So war der „Tatort“ aus BremenSchneller Krimi über familiäre Emanzipation und Befangenheit

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Szene aus „Donuts“, dem neuen „Tatort“ aus Bremen. Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) sitzt am Tisch mit ihrer Schwester Marie (Luise Böse) und schaut nachdenklich und verzweifelt an der Kamera vor bei. Sie sitzt im Vordergrund. Hinter ihr sind verschwommen ihre Mutter Jenny (Angelika Richter), Marie und ein Mann zu sehen.

Kommissarin Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer, rechts) verzweifelt an ihrer Mutter Jenny (Angelika Richter, 2.v.l.) und Marie (Luisa Böse, 3.v.l.).

Der „Tatort“ „Donuts“ spielt in Bremerhaven. Kommissarin Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) muss sich mit ihrer Heimat auseinandersetzen.

Mit quietschenden Reifen und einem Sportwagen, der Donuts fährt, beginnt und endet der Bremer „Tatort“. Während die Kreise am Anfang noch schnell und kunstvoll gefahren werden, sind sie am Ende des Films bloß ein letzter verzweifelter Versuch der Flucht. Eben diese ist in „Donuts“ eines der prägnantesten Motive – in Form von rasanten Verfolgungsjagden, von familiärer Emanzipation und der Flucht vor sich selbst und überkochenden Gefühlen.

Der Fall im „Tatort“ aus Bremen

In Bremerhaven, einem der größten Automobilumschlaghäfen Europas, wird André Rusu, der Bereichsleiter der Fahrer, tot im Kofferraum eines Autos gefunden. Dieses hätte noch in der Nacht den Terminal verlassen sollen. Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) ermitteln – Selb jedoch nach kurzer Zeit nur von Brüssel aus. Unterstützt werden sie vom Bremerhavener Kollegen Robert Petersen (Patrick Güldenberg), den Moormann aus Schulzeiten kennt. Die Kommissarin ist in Bremerhaven aufgewachsen, versucht ihre Vergangenheit aber zu verdrängen. 

Szene aus dem Bremer „Tatort“ „Donuts“. Marie (Luisa Böse) liegt auf der Rückbank eines Autos in Gheorghe Rusus (Arian But) Arm. Beide gucken verträumt.

Gheorghe Rusu (Arian But) und Marie (Luisa Böse) träumen von einer besseren Zukunft.

Doch sie wird spätestens von dieser eingeholt, als sie während der Ermittlungen auf Marie (Luise Böse) trifft, die ihre gesamte Freizeit mit Gheorghe (Adrian But) und Oleg (Jonas Halbfas), dem Neffen des Opfers, verbringt. Mit dem älteren Bruder Gheorghe führt Marie eine brisante, liebevolle Beziehung, geprägt von gemeinsamen Abenteuern und Träumen. 

Das Trio lässt heimlich Sportwagen vom Terminal mitgehen, fährt damit nächtliche Rennen und misst sich untereinander beim Donuts drehen. Eines der geklauten Fahrzeuge ist mit besonderer Kühlung getunt, sodass der Motor höhere Drehzahlen fahren kann. Das macht sie verdächtig, weshalb sie schnell in den Mittelpunkt der Ermittlungen geraten. 

Die Schwestern

Als Liv Moormann das erste Mal Marie trifft, wird klar, dass die beiden sich kennen. Der allgemein sehr schnell erzählte „Tatort“ wird dann ganz ruhig und langsam. Beide Gesichter zeigen Überraschung, verraten vor allem Schmerz. Dass Marie die Schwester der Kommissarin ist, wird erst im Verlauf erzählt. Zunächst erfährt das Publikum von ihrer Befangenheit, es weiß so gut wie Moormann selbst, dass sie nicht ermitteln dürfte. Sie tut es dennoch, selbst als ihr der Fall entzogen wird, nachdem sie die Verwandtschaft zugibt.

Die Heimat umarmt mich, wie ein böser Tiger
Liv Moormann, „Tatort“ „Donuts“

Auslöser ist, dass Marie aus einem plötzlichen Impuls heraus Henning, den Betreiber einer Kartbahn, ihren Ersatzvater, überfahren hat. Davor wollte Moormann nicht daran glauben, dass ihre Schwester einen Menschen töten konnte. Dieser Konflikt in Moormann und zwischen den Schwestern macht den Tatort interessant. Denn die beiden sind ohne Vater und mit einer Mutter, die eigentlich auch nie da war, aufgewachsen. Lange waren sie die jeweils einzige Bezugsperson für einander, doch dann finden sie unterschiedliche Wege der Emanzipation. 

