phil.CologneWas wir von Primaten über Gender lernen können

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Der Primatenforscher Frans de Waal bei der Phil.Cologne.

Der Primatenforscher Frans de Waal bei der Phil.Cologne.

Unterhaltsam und lehrreich erzählte Primatenforscher Frans de Waal in Köln davon, was wir über biologische Geschlechtsunterschiede und die Rolle von Kultur und Sozialisation wissen.

Wenn man einer Gruppe junger Primaten eine Puppe gibt, spielen die Weibchen mit ihr. Sie tragen sie herum, wie auch ihre Mütter es tun, sie kümmern sich und versorgen sie. Männlicher Affennachwuchs hingegen ignoriert das Spielzeug. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, in Scheingefechten die eigene Kraft zu messen und den erwachsenen Geschlechtsgenossen nachzueifern. „Die Weibchen kümmern sich um die Kinder, die Männer machen den ganzen Tag Politik“, fasst es Frans de Waal, einer der weltweit führenden Primatenforscher, am Donnerstagabend bei der phil.Cologne zusammen. Junge Primaten orientieren sich also an Vorbildern des eigenen Geschlechts – ein Prozess, den der Forscher „Selbstsozialisation“ nennt.

Sind Affen also das perfekte Role Model für alle, die in der aufgeheizten Gender-Debatte keine Unterscheidung zwischen „Sex/Nature“ auf der einen und „Gender/Nurture“ auf der anderen Seite machen wollen und darauf bestehen, dass unser biologisches Geschlecht auch unsere Identität definiert? Mitnichten, wie der Niederländer de Waal im Gespräch mit Shanli Anwar in der Comedia darlegt.

Denn so einfach, wie es manche haben wollen, ist es auch bei den Primaten nicht. Einen Mutterinstinkt, den das beschriebene Verhalten ja nahelegt, gibt es laut de Waal nicht. Die Weibchen müssen das Muttersein lernen. Wenn etwa in Gefangenschaft ein Tier schwanger wird, ohne vorher die Aufzucht der Jungtiere beobachtet zu haben, muss man ihr erst beibringen, wie man sich kümmert. Und Männchen, die Junge adoptieren, weil deren Mütter gestorben sind, machen das genauso gut und verantwortungsvoll wie Weibchen. Die adoptierten Primaten sind hinterher genauso gut entwickelt und integriert.

Und dann erzählt der 74-Jährige von Donna, einer Schimpansin, die zwar weibliche Genitalien hat, aber auch eine starke, an Männchen erinnernde Behaarung. An Sex ist sie nicht interessiert, an der Hege des Nachwuchses auch nicht. Sie fühlt sich wohler bei den Männchen der Gruppe und wenn die ihr Imponier-Gehabe an den Tag legen, ist Donna mit dabei. Gleichzeitig ist sie weniger aggressiv. Vor allem aber, und das ist einer der vielen Aha-Momente an diesem unterhaltsamen und lehrreichen Abend, ist Donna in ihrer Schimpansen-Gruppe vollkommen integriert.

„Worauf es wirklich ankommt, sind Liebe, gegenseitiger Respekt und die Erkenntnis, dass Menschen nicht gleich sein müssen, um einander ebenbürtig zu sein.“
Frans de Waal

Die Tiere kopieren das Verhalten derjenigen Vorbilder, mit denen sie sich identifizieren, sagt de Waal. Und er zitiert die amerikanische Biologin Joan Roughgarden: „Transgender ist die Annahme eines Tutors des anderen Geschlechts.“

Ist Donna also ein trans-Schimpanse? Vielleicht. Vor allem aber macht de Waal deutlich, dass genau unser Wunsch, allem ein Label zu geben, mitunter zu Problemen führt. Unsere vielleicht größte Errungenschaft, die Sprache, stehe uns dabei im Weg. Primaten brauchten keine Label. De Waal zitiert den Fortpflanzungsbiologen Milton Diamond, der sagte: „Die Natur liebt die Vielfalt. Leider hasst die Gesellschaft sie.“

Frans de Waal, der seit vielen Jahren in den USA lebt und lehrt, hat seine Erkenntnisse in seinem neusten Buch „Der Unterschied. Was wir von Primaten über Gender lernen können“ (Klett-Cotta, 480 Seiten, 28 Euro) niedergeschrieben. Und er bewegt sich auf dem Mienenfeld der Gender-Debatte mit großer Gelassenheit und Ruhe, also genau jenen Attributen, die ihr aktuell so sehr fehlen.

Ein Schimpanse.

Ein Schimpanse.

Er redet dabei keiner Seite nach dem Mund. Eine No-Touch-Policy, wie es sie mittlerweile an vielen amerikanischen Schulen gebe, hält er für falsch. Gerade Jungen müssten – ähnlich wie Primaten – ihre Kräfte austesten, um sie richtig einschätzen zu können, sagt de Waal, der selbst mit fünf Brüdern aufwuchs. Gleichzeitig betont er, dass die weitverbreitete Vorstellung von Alphamännchen im Tierreich falsch sei. Ja, es gebe auch aggressive und fast schon diktatorisch auftretende Affen, aber das sei die Ausnahme. Die meisten Alphamännchen regelten Konflikte klug.

Und auch die Alphaweibchen, die bei den Bonobos das Sagen haben, passen wohl nicht in das schematische Mann-Frau-Bild, in das manche die Gesellschaft zwingen wollen. Bei ihnen sei, anders als bei den Männchen, aber nicht die rein körperliche Kraft entscheidend für ihre Stellung in der Gruppe, sondern ihre Erfahrung und die Fähigkeit, Konflikte zu lösen. Sie seien kollektiv dominant über die Männer, obwohl sie viel kleiner sind. Vergewaltigungen gebe es bei ihnen nicht, die weibliche Solidarität sei groß.

Frans de Waal räumt mit einigem Irrglauben auf. Etwa dem von der passiven weiblichen Sexualität, die auch die Biologie lange lehrte, weil eben auch Wissenschaftler häufig die Antworten von ihrem Fach herbeiführten, die zu ihrem eigenen Weltbild passten. Primaten hingegen seien vorurteilsfrei. Das gelte auch für Homosexualität. Bei den Menschen häufig als abweichend von der Norm gebrandmarktes Verhalten nehmen sie als völlig normal hin, solange es nicht das Funktionieren der Gruppe gefährde.

Wir können eben viel lernen von den Primaten. Es ist ein Abend voller spannender Einblicke und kluger Beobachtungen, der ganz im Zeichen von de Waals Botschaft steht: „Worauf es wirklich ankommt, sind Liebe, gegenseitiger Respekt und die Erkenntnis, dass Menschen nicht gleich sein müssen, um einander ebenbürtig zu sein.“

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