Turnstile aus den USA sind die Band der Stunde. Bei ihrem Konzert in Düsseldorf ließ sich einer Bewegung beiwohnen, die gerade erst begonnen hat.
Turnstile in DüsseldorfBeginn einer neuen Jugendbewegung

Das Bild zeigt ein Konzert der Band Turnstile in Düsseldorf
Copyright: Kevin Goonewardena
Am Ende der Show ist die Band nicht mehr zu sehen. Dutzende Fans klettern zum letzten Song „Birds“ auf die Bühne, tanzen, springen, posen – die Sicherheitskräfte sind eingeweiht. Es ist nicht nur der Moment, in dem die Grenzen zwischen Musikern und Fans eingerissen werden, in dem es keinen Unterschied mehr zwischen vor und auf der Bühne gibt. In diesem Augenblick wird klar: Mit dieser Show hat man etwas Großem beigewohnt.
Die US-Hardcore-Band Turnstile ist die Band der Stunde. Sie euphorisiert die Jugend, sie zieht die Älteren, egal wo sie spielt. Das ist an diesem Abend in Düsseldorf nicht anders. Tausende sind in die ehemalige Philippshalle gekommen, nur zwei Locations in der Stadt fassen mehr Besucher. Vor fünf Jahren, kurz vor dem ersten Lockdown, trat das Quartett aus Baltimore noch im Kölner Gebäude 9 auf. Heute: 7500 statt nicht einmal 500 Besucher. Was ist passiert?
Brutale Kissenschlacht
Eine „brutale Kissenschlacht“, schreibt „Die Zeit“, sei das, was Turnstile bieten würde – und das trifft es ziemlich gut. „It's never enough /Never enough / Never enough / Love“ hallt es zum Auftakt durch die Halle, Band und Publikum wechseln sich ab, das Bühnenlicht wird perfekt orchestriert. Der Opener des Konzerts ist auch das titelgebende Eröffnungsstück des aktuellen Albums der Band. Fünf Grammy-Nominierungen gab es dafür, die neuen Songs stellte man bei Jimmy Fallon vor. Mit einem puristischen Verständnis von Hardcore hat das nicht mehr viel zu tun, „Never Enough“ etwa hat Stadionhymnen-Format – und zum Glück stört sich niemand daran.
Die Band packt das Publikum sofort und wird es nicht mehr loslassen – und das will sich der Gruppe auch gar nicht entziehen. Sänger Brandon Yates turnt wie ein Derwisch über die Bühne, nur bei der funk-lastigen Nummer „Seeing Stars“ im letzten Teil der Show gönnt er sich eine Pause und singt im Sitzen. Die überdimensionierte Discokugel, die die Halle in kleinflächig kariertes Discolicht taucht, sorgt für einen weiteren Moment für die Massen.

Turnstile während ihres Konzertes in Düsseldorf.
Copyright: Kevin Goonewardena
Ansonsten wird geknüppelt, unterbrochen nur von wenigen kurzen Pausen, in denen das erloschene Licht das Wundenlecken erlaubt und doch unentwegte „Turnstile!, Turnstile!“-Rufe das Ende jeder noch so kurzen Ruhephasen fordern.
Überall springende Menschen, wogende Körper, in die Luft gestreckte Arme. Es spielt keine Rolle, ob man in der fünften oder hundertsten Reihe steht oder gar sitzt, den die Halle ist teilbestuhlt. Wie im Kino schauen die, die auf den Rängen sitzen, gebannt auf das, was sich unten abspielt. Es gibt keine Zäune, Gräben oder Securitys – der Übergang ist fließend, nur mittig trennt ein Wellenbrecher die Menge, nicht aber die Energie.
Turnstile: Nichts wie wir es kennen
Vor 15 Jahren gegründet, gelang der Gruppe erst 2021 mit „Glow On“ der Durchbruch. Das Album katapultierte die Band aus der Nische heraus, in die Feuilletons und in die Charts. Genre-Grenzen haben Turnstile längst hinter sich gelassen, ihre Musik entzieht sich jeglicher Kategorisierung, wie wir sie kennen.
Der Klang-Entwurf der Band kennt etwa harte Riffs, Saxophon- und Synthesizer-Verwendung gleichermaßen, gekappt haben Turnstile ihre Wurzeln dennoch nie. Auf der Setlist in Düsseldorf finden sich Stücke aller Alben, auch die Frühphase wird mit Songs des Debütalbums („Drop“) und der zwei Jahre zuvor erschienen EP „Step 2Rhythm“ („Keep it Moving“, „Pushing me Away“, „7“) bedacht.
Doch die Beliebtheit der Band ist nicht alleine dadurch zu fassen, dass sie musikalisch mittlerweile ein breites Publikum ansprechen, ihre letzten Platten gar einen Pop-Appeal aufweisen, ihre Shows perfekt inszeniert und sie bei allem eben auch authentisch geblieben sind.
Eine babyblaue Bewegung
Alle paar Jahre erscheinen Künstler, die diesen Spagat zwischen Szene und Mainstream schaffen, die australische Garage-Rockband „Amyl & The Sniffers“ gehört etwa dazu, die britische Indie-Rock-Sensation „Wet Leg“ ebenso.
Es ist die Beziehung zwischen den Fans und der Band, die bei Turnstile den Unterschied ausmacht. Eine Beziehung, die kaum in Worte zu fassen, doch bereits vor dem ersten Ton in Düsseldorf zu spüren gewesen ist – noch bevor die Halle betreten wurde. Überall lag diese Anspannung in der Luft, etwas Großem beizuwohnen.
Auf dem Weg zurück nach Köln schreibe ich mit Leuten über das Konzert. Es sei interessant gewesen zu sehen, besonders, irgendwie anders, ich könne das gar nicht beschreiben. Ein Freund, der die Band bereits bei der letzten Tour gesehen hatte, schrieb, er habe das Gefühl gehabt, man sei Teil einer Jugendbewegung. Einer babyblauen Bewegung, so babyblau, wie das Cover ihres aktuellen Albums.
Der „Brat Summer“ sei nun vorbei, verkündete Pop-Superstar Charlie XCX beim diesjährigen Coachella-Festival und bezog sich dabei auf den von ihr selbst losgetretenen popkulturellen Trend rund um ihr Album „Brat.“ Es sei Zeit für den „Turnstile Summer“ befindet die Sängerin – und es scheint, als habe dieser längst begonnen.

