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PhilharmonieChöre aus Köln und England singen gemeinsam das „War Requiem“

Lesezeit 3 Minuten
Die Kölner Sopranistin Agnes Lipka posiert zwischen Containerbahnhof und Schrottplatz

Agnes Lipka, Sopranistin aus Köln

Zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren wurde in der Kölner Philharmonie Benjamin Brittens „War Requiem“ aufgeführt.

Uraufgeführt wurde Benjamin Brittens „War Requiem“ 1962 zu Einweihung der modernen Kathedrale von Coventry, errichtet gegenüber der Ruine der 1940 von deutschen Bombern zerstörten gotischen Kathedrale. Das Werk ist ebenso Klage über Tod und Zerstörung wie aktuelle Aufforderung „Nie wieder Krieg“. Die Aufführung in der Kölner Philharmonie anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren war jetzt zudem ein sicht- und hörbares Zeichen für Völkerverständigung und Versöhnung. Denn die örtlichen Kräfte KölnChor, Rheinischer Kammerchor und Mädchenchor am Kölner Dom verbanden sich mit Lewisham Choral Society und Hackney Singers aus der britischen Hauptstadt zu einem rund 170 Stimmen umfassenden Riesenchor.

Britten komponierte das „War Requiem“ auf Passagen der lateinischen Toten-Liturgie sowie Texte des englischen Dichters Wilfred Owen, der die Schrecken des Ersten Weltkriegs erlebte und kurz vor dem Waffenstillstand fiel. Während Chor und Orchester zusammen mit Agnes Lipkas kraftvoll strahlendem Sopran für Massenszenen und Menschheitsdämmerung angesichts der in der „Offenbarung des Johannes“ prophezeiten Apokalypse stehen, verkörpern Tenor Markus Franke und Bariton Thomas Laske individuelle Einzelschicksale inmitten der Katastrophe. Zu Schilderungen von Kameradschaft, Verwundung, Hilfsbereitschaft, Hunger, Leid und Tod von Soldaten verbreitet ein separat platziertes Ensemble aus Streich- und Bläserquintett plus Harfe unter Co-Dirigent Dan Ludford-Thomas wahlweise trügerische Ruhe oder sanfte Mitmenschlichkeit als Gegenbild.

Die Anfangsbitte um ewige Ruhe und Frieden für die Verstorbenen grundieren düstere Bässe. Auch die Hoffnung, den Toten möge das ewige Licht leuchten, bleibt dunkel. Erst der Mädchenchor unter Leitung von Oliver Sperling lässt aus der höchsten Empore mit glockenhellen Stimmen einen zarten Silberstreif am Horizont erscheinen. Zu diesem Zeitpunkt haben die Schrecken und Kriegsgräuel allerdings noch nicht einmal richtig begonnen. Erst die nachfolgende mittelalterliche Sequenz „Dies irae“ eskaliert zur Kriegsmusik. Von beiden Seiten des Orchesters blasen Horn- und Trompetenfanfaren zum Angriff. Der Apparat beginnt zu marschieren, walzt alles Individuelle nieder, entfacht markerschütternde Trommelschläge und grollende Paukenwirbel wie tödlicher Geschützdonner. Der große Chor und die Philharmonie Südwestfalen Siegen unter Gesamtleitung von Wolfgang Siegenbrink lassen die fast ausverkaufte Philharmonie erschüttern.

Im „Sanctus“ klirren neben Glocken nur metallische Schlaginstrumente sowohl himmlisch als auch irdisch hart und industriell wie Kanonen aus den Waffenschmieden. Das „Agnus Dei“ verschränkt die Passion Christi mit dem Leiden und Sterben auf den Schlachtfeldern damals wie heute. Die Bitte um Erlösung „Libera me“ wird von immer bedrohlicher rasselnden Militärtrommeln und einschlagenden Trommeln durchkreuzt. Britten macht hier unmissverständlich deutlich, von welcher größten Plage die Menschheit befreit zu werden wünscht. Und das brutale Tosen stellt klar, dass der Tag des Zorns nicht in unabsehbarer Zukunft des Jüngsten Gerichts liegt, sondern in der „Apocalypse Now“ der vielen gegenwärtigen Kriege: Ukraine, Gaza, Jemen, Kolumbien, Sudan, Ruanda, Kongo, Afghanistan, Syrien … die Hoffnung auf Frieden aber stirbt zuletzt. Denn das „War Requiem“ endet im letzten Takt mit der plötzlichen Rückung in eine weit entferne helle Dur-Tonart. Großer Applaus für alle Beteiligten.