Vom Teenischwarm zur CharakterdarstellerinKristen Stewart leitet Berlinale-Jury

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Jurypräsidentin Kristen Stewart posiert in Berlin.

Jurypräsidentin Kristen Stewart posiert in Berlin.

Die Schauspielerin vergibt die Bären-Preise bei Deutschlands Top-Filmfestival. Von Kristen Stewart sind Statements zu erwarten – vielleicht sogar auf dem roten Teppich.

Mit dieser Besetzung ist der Berlinale ein Coup gelungen: Sie kürte Kristen Stewart zur Jurypräsidentin. Die Schauspielerin sei „jung, aufstrebend und habe ein beeindruckendes Werk“ vorzuzeigen, wie das Festival begeistert vermeldete.

Die 32-jährige US-Amerikanerin zeichnet aber noch mehr aus. Sie verfügt auch abseits der Leinwand über einen ganz eigenen Kopf und einen ganz eigenen Stil – sogar dann, wenn es um das obligatorische Schaulaufen auf dem roten Teppich geht. Da muss man nur mal die Konkurrenz in Cannes fragen.

Vor fünf Jahren gehörte Stewart der Palmen-Jury an. Damals galt in Südfrankreich noch die Machoregel, dass Frauen in High Heels die heiligen Stufen emporklettern müssen. Und was tat Stewart? Sie entledigte sich unter Blitzlichtgewitter mal eben ihrer spitzen Louboutins und spazierte barfuß hinauf ins Festivalpalais.

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Cannes änderte Reglement – offiziell wenigstens

Ihr Kommentar zu der Aktion: „Wenn man Männern nicht vorschreibt, Heels und ein Kleid zu tragen, kann man mir das auch nicht vorschreiben.“ Inzwischen hat Cannes das Reglement zumindest offiziell geändert (auch wenn das in der Praxis wenig Folgen zeitigt).

In Berlin muss Stewart nicht unbedingt für Gleichberechtigung protestieren – jedenfalls wenn es um die Berlinale geht. Cannes hat vielleicht noch wichtigere Filme zu bieten, aber dafür hat Deutschlands wichtigstes Filmfestival in Geschlechterdingen die Nase weit vorn. Hier werden sogar genderneutrale Preise für schauspielerische Leistungen vergeben.

Internet-Aufregung ließ Stewart an sich abperlen

Da passt also vieles zusammen bei einer Jurypräsidentin, die auch mit ihrer Sexualität cool umgeht: Nach ihrem öffentlichen Bekenntnis zur Bisexualität ließ sie die Aufregung im Internet gelassen an sich abtropfen. Vielleicht lässt sie in Berlin aber so kompromisslose Sätze hören wie diesen: „Das Filmbusiness ist ein von Männern bestimmtes Geschäft, in dem Frauen benutzt und ausgebeutet werden. Das lässt sich nicht leugnen.“

In jedem Fall zählt Stewart zu den größten Attraktionen der am 16. Februar beginnenden Berlinale – neben Sean Penn mit seiner Doku über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Ehrengast Steven Spielberg und Boris Becker, der wiederum einen Dokumentarfilm über sich selbst vorstellt. Eineinhalb Wochen später muss Stewart über 19 Wettbewerbsfilme entscheiden, darunter fünf deutsche. Einer davon ist Margarethe von Trottas Film über die Beziehung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch.

Teenieschwarm wird Charakterschauspielerin – das war nicht vorherzusehen

Das Bild zeigt den britischen Schauspieler Robert Pattinson (r) und seine US-amerikanischen Kollegen Kristen Stewart (M) und Taylor Lautner (l).

Das Bild zeigt den britischen Schauspieler Robert Pattinson (r) und seine US-amerikanischen Kollegen Kristen Stewart (M) und Taylor Lautner (l).

Wer Stewart in ganz jungen Jahren begegnete, hätte ihre unwiderstehliche Entwicklung vom Teenieschwarm zur selbstbewussten Charakterschauspielerin nicht unbedingt vorauszusagen gewagt. Dabei arbeitete sie schon früh an dieser Verwandlung. Als sie sich noch mitten im Trubel des fünften „Twilight“-Films befand, war sie schon längst mit ganz anderen Werken beschäftigt.

