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Norbert Krickes 100. GeburtstagDas Zusammenspiel von Raum und Zeit

Lesezeit 4 Minuten
Eine struppige Raumplastik von Norbert Kricke, die entfernt an eine Fernsehantenne erinnert.

Norbert Kricke, Raumplastik, 1959 ©

Zu seinem 100. Geburtstag wird der Bildhauer Norbert Kricke in Duisburg mit drei Ausstellungen geehrt. Seine struppigen oder elegant gebogenen Drahtskulpturen stehen in vielen deutschen Innenstädten.

Mit der Abkehr von der traditionellen Körperplastik, von Massenvolumen und geschlossenen Oberflächen waren Anfang der 1950er Jahre Transparenz, Offenheit, Raum, Zeit und Bewegung in die Bildhauerei eingezogen.

Der Bildhauer Norbert Kricke (1922–1984), der in seiner Berliner Studienzeit 1946/47 bei Richard Scheibe noch menschliche Figuren und Porträtköpfe modelliert hatte, gilt heute als einer der wichtigsten Vertreter der konkreten Kunst der deutschen Nachkriegsmoderne. Sein Markenzeichen wurden die in den Raum ausgreifenden Stahllinien und Linienknäuel, rechtwinkelig aufeinandertreffende, waagerecht und senkrecht verlaufende Geraden oder aus einer vagen Mitte heraus sich in alle Richtungen ausbreitende Stahllinien.

Der Künstler ist für seine Raumplastiken aus Drahtgestell bekannt

Die Kurven und das nach außen drängende Wirrwarr, die sich dehnenden linearen Gebilde, sie wirken schwerelos und fast immateriell. Luft und Licht dürfen sich zwischen ihnen bewegen. Sie heißen „Raumplastik Weiß“ und „Raumknoten Grünstraße“, „Raumkurve Bayreuth“ oder „Große Mannesmann“, beschreibende Titel nach Standort, Farbe, Gestalt, mehr nicht. Seit den 1950er Jahren entstanden diese filigranen Raumplastiken aus biegsamen Drahtgestellen, die fast von Anfang an in Großformaten auch im Stadtraum auftauchen. Der Stahldraht als plastisches Äquivalent zur Linie dient hier eben nicht zur Umgrenzung und Einfassung von Gegenständlichem, sondern als Richtungswert im Raum, zur Entgrenzung, wenn man so will, zur Aufhebung aller Grenzen.

Der dreimalige documenta-Teilnehmer Norbert Kricke (1959, 1964 und 1977) fand früh schon international Beachtung: 1961 eine Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art, 1964 bei der 32. Biennale in Venedig. Er erhielt Preise und zahllose Aufträge zur künstlerischen Gestaltung öffentlicher Bauten, so u.a. in Münster und Gelsenkirchen, Bagdad, Straßburg und Los Angeles.

Drei Ausstellungen zu Norbert Krickes 100. Geburtstag

1971 hat Norbert Kricke den Wilhelm-Lehmbruck-Preis der Stadt Duisburg erhalten. Jetzt, zu seinem 100. Geburtstag, feiert Duisburg den Bildhauer mit gleich drei Ausstellungen, die zu einem Teil auf die eigenen Bestände zurückgreifen können: im Lehmbruck Museum, im Museum DKM und im Museum Küppersmühle.

Die feinen Arbeiten sind eine Sensation. In der tollen Studioausstellung des Lehmbruck Museums findet besonders das frühe plastische wie zeichnerische Werk des Künstlers seinen Platz, Arbeiten, die zeigen, wie die Entwicklung der so eigenen, reduzierten Formensprache des Künstlers sich entfaltet. Lehmbruck, Giacometti und Calder sind ihm Inspiration auf seinem Weg, ebenso Hans Uhlmann oder die technikaffinen Werke des Konstruktivismus der 1920er Jahre.

Das Museum Küppersmühle legt den Fokus auf das Spätwerk

Im Museum DKM sind die beiden Kricke-Räume der ständigen Sammlung mit Werken vor allem der abstrakten Schaffensphase (1952-1984) um bisher nicht ausgestellte späte Zeichnungen und eine figürliche Plastik ergänzt.

Die größte Ausstellung, mit Fokus auf dem Spätwerk, findet sich dann im Oberlichtsaal des Neubaus im Museum Küppersmühle. Hier erschließen sich Krickes Experimente mit Farben und Formen, Größen und Perspektiven. Eine wunderbare Erkenntnis: Norbert Krickes Werk ist auf eine gute, schöne Art gealtert.

In seiner Heimatstadt Düsseldorf sind seine Arbeiten bis heute vielerorts zu finden, besonders prominent etwa die „Große Mannesmann“ am Rheinufer zwischen den beiden Gebäuden des damaligen Röhrenunternehmens Mannesmann. Sein großes Thema, das Zusammenspiel von Raum und Zeit, wird beim Umrunden der Skulptur spürbar und plausibel. So wie der pulsierende Rhythmus der Plastik.

Kricke war Professor für Bildhauerei und Direktor der Kunstakademie Düsseldorf

Im selben Jahr, 1959, entsteht die große „Flächenbahn“ für die Stirnwand des Kleinen Hauses des Theaters Gelsenkirchen. Eine ähnliche Arbeit wie sie in der Aula des Apostelgymnasiums in Köln-Lindenthal hängt, eine plane Reihung von Stäben, die an den Rändern zerfasern. Vor dem ehemaligen Gebäude der Deutschen Welle in Köln-Raderthal (neben Deutschlandfunk) liegt die „Große Raumkurve“ (1980), die in ihrer leichten und offenen Form auf die strenge rechtwinklige Geometrie der hohen Gebäude ringsum reagiert. Trotz ihrer Größe (14 x 17 x 12 m) scheint die lange Linie den Gestus eines Augenblicks festzuhalten, wie eine Zeichnung im Raum.

1964 übernimmt Kricke eine Professur für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf, ab 1972 wird er für zehn Jahre ihr Direktor. Bezeichnenderweise ist von dieser Zeit vor allem der große Streit um Josef Beuys und dessen letztendliche Entlassung in Erinnerung. Was Norbert Kricke als Lehrer und Rektor für die Institution und ihre Studierenden bewirkt hat, bleibt immer ein bisschen in Vergessenheit. Dabei war er es, der 1972 die Tradition des Akademierundgangs einführte, die öffentliche Ausstellung studentischer Semesterarbeiten. Am 26. Juni 1984 stirbt Norbert Kricke in seiner Heimatstadt.

„Norbert Kricke. Studioausstellung“, Lehmbruck Museum Duisburg, bis 7. Mai 2023; „Norbert Kricke – Sammlung DKM“, Museum DKM, bis 7. Mai 2023; „Norbert Kricke – Bewegung im Raum“, MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, bis 31. März 2023

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