Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Paula RegoWarum ein prügelnder Affe auch heute noch politisch ist

Lesezeit 4 Minuten
Ein Comicaffe haut eine Frau.

Paula Regos „Red Monkey Beats His Wife“ (1981) ist im Museum Folkwang, Essen, zu sehen.

Das Essener Museum Folkwang widmet dem eindringlichen Werk der Künstlerin Paula Rego eine große Ausstellung.

Kräftige Arme und kräftige Farben, große, flächig gemalte Frauenkörper, liegend, sitzend, stehend oder auf Knien, kämpferische Engel, übergriffige Mannspersonen. Affen, Schweine, Hühner und Hunde, im Schrei geöffnete Münder, eine kannibalische Puppe, Gesichter, Blicke, Schenkel.  Traditionelle Geschlechterrollen und Moralvorstellungen, Familienkonstellationen, soziale, politische und sexuelle Machtdynamiken, die Rolle der katholischen Kirche sowie die Auswirkungen der Diktatur auf die portugiesische Gesellschaft...

Drastisch und entschieden erzählen die figürlichen Gemälde und Grafiken, Zeichnungen, Pastelle und Collagen der britisch-portugiesischen Künstlerin Paula Rego (1935-2022) von den Themen, die sie beschäftigten. Diese haben auch nach Jahrzehnten und unter gewandelten Bedingungen nichts von ihrer Dringlichkeit und Brisanz verloren. Für ihre Bilder wählte sie neben vielen anderen auch Figuren aus Märchen und Volkserzählungen, machte Anleihen bei Comics, bei der Oper und historischen Stoffen, enthüllte und verschleierte, deutete an, kommentierte mit scharfem Humor, entlarvte, prangerte an.

Ist das süß oder fies? Es ist wohl irgendwie beides

Eine groteske Parabel mit hasenköpfigen Gestalten und Pastelle wie „Red Monkey Beats his Wife“ oder „Wife Cuts Red Monkey’s Tail“ (1981) geben dem Geschlechterkampf surreal und bildgewaltig Ausdruck. Von dem Motiv Mädchen mit Hund (die Serie „Girl and Dog“) gibt es mehrere Variationen; man weiß es nicht genau, ist das süß oder fies? Es ist wohl irgendwie beides.

Der feministische Leitspruch aus den 1970er Jahren „Das Private ist politisch“ dient der Ausstellung im Museum Folkwang als Leitfaden, sich dem vielschichtigen Werk von Paula Rego zu nähern. Die Künstlerin war zeitlebens davon überzeugt gewesen, dass Kunst in der realen Welt etwas bewirken kann, und so wurde sie nicht müde, Konflikte und Probleme zu benennen. Soziale und strukturelle Ungerechtigkeit, körperliche Selbstbestimmung und seelische Gesundheit blieben ihre Themen.

Die Essener Schau „The Personal and The Political“ zeigt mit 130 Werken aus sieben Jahrzehnten nicht nur, „wie Rego ihre Kunst als politisches Instrument versteht“, sondern auch, wie vielfältig und radikal die Künstlerin dachte und arbeitete. Mit ihrem künstlerischen Vorgehen, so sagte sie selbst, versuche sie, der Angst ein Gesicht zu geben. So wie etwa bei den kleinteiligen Collagen aus Zeitungsausschnitten und eigenen Zeichnungen, die sie neu zusammenfügte, mit Ölfarbe, Tusche, Wachskreide, Grafit- und Buntstiften weiter bearbeitete, nur um sie dann durch Kratzen und Hacken für die meisten unlesbar zu machen - die angedeuteten Geschlechtsteile sind mancherorts immer noch erkennbar.

Eine Frau sitzt auf einem Topf und hat ihren Kopf auf ein Bett gelegt.

Untitled No.2, 1998, aus der Abortion-Serie von Paula Rego

Rego studierte von 1952 bis 1956 in London an der Slade School of Fine Art unter anderem bei Lucian Freud, lernte dort ihren späteren Ehemann Victor Willing kennen, ebenso wie viele Künstlerkollegen der London School, die nach dem Zweiten Weltkrieg die figurative Kunst hochhielten. Die Formate wurden größer, ob Acryl oder Pastell auf Leinwand oder Gouache auf Papier. Die Künstlerin erfuhr zunehmend internationale Anerkennung, nahm an Biennalen und Ausstellungen teil, gewann Preise, in der englischen Kunstszene ist Rego vielen Künstlerinnen weiterhin ein Vorbild. Kurz vor ihrem Tod 2022 wurde ihrem Werk im internationalen Pavillon der Biennale von Venedig ein eigener Raum gewidmet.

Eine wunderbare Entdeckung, gerade in ihrer drastischen Thematik, sind Regos Aquatinta-Radierungen, eine Technik, die sich besonders zur Erzeugung von malerischen Halbtönen eignet und an Goyas „Los Caprichos“- und „Desastres de la Guerra“-Zyklen erinnert. Gleichzeitig erinnern sie auch daran, dass die Druckgrafik seit jeher als ein demokratisches Medium gedacht und benutzt wurde, um Informationen zu verbreiten oder um gesellschaftliche Missstände publik zu machen, kurz: um möglichst viele Menschen zu erreichen. Ebendas hat offenbar bei der sogenannten „Abortion“-Serie, bei der es um das Thema illegale Abtreibung geht, funktioniert und ebendas verbindet Paula Rego auch wieder mit Francisco de Goya.

Wenn ich kann, dann setze ich Malerei als politische Waffe ein
Paula Rego

„Wenn ich kann, dann setze ich Malerei als politische Waffe ein, um Denkweisen zu verändern.“ Das hat sie 2009 gesagt, und, sie hat mit ihrer Arbeit offenbar tatsächlich ganz konkret politisch gewirkt: Die „Abortion“-Serie entstand ab 1998, erst als eine Gruppe von zehn Pastellen, von denen einige in der Ausstellung zu sehen sind; bald darauf wiederholte sie die Motive als Radierungen, die auf die lebensbedrohlichen Folgen von illegalen Eingriffen aufmerksam machten und die sogleich eine weite Verbreitung fanden.

Die eindringlichen Arbeiten sollen, so heißt es, die öffentliche Meinung und das Abstimmungsverhalten der Menschen beeinflusst haben, als es 2007 in einem zweiten Volksentscheid darum ging, endlich auch in Portugal Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren. Auf den Bildern ist vor allem erkennbar, wie alleingelassen mit ihrer Angst, ihrer Scham und ihren Schmerzen sich die Frauen nach dem Eingriff fühlen und wie ungeschützt sie ja tatsächlich oft sind. Körperlicher Schmerz und Erotik liegen in diesen Bildern befremdlich eng beisammen.

Aktuell sind diese Bilder weiterhin: 16 Tage nach Paula Regos Tod am 8. Juni 2022 hat der US Supreme Court die fast 50 Jahre lang geltende Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht Roe v. Wade und mit ihr das Recht auf körperliche Selbstbestimmung gekippt.


„Paula Rego. The Personal and The Political“, Museum Folkwang, Essen, Di.-So. 10-18 Uhr, Do., Fr. 10-20 Uhr, bis 7. September 2025