Begegnungen mit ihr gestalteten sich oft wie diese im Jahr 2012 in Cannes: Da saß sie offenbar denkbar schlecht gelaunt neben Viggo Mortensen auf einem Hoteldach in Cannes und sollte die Jack-Kerouac-Verfilmung „On the Road“ bewerben – sozusagen das Kontrastprogramm zu ihren Bella-Swan-Schmonzetten. Auf Fragen reagierte sie jedoch wortkarg und schien sich mehr für das Kaltgetränk vor sich auf dem Tisch zu interessieren.

Mürrisch war das Attribut, mit dem sie in dieser Zeit immer wieder belegt wurde. Vielleicht suchte sie aber auch einfach nur ihren Weg aus der ständigen medialen Überwachung. Es wäre ihr sowieso nicht gelungen, allen zu gefallen.

Kristen Stewart: belastetes Verhältnis zur Öffentlichkeit

Ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit war in dieser Zeit schwer belastet. „Was mich wirklich fertigmacht, ist, wenn die Leute denken, ich sei undankbar, weil ich nicht im Bikini nach draußen gehe und den Paparazzi zuwinke“, sagte sie damals. Und: „Das Seltsamste am Berühmtsein ist, dass man keinen ersten Eindruck machen kann. Jeder hat bereits einen Eindruck von dir, bevor du ihn triffst.“

Die Fotografen gierten nach Bildern von der jungen Frau, die auf der Leinwand die Wahl zwischen einem muskulösen Werwolf (Taylor Lautner) und einem blassen Vampir (Robert Pattinson) hat. Ihre Beziehung zu ihrem Co-Star Robert Pattinson im wirklichen Leben war ein gefundenes Fressen, egal, ob sie diese dementierte oder nicht.

Jodie Foster lehrte Stewart Lektionen fürs Leben

Andere Kinderstars stürzen beim Erwachsenwerden ins Bodenlose ab, und jeder Exzess wird nach Kräften ausgeschlachtet. Die 1990 als Tochter von Eltern aus dem Filmgeschäft in Los Angeles geborene Stewart – vor der Kamera stand sie in kleineren Rollen seit dem neunten Lebensjahr – bot den Medien keine Angriffsfläche. Dass ihr das gelang, dürfte sie auch Jodie Foster zu verdanken haben.

Jodie Foster mit Kristen Stewart in „Panic Room“.

Jodie Foster mit Kristen Stewart in „Panic Room“.

In David Finchers Thriller „Panic Room“ spielte Stewart 2002 deren verängstigte elfjährige Tochter – und lernte an der Seite der berühmten Kollegin manche Lektion fürs Leben. Sie solle aus ihrem Alltag „keine Realityshow“ machen, soll Foster dem Nachwuchstalent geraten haben. Foster wusste, wovon sie sprach, war sie doch selbst als jugendliche Kinderprostituierte in Martin Scorseses „Taxi Driver“ (1976) berühmt geworden.

Filmkunst statt Hollywood-Mainstream

So machte sich Stewart daran, als Darstellerin in mittlerweile mehr als 50 Filmen berühmt zu werden. Ganz bequem hätte sie dabei auf Hollywood-Mainstream setzen können, entschied sich jedoch immer mehr für anspruchsvolle Filmkunst wie in „Die Wolken von Sils Maria“ (2014) an der Seite von Juliette Binoche. Für diese Rolle als Assistentin einer alternden Schauspieldiva erhielt sie als erste US-Amerikanerin überhaupt den französischen Filmpreis César.

Grandios spielte sie die vom FBI manipulierte Schauspielerin „Jean Seberg“ (2019). Spaß an Ausflügen ins Popcornland hatte sie zum Beispiel in „3 Engel für Charlie“ (2019) aber auch.

Schauspielerin Kristen Stewart als Prinzessin Diana.

Schauspielerin Kristen Stewart als Prinzessin Diana.

„Kristen Stewart hat sich als eine der profiliertesten internationalen Schauspielerinnen etabliert“, so die Berlinale. Zuletzt zeigte Stewart das als Prinzessin Diana im Kinodrama „Spencer“ (2021). Da brilliert sie als eine Frau außer sich, die im feindlichen royalen Lager den Widerstand probt.

Inzwischen bereitet sich Stewart auf eine neue, ganz andere Rolle vor. Sie verfilmt als Regisseurin die Memoiren der Schriftstellerin Lidia Yuknavitch, die vom erwachenden Selbstbewusstsein einer bisexuellen Frau erzählt.

Bleibt noch die Frage, wie Stewart im winterkalten Berlin den täglichen Gang über den roten Teppich bewältigen wird. So viel ist zu vermuten: barfuß eher nicht.

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