Die Illegalität fliegt auf, der Familie droht die Abschiebung. Amas Mutter und ihr jüngerer Bruder werden verhaftet, ihr Vater flieht, Ama bleibt allein zurück. Mit einem Schlag verliert das Mädchen alle Sicherheiten, muss sich verstecken, zieht einsam und verloren durch das nächtliche Rotterdam. Doch plötzlich ist da jemand: ein riesiges Stachelschwein, das nur Ama sehen kann – ein Fantasietier, das sich als wirksamer Kraft- und Trostspender herausstellt. Dass es sich bei dem magischen Wesen um ein Totemtier handelt, erfährt Ama erst später von einem geheimnisvollen Obdachlosen, der sie auf ihre Herkunft aufmerksam macht: „Mädchen, weißt du denn gar nichts über deine Wurzeln?“

„Mein Totemtier und ich“ ist eine dramatisierte Alltagsgeschichte von drängender Aktualität

Dank des freundlich-sanften Fabelwesens bekommt die spannende Wirklichkeitsgeschichte etwas Fantastisches, das sich gleichsam tröstend über die oft intensiven, mitunter „haltlos“ in Schräglage kippenden Bilder legt. Auch wenn das Totemtier lediglich eine übergroße Stofffigur ist, die weitgehend mechanisch gesteuert wird, glückt dieser Realitätsbruch und kommt auf spielerische Art dem magischen Denken von Kindern entgegen. Welchen Schutz das behütende Totemtier zu bieten vermag, zeigt sich, als Ama von den Spürhunden der Polizei in die Enge getrieben wird, sich hinter ihr die Stacheln aufrichten und damit die Hunde in die Flucht schlagen.

Auch wenn das Ende märchenhaft utopisch ausfällt, ist „Mein Totemtier und ich“ kein Märchen, vielmehr eine kindgerecht dramatisierte Alltagsgeschichte von drängender Aktualität. Die Brisanz wird auch dadurch emotional nachvollziehbar, dass der Film Amas Schicksal mit der Familie ihres Freundes Thijs verknüpft: Thijs’ Mutter ist Polizistin, fahndet nach Ama sowie ihrem Vater und befolgt die strengen Vorschriften. „So sind die Regeln“, sagt nicht nur sie, und doch muss gerade sie sich zwischen Pflichterfüllung und Mitmenschlichkeit entscheiden.

Nun wäre es ein Leichtes, dies mit erwachsenen Argumenten aus den Angeln zu heben, denn die Verhältnisse, sie sind nicht so. Gleichwohl ist nichts verkehrt daran, die Sinne und das Bewusstsein eines jungen Publikums zu schärfen und an Menschlichkeit und Zusammenhalt zu appellieren. Entsprechend mutig stellt der Film grundlegende Fragen nach Herkunft und Zugehörigkeit, die alle angehen: Woher kommen wir? Wo gehöre ich hin? Wo bin ich jetzt? Und wie behandelt mich das Land, in das ich da gekommen bin?