Musiktheater von Electronic ID in EhrenfeldBestehen diese Musiker noch den Turing-Test?

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Die Bühne ist dunkel und bläulich erleuchtet. Mehrere Musiker spielen ihre Instrumente, über ihnen wird auf einer großen Leinwand ein riesiges Auge projiziert.

Uraufführung des Musiktheaters „Tunnelblick“ in der Rufffactory Köln-Ehrenfeld

In der Ehrenfelder Ruffactory traten die Musikerinnen und Musiker von Electronic ID gegen eine KI an, es ist aber nicht nur ein Gegeneinander.

Zu sanft an- und abschwellenden Luftgeräuschen, Brumm- und Pfeiftönen sieht man auf großflächiger Videoprojektion einen computeranimierten Stollen mit gegenläufig rotierenden Wänden. Je näher man dem Licht am Ende des Tunnels zu kommen scheint, desto weiter rückt das Ziel in die Ferne.

Dann fliegt man durch watteweiche Wolkengebirge, ohne jemals die dahinter verborgenen Sonne zu erreichen. Es folgen dunkle Unterführungen, Treppengänge und rasende Fahrten durch U-Bahn-Schächte, deren Wände ein KI-Programm mit Lichtern, Farben, Graphiken animiert hat. Alle Sequenzen beginnen als Endlosschleifen immer wieder von vorne und führen trotz schneller Bewegung zu keinem Ziel.

Musiktheater „Tunnenblick“ in der Ehrenfelder Ruffactory

Die polnische Komponistin Zaneta Rydzewska – Bernd-Alois-Zimmermann-Stipendiatin der Stadt Köln 2019 – problematisiert im Musiktheaterstück „Tunnelblick“ den auf Fortschritt verengten Blick. Wer nur linearem Vorwärtsdrang folgt, schaut nicht links und rechts und übersieht Folgewirkungen. Thematisiert wird diese unheilvolle Fokussierung durch Texte „I see what I can see“ und Makroaufnahmen menschlicher Augen, die riesengroß in die mit Zimmerpflanzen dekorierte Werkshalle der Rufffactory in Köln-Ehrenfeld blicken und zu verstehen geben: jeder ist gemeint. Tatsächlich geht es im Folgenden um Empathie mit Mitmenschen und dem geschundenen Planeten Erde.

Das auf elektronische Musik in intermedialen Zusammenhängen spezialisierte Kölner Ensemble Electronic ID wird verschiedenen Fragen und Übungen unterzogen: „How can I be more empathic?“, „Do you take care of your planet?“ Zudem treten die Musikerinnen und Musiker paarweise bei einer Art Turing-Test gegen eine KI an: „Letʼs check our level of empathy towards machine.“ Die perkussiven Aktionen auf einem Bürotisch lassen jedoch völlig im Unklaren, nach welchen Kriterien getestet werden soll, ob es sich um eine Maschine oder einen Menschen handelt. Genauso absurd sind dann die als Ergebnis verkündeten Prozentangaben.

Electronic ID zeigt das Mit- und Gegeneinander von Mensch und KI

Rydzewska hybridisiert Instrumente und Elektronik bis zur Ununterscheidbarkeit. Zu grob gerasterten Pixeln im Video hört man ebenso punktuelles Knacken, Flackern, Knistern, Sirren. Zu nahtlosem Morphing einer Blüte zu ganz anderen Blüten flattern zarte Flageoletts und Triller durch den Raum.

Bläser und Streicher treten in konzertante Wechsel, vollführen Kopfbewegungen und halten sich die Hände vor die Augen: man kann nichts sehen und will es auch nicht! Zu instrumental-elektronischen Drones und Noises kehren am Ende Stollen, Wolken, U-Bahn wieder. Der Schluss zeigt dann die Fahrt durch einen Herbstwald, die mit einer scharfen Kehre abbricht. Was hinter der Kurve folgt, enthält „Tunnelblick“ ebenso vor wie das künftige Mit- oder Gegeneinander von Mensch und KI.

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