Während Liv ihre Familie hinter sich gelassen hat, mit Kontrolle, guten Noten und einem Beruf, der für Recht und Ordnung sorgt, ihren Ausweg gefunden hat, klammert Marie sich an allem fest, was Familie bedeutet – Liv, Henning und dann Gheorghe. Impulsiv bricht Marie immer wieder kurz aus. „Irgendwas läuft über manchmal“, beschreibt sie es. Sie hat Verlustängste, ist tief verletzt, findet ihren Fluchtweg in schnellen Autos und Adrenalin. Sie macht alles mit voller Wucht, hat ihre Gefühle und Taten nicht unter Kontrolle. 

Liv hat all das unter der Oberfläche mit ihr gemeinsam. Das wird besonders deutlich in einer Montage, die beide beim Autofahren zeigt. Liv fährt Runden auf der Kartbahn, Marie flüchtet mal wieder vor der Polizei. Beide haben Spaß am Adrenalin, weinen, schreien, lassen alles heraus.

Die Auflösung zum „Tatort“ aus Bremen

Mit dem Tod des Bereichsleiters haben Marie und auch der Rest des Trios jedoch nichts zu tun. Gheorghe und sein Onkel hatten Autoteile vom Terminal geklaut und dann verkauft – an eine Briefkastenfirma in Brüssel, die Industriespionage betreiben, den getunten Wagen mit der neuen Kühlung haben wollten und deshalb Tallyman, Spitzname Pinkie (Matthieu Svetchine) unter Druck gesetzt haben. Dieser kontrollierte das Beladen und Löschen der Schiffe am Hafen. Den jähzornigen Rusu tötete er unter Druck in einem Unfall, wie Tallyman sagt.

Am Ende werden alle verhaftet. Gheorghe für seine illegalen Deals, Tallyman für den Mord an Rusu und Marie wird ausgerechnet von Liv, die am Ende doch Familie von Recht trennen kann, für den Mord an Henning gefasst.

Das Fazit zum „Tatort“ aus Bremen

In „Donuts“ passiert sehr viel, an manchen Stellen auch zu viel - zwei Menschen sterben, es gibt mehrere spektakuläre Verfolgungsjagden, es wird viel gestritten und zum Ende auch noch Oleg entführt. Die schnelle und laute Erzählweise passt aber zum Thema. Alles geschieht auf einmal, brodelt immer wieder über, es ist fast ein Sinnbild für die Ausbruchsversuche der Schwestern.

Der Film kann aber auch in langsamen, ruhigen Momenten überzeugen, in denen einzelne Blicke aussagekräftig sind, wenn der Schmerz ganz intim dargestellt wird, Verletzlichkeit gezeigt wird. Der Tatort bietet schöne, aufwändige Aufnahmen mit bildlichen Parallelen. Zudem ist es einfach erfrischend, unterschiedliche Formen von rastlosen, wütenden Frauen und verletzlichen Männern zu sehen. 

Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) sitzt auf einer Bank auf der Seebäderkaje und schaut nachdenklich. Hinter ihr steht Robert Petersen (Patrick Güldenberg).

Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Robert Petersen (Patrick Güldenberg) kennen sich von früher.

Gerade Petersen ist ein spannender Charakter. In diesem Film steht er zwischen den Stühlen, mitten in der unterhaltsamen Rivalität, die sich zwischen den Ermittlungsteams aus Bremen und Bremerhaven ergibt. Dann entscheidet er sich, Moormann zu unterstützen. Er hat einen starken Gerechtigkeitsdrang, will seiner alten Freundin einfach nur vertrauen können und möchte gleichzeitig das Richtige tun. Hoffentlich wird er das Bremer Team öfter unterstützen.

Schade hingegen ist, dass Selb so wenig zu sehen war. Die kluge, eigenartige Kommissarin versucht sich auf liebliche, schlichte Weise mehr in Empathie und baut langsam eine Beziehung zu Liv Moormann auf. Diese kann gerne mehr Raum im nächsten Bremer „Tatort“ bekommen.

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