Salzburger FestspieleBei Verdis „Macbeth“ klappert es, bei Hanekes „Liebe“ klappt's hingegen

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Katharina Bach (l.) und Andre Jung während der Fotoprobe zum Schauspiel «Liebe (Amour)» nach Michael Haneke.

Katharina Bach (l.) und Andre Jung im Schauspiel „Liebe (Amour)“ nach Michael Haneke.

Die hohen Erwartungen an die Salzburger Premieren werden nur teilweise erfüllt. Großer Applaus für Karin Henkels Haneke-Adaption. 

Der in Salzburg bewährte polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski und die litauische Sopranistin Asmik Grigorian, seit ihrer „Salome“ 2018 ein Weltstar, sollten für Verdis „Macbeth“ ein neues Traumpaar abgeben. Warlikowski, bekannt als Spezialist für düstere Stoffe, kommt dem Rätsel des machthungrigen Paars aber nicht wirklich auf die Spur. Er zeigt ein Gespann, das sich öffentlich inszeniert wie die britischen Royals.

Immer wieder kommen Kinder ins Spiel, denn Warlikowski mutmaßt, dass die Mordlust des Paares nichts anderes ist als die Kompensation der Kinderlosigkeit. In weißer Unterwäsche stürmt eine Schar herein, wird gemordet und am Bühnenrand aufgereiht, später geistern Kinder mit Schwellköpfen umher und in einem Horror-Video wird auf einem Silbertablett ein Baby an Brokkoli und Blumenkohl serviert.

Philippe Jordan: Zu Beginn Koordinationsprobleme

Aus allzu vielen Ideen wird leider kein stimmiges Konzept, der Abend produziert mehr oder weniger beliebige Wimmelbilder mit abgestandenen Horror-Effekten. Auch die musikalische Seite des Abends reißt es nicht raus. Philippe Jordan kämpft im Graben anfangs mit Koordinationsproblemen. Die Wiener Philharmoniker finden zwar streckenweise zur Bestform, aber es klappert häufig im Zusammenspiel mit Bühne und Chor.

Asmik Grigorians Höhe flackert erst, später fängt sie sich, und findet zu der ihr eigenen Intensität. Aber sie ist kein Verdi-Sopran, es mangelt an Gewicht und groß aufblühendem Ton, die Höhe klingt unfrei, festgehalten. Vladislav Sulminsky singt die Titelpartie mit schönem Legato, bleibt aber seltsam blass. So räumen die kleineren Partien ab: Tareq Nazmi gibt einen packenden Banco, Jonathan Tetelman singt mit tenoraler Wucht einen fulminanten Macduff.

Salzburger Festspiele: Uraufführung von Bühnenadaption

Im Salzburger Landestheater gibt’s am Tag darauf eine Uraufführung: Karin Henkels Bühnenadaption von Michael Hanekes grandiosem Film „Liebe“. Der Film handelt von einem gut situierten Pariser Ehepaar im Ruhestand. Die Frau erleidet einen Schlaganfall und wird pflegebedürftig. Das Paar schottet sich zunehmend ab, Annes Zustand verschlechtert sich rasant. Ihr Mann ist überfordert und greift schließlich nach einem Kissen und erstickt sie. Der Film erzählt bildreich und wortkarg in der Rückblende, eine echte Herausforderung für eine Bühnenadaption.

Bevor es losgeht, sitzt André Jung am rechten Rand und hält ein Kopfkissen fest, starrt leer vor sich hin in einer Mischung aus Verzagtheit und Trotz. Wer Hanekes Film kennt, weiß, was das Kopfkissen zu bedeuten hat.

Karin Henkel: Recherchen über Alltag der Pflegeindustrie

Muriel Gersters Bühne ist zunächst ein klinisch-weißer Tunnel, der sich nach hinten verengt. Wenig später öffnet sich oben eine Klappe, ein Fuder Erde stürzt herab. Dann weitet sich der Raum, ein Flügel wird hereingeschoben, ein Mann stimmt ein Schubert-Impromptu an. Dann rollen Pflegebetten auf die Bühne, Rollstühle, aber der Raum bleibt abstrakt, mehr Versuchsanordnung als reales Setting.

Karin Henkel erzählt nun von allen Stationen der Überforderung, auch den Details des Verfalls, ohne sie drastisch zu zeigen. Und sie fügt Recherchen ein über den Alltag der Pflegeindustrie: Im kalten Staccato wird da zitiert aus Lehrbüchern, wie man Patienten zu lagern und zu windeln hat, ein Leistungskatalog wird heruntergeleiert, Oberkörperwäsche, Ganzkörperwäsche, kämmen, anziehen, drei Minuten, fünf Minuten, eine Minute.

Joel Small: Kraftverlust und Verfall virtuos performt

Die kranke Anne ist hier keine einzelne Schauspielerin, sondern verteilt auf mehrere Personen. Eine Version verkörpert der Performer Joel Small und macht virtuos Verfall und Kraftverlust sichtbar. Später konzentriert sich die Rolle auf die Schauspielerin Katharina Bach, die auch die Tochter spielt. Die Rollen sind teils fluide besetzt, im Zentrum aber steht André Jung als überforderter, störrischer Ehemann. Jung zeigt kein Star-Schauspieler-Theater, sondern spielt eher zurückhaltend und begreift sich als Teil einer Reflexion über Krankheit, Überforderung, Hilflosigkeit und das heikle Thema der Sterbehilfe.

Ein weiterer Bruch mit Hanekes Film ist der Chor von Laien, den Henkel einführt. Es sind ältere Menschen, die betroffen sind von einer schweren Krankheit oder von Krankheit und Tod von Angehörigen. Die Laien rücken vor der Pause in den Mittelpunkt und berichten von ihrem Schicksal. Dabei sind Menschen, die sterben wollten, dann aber doch weiterlebten. Menschen, die einen Suizid akzeptieren mussten, Menschen, die krank und eingeschränkt sind und trotzdem ihr Leben genießen. Diese inklusive Strecke des Abends stellt eine unausgesprochene Frage in den Raum, nämlich die, was ein lebenswertes Leben sei und wer darüber zu befinden hat.

Karin Henkel gelingt mit ihrer Bühnenfassung tatsächlich etwas Vergleichbares wie Haneke, dessen Film tief berührt, aber niemals gefühlig wird. Denn sie verschiebt den Fokus des Films vom privaten Drama hin zu gesellschaftlichen Fragen höchster Brisanz: Wie gehen wir mit Alter, Krankheit und Pflege um? Müssen wir das Thema Sterbehilfe überdenken? Ein ernster, konzentrierter, niemals plakativer Abend. Großer Beifall.

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