Premiere im Schauspiel KölnSenioren des Oldschool-Ensembles sezieren die Ehe

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Eine Szene aus dem Stück „Erstmal für immer“ von und mit der Oldschool, demSenioren- und Seniorinnenensemble am Schauspiel Köln und (un-)verheirateten Gästen.

Eine Szene aus dem Stück „Erstmal für immer“. Die Oldschool, das Senioren- und Seniorinnenensemble am Schauspiel Köln widmet sich der Ehe als Institution.

Mit Live-Orgelklängen hinterfragen Ehe-Experten – das Oldschool-Ensemble am Schauspiel Köln – die Bedeutung und die Konsequenzen der Ehe.

„Diagonal!“, schmettert Angelika Pohlert. Es ist der Refrain einer Befreiung. Die Scheidung ist durch, der Mann weg, das Bett leer. Endlich könne sie ungestört darin liegen, singt Pohlert, quer von einer Ecke zur anderen, diagonal. Fort sei auch das Bild von seinem Helden, dem Dalai Lama: „Scheiß auf schlechtes Karma!“ Mit der Stückentwicklung „Erstmal für immer“ widmet sich die Oldschool, das Senioren und Seniorinnenensemble am Schauspiel Köln, der Ehe als Institution – und die Bilanz fällt einigermaßen ernüchternd aus.

Man soll bekanntlich auf die Alten hören, diesen Expertinnen und Experten des Lebens. Und doch steht da nun die 23 Jahre junge Feline Przyborowski und macht ihrer Angebeteten in der zweiten Reihe einen Heiratsantrag. Morgen könne man sich ja gleich wieder scheiden lassen. Aber heute gelte das Unendlichkeitsversprechen der Liebe.

Eine Szene aus dem Stück „Erstmal für immer“ von und mit der Oldschool, dem Senioren- und Seniorinnenensemble am Schauspiel Köln und (un-)verheirateten Gästen.

Eine Szene aus dem Stück „Erstmal für immer“ von und mit der Oldschool, dem Senioren- und Seniorinnenensemble am Schauspiel Köln und (un-)verheirateten Gästen.

Ach, das Herz! Oder sind es die Steuervorteile, die Menschen in die Standesämter und vor die Altäre treiben? Bühnenbildnerin Anna Lachnit hat im Depot 2 einen Heiratsjahrmarkt nachgebaut, mit Losbude, Ballonschießen und Liebestunnel. Oder soll der eine Geisterbahn darstellen? Und Julia Misiorny hat die Oldschooler und ihre jüngeren Gäste in aufgesplittete, verdrehte und seltsam vernähte Festkleidung gesteckt. Dem entspricht die – fantastische – musikalische Begleitung der Organistin Annie Bloch, die Richard Wagners „Treulich geführt“ mit Hingabe auseinandernimmt, zerdehnt, rückwärts spielt, oder Kirmes-gemäß aufarbeitet.

„Erstmal für immer“ im Depot 2: Es gibt den einen, richtigen Partner

Der Abend beginnt mit dem Urtext idealer Zweisamkeit, der Erzählung von den hermaphroditischen Kugelmenschen aus Platons „Gastmahl“. Die seien den Göttern gleich gewesen, weshalb ein eifersüchtiger Zeus sie in zwei Hälften getrennt habe, die sich seitdem nacheinander sehnen. Platon leitet aus dem Mythos vor allem ein Lob der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft unter Männern ab. Aber das nur nebenbei. Angekommen ist eine ganz andere Botschaft: Es gibt den einen, richtigen Partner. Und ohne sie oder ihn ist man nur ein halber Mensch.

Dem mag nun fast jeder auf der Bühne widersprechen. Immer wieder treten jeweils drei Protagonisten des Ensembles aus dem Liebestunnel vor und erzählen in Zeitabschnitten von drei Wochen, drei Jahren oder auch ganzen Dekaden, was aus ihrer Beziehung, ihrer Ehe, beziehungsweise ihren Ehen geworden ist. Unweigerlich führt der Weg von blumigen Hoffnungen zu herber Desillusionierung: Erst spielt man noch „verheiratet“, doch schon bald fragt man sich: „Bleibt das so? Sieht so jetzt mein Leben aus?“ Ein harter Bruch kann sich dann als unverhofftes Glück erweisen.

Regisseur David Vogel schafft elegante Übergänge zwischen diesen Chören der vom Leben Angefassten und Monologen, die mal beschwingt, mal empört, mal so schockierend ausfallen, wie Lily Schumachers Geschichte von der zweiten Hochzeit ihres Vaters und der Tochter, die die zweite Frau nicht in die Ehe mit einbringen durfte und die stattdessen zur Adoption freigegeben wurde. Weil sie nicht ins Bild einer perfekten Verbindung passte.

Es sind also etliche Wunden, die die Darsteller hier so mutig wie souverän offenlegen, die arrangierte Ehe nach ungewollter Schwangerschaft, oder die späte Erkenntnis, dass im Prinzip alles stimmt, nur leider nicht das Geschlecht des Partners.

„Erstmal für immer“ im Depot 2: Sollten sich Staat und Kirche aus der Liebe heraushalten?

Bräuchte man vielleicht ganz andere Verträge? Sollten sich Staat und Kirche aus der Liebe heraushalten? Die Richterin Gabriele Bos, die schon zu viele öffentlich verhandelte Scheidungen gesehen hat, plädiert dafür. Pfarrer Tim Lahr hat dagegen schon viele Ehen geschlossen und weiß: Je größer das Fest, desto kürzer die Ehe.

Vogel gibt ihren Einwürfen starke Bilder: Bos trägt Ballons, die sie zerplatzen lässt wie Illusionen, Lahr trägt Netzstrümpfe unter seinem Talar-ähnlichem Gewand. Nicht, dass der liebevolle Abend der Liebe keine Chance ließe: Die Oldschool zeigt ihr nur neue Wege auf. Absolute Empfehlung.

„Erstmal für immer“, Termin: 15. 11.; 2., 13., 22., 30. 12.; Depot 2, 90 Minuten, keine Pause

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