Der schwedische Regisseur Markus Öhrn schickt im Depot 2 August Strindberg durch die Eifersuchtshölle.
Premiere am Schauspiel KölnVon Masken und Lesben

Andreas Grötzinger, Elias Eilinghoff, Bettina Lieder und Rebekka Biener in „Eifersucht/Die Nacht der Lesben“ am Schauspiel Köln
Copyright: Marcel Urlaub
Bevor der rote Vorhang im Depot 2 den Blick auf den grellweißen Raum im Cinemascope-Format freigibt, meldet sich eine körperlose Stimme zu Wort. Sie gehört Markus Öhrn, dem Regisseur und Bühnenbildner des Abends. Wenn er ins Theater gehe, bekennt der Schwede, wolle er zuerst wissen, wie lang es denn dauern werde. Woraufhin er netterweise die Zeiten von „Eifersucht/Die Nacht der Lesben“ durchgibt: Erster Akt, verdiente Pause, zweiter und zum Glück kürzerer Akt. Das stimmt versöhnlich und mag im Vorgriff darauf geschehen sein, dass Öhrns Inszenierung etliche Längen hat. Die sind hier unvermeidbar, weil im Regiekonzept mit eingepreist.
„Die Nacht der Tribaden“, wie der Titel eigentlich heißt (aber wer kennt schon noch das verschwiemelte Wort für die Liebe unter Frauen), war vor 50 Jahren ein großer Bühnenerfolg für den schwedischen Autor Per Olov Enquist, ein Kammerspiel, in dem der berüchtigte Frauenfeind August Strindberg mit seiner Ex-Frau einen neuen Einakter einstudiert. „Die Stärkere“ handelt von zwei rivalisierenden Schauspielerinnen, die um die Liebe eines abwesenden Mannes streiten. Der dramatische Monolog – eine Rivalin redet, die andere schweigt – ist autobiografisch motiviert.
Selbstgebastelte Pappmaché-Masken mit riesigen Glubschaugen
In Enquists boulevardesk-psychologisierender Version der Ereignisse ist es just die schweigsame Konkurrentin, die im Kopenhagener Dagmar-Theater auftaucht, um die von ihr inspirierte Rolle auch auf der Bühne einzunehmen: Strindberg geifert vor Eifersucht, denn im richtigen Leben hatten sich die beiden Frauen lieben gelernt – der Dramatiker wurde nicht herbei, sondern hinfort gesehnt.
Öhrn wiederum setzt seinen Protagonisten – hinzu kommt noch ein von Minderwertigkeitskomplexen gebeutelter Schauspieler – selbstgebastelte Pappmaché-Masken auf, mit riesigen Glubschaugen und den offenen Mündern von Sexpuppen. Ihre Stimmen hat er elektronisch verzerrt – spätestens jetzt muss man an die Ibsen-Gewaltmärsche des norwegisch-deutschen Duos Vegard Vinge und Ida Müller denken.

Elias Eilinghoff als August Strindberg und Bettina Lieder als Siri von Essen Strindberg
Copyright: Marcel Urlaub
Trotz diverser ästhetischer Anleihen ist Öhrns Theater weniger totalitaristisch auf Schockwirkung bedacht, verschwört sich lieber verschmitzt mit dem Publikum, zielt aufs Komische. Wenn sich Elias Eilinghoff als Strindberg erregt, und das tut er oft, klingt er wie Spongebob Schwammkopf. All diese Verfremdungseffekte – die Kasperle-artige Guckkastenbühne, das Installationshafte des minimal möblierten Proberaums, die entschleunigte Sprechweise und die Stummfilm-Gestik – arbeiten einerseits gegen den Entertainment-Faktor der „Tribaden“. Erzeugen dabei eine andere Art von Gelächter, halb amüsiert man sich über das von seinen unwilligen Musen hysterisierte Theatergenie, halb über den selbst schon wieder etwas muffigen Holzschnitt-Feminismus der Enquist-Vorlage.
Fast drei Stunden lang (Pause inklusive) hält Öhrn, der Video- und Performancekünstler, diesen oft in Gelächter ausschlagenden Camp-Faktor in der Schwebe. An äußerer Handlung geschieht so gut wie nichts, doch den Maskierten beim in dicke Anführungszeichen gesetzten Geschlechterkampf zuzuschauen, ist ein Vergnügen. Wie sich Andreas Grötzinger als serviler Akteur zwischen Chaiselongue und Topfpflanze windet, wie Bettina Lieder als Siri von Essen Strindberg und Rebekka Biener als ihre Geliebte Marie Caroline David den Dramentext des Dichters an Kölschflaschen saugend mit kichernder Unverschämtheit unterlaufen, wie schließlich Eilinghoff als gemarterter Frauenfeind eine Viertelstunde lang über die korrekte Formel doziert, mit der sich der Umfang seines Penis berechnen lässt, und dabei die langen Glieder in Karl-Valentin-Manier verdreht – man könnte ihnen Stunden zuschauen. Und ist freilich froh, als sich das stotternde Kammerspiel hinter verschlossenem Vorhang im Gewaltexzess entlädt.
„Die Nacht der Lesben“ ist nur die erste Folge von Markus Öhrns Kammerspiel-Reihe am Schauspiel Köln, fünf weitere Dramen nordischer Dichter sollen bis 2030 folgen. Wir werden gerne dabei sein.
Nächste Termine: 21., 28. Dezember; 12., 24. Januar, Depot 2, 165 Minuten, eine Pause
