So war der Münchener „Tatort”Gelungenes Spiel mit Traum und Wirklichkeit

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Ivo Batic (Miroslav Nemec, l.) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl).

Der Fall

Die aufstrebende Geigerin Marina Eden (Jara Bihler) gesteht einen Mord, den sie vielleicht begangen hat, vielleicht aber auch nur erträumt hat. Im Streit, so glaubt sie, hat sie ihre Freundin und gleichzeitige Konkurrentin Lucy Castaneda (Dorothée Neff) umgebracht. Als die Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) zu ermitteln beginnen, geraten sie in die knallharte Münchener Orchester-Welt, in der mit allen Mitteln um die heiß begehrten Plätze gekämpft wird.

Schnell stellt sich außerdem heraus, dass Eden und ihre Freundin Lucy Castaneda Teil einer Studie zum luziden Träumen waren. Die Klarträume sollen den begabten jungen Frauen helfen, ihr Potenzial noch gezielter auszuschöpfen. Doch stattdessen beginnt für die beiden Realität und Traum zunehmend miteinander zu verschwimmen. Hat Marina Eden also nur vom Mord an ihrer Freundin geträumt? Doch wo ist Castaneda dann? Ein Rätsel mehr gibt der Tatort auf dem Münchener Gasteig auf: Denn dort finden die Ermittler zwar Blut, das eindeutig von der jungen Frau stammt, jedoch keine Leiche. Auch Kampfspuren sind nicht zu entdecken.

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Und im Umfeld Castanedas will niemand etwas wissen – schon gar nicht von Lucy. Der Vater, selbst berühmter Pianist, ist auf Welttournee und findet gerade mal Zeit für ein kurzes Skype-Gespräch mit den Kommissaren, die den Tod seiner Tochter aufklären wollen. Die Mutter hat Selbstmord begangen, als der Druck ihrer eigenen Karriere als Star-Violinistin zu groß wurde. Ihr Freund Mats Haki (Theo Trebs) ist eigentlich mehr an der besten Freundin interessiert. Und der Geigenlehrerin Lahja Åkerström (Lisa Marie Janke) ist es bloß wichtig, irgendeine ihrer Schülerinnen im Orchester zu platzieren. Die Spuren, die Batic und Leitmayr mit ihrem Kollegen Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) finden, führen allesamt in eine Schattenwelt voller Einsamkeit, Leistungsdruck und Konkurrenz.

Die Musik

Bei diesem Tatort stand auch das Münchner Rundfunkorchester mit seinem Dirigenten Ivan Repušić vor der Kamera. Die orchestrale Filmmusik für „Dreams“ wurde von David Reichelt komponiert. Der Münchener Komponist ist für seine Werke bereits zweifach mit dem Deutschen Filmmusikpreis ausgezeichnet worden.

Über die Musik für „Dreams“ sagt Reichelt: „Ein Traum ist nicht klar, nicht konkret. Und so bleibt auch die Musik in diesem Tatort in der Schwebe. Im Traumthema fehlen sämtliche musikalischen Orientierungspunkte. Es gibt weder Anfang noch Ende. Die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen nicht nur im Film, sondern auch in der Musik.“

Übrigens: Das BR-KLASSIK Label veröffentlicht den Soundtrack am 5. November 2021.

Das Jubiläum

Seit ganzen 30 Jahren lösen die beiden Münchener Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) nun schon gemeinsam ihre Fälle. Ihr Debüt machten die zwei 1991 in dem „Tatort: Animals“. Die Haare sind seitdem zwar grauer geworden, der Humor aber ist geblieben. Die Münchener Ermittler gehören nicht nur zu den dienstältesten, sondern auch zu den beliebtesten Tatort-Kommissaren. Eine Referenz auf ihr Jubiläumsjahr darf in dem aktuellen „Tatort: Dreams“ natürlich auch nicht fehlen: „Das ist der merkwürdigste Fall seit... wie lang halte ich es jetzt schon mit dir aus? Seit 30 Jahren“.

Die Auflösung

Marina Eden hat den Mord an ihrer Freundin Lucy Castaneda tatsächlich nur geträumt. Als sie Castaneda nicht mehr erreicht und die Angst wächst, sie könnte ihr doch etwas angetan haben, spricht sie ihrer Freundin in ihrer Verzweiflung auf die Mailbox und erzählt von ihrem Traum.

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Castaneda, auch ihrerseits völlig verzweifelt wegen einer seltenen Nervenkrankheit, die sie das Gefühl für ihre Finger verlieren lässt, nutzt die Gelegenheit und täuscht daraufhin ihren eigenen Tod vor. Sie schneidet sich selbst in die Hand und verteilt ihr Blut auf dem Dach des Münchener Gasteigs. Dann versteckt sie sich in einer alten Hütte im Wald, in der sie früher Zeit mit ihrer zutiefst depressiven Mutter verbringen musste.

Selbst eine luzide Träumerin, träumt sie davon, ihre Freunde, ihre Lehrerin und ihren Vater zu erschießen. Stattdessen verliert sie in Wirklichkeit nach einer Überdosis Beruhigungsmittel das Bewusstsein. Batic und Leitmayr können sie gerade noch rechtzeitig finden.

Das Fazit

„Dreams“ ist ein fesselnder Tatort, der die Spannung zwischen Traum und Wirklichkeit gezielt zu nutzen weiß. Dabei verliert er sich nicht in psychoanalytischem Geschwafel. Für die nötige psychologische Deutung sorgt Regisseur Boris Kunz klug mit Symbolen und Bildmotiven. Etwa die leeren Glasfläschchen, die Lucy Castanedas Vater seiner Tochter stets von seinen Welttourneen mitbringt: Sie sind gefüllt mit der Luft der großen Bühnen.

Auch den Spannungsbogen vermag dieser Tatort kontant oben zu halten. Während zu Beginn noch alles auf einen Mord zwischen Konkurrentinnen in der hart umkämpften Orchester-Welt aussieht, zeigt „Dreams“ dass man sich am Ende oft selbst der größte Feind ist. Insbesondere in einer vergifteten Umgebung, in der jeder nur noch für sich selber kämpft. Wer gefangen im eigenen Traum ist, verliert den Bezug zur Außenwelt – oder der Realität.

Das doppeldeutige Leitmotiv „Traum“ zieht sich so konsequent durch diesen Tatort und verleiht ihm zusätzliche Spannung. Dass es am Ende überhaupt keinen Mörder gibt, tut dem keinen Abbruch. „Dreams“ handelt schließlich von den Dämonen im eigenen Kopf, die realen Bösewichte können Batic und Leitmayr dann beim nächsten Mal wieder jagen.

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