Wolfgang Niedecken über Pazifismus„Mir ist mein Friedenstäubchen abhanden gekommen“

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Niedecken dpa 100622

Wolfgang Niedecken (Archivbild)

Köln – Heute vor vierzig Jahren wurde in Bonn für Abrüstung demonstriert. Wolfgang Niedecken und die Kölner Band „BAP“ brachten mit „Zehnter Juni“ den passenden Protestsong dazu heraus. Im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ blickt Niedecken nun nachdenklich zurück – auch auf seinen eigenen Pazifismus. „Die Welt hat sich in diesen vierzig Jahren stark verändert“, erklärte Niedecken.

„Man muss immer die Fakten neu bewerten; das ist natürlich ein Ritt auf der Rasierklinge“, führte der 71-Jährige aus. „Die Ideale, die wir damals hatten, habe ich immer noch, aber ich bin halt realistischer geworden.“ Er habe an Prinzipien wie „Wandel durch Handel“ geglaubt, so Niedecken: „Im Nachhinein muss man sagen: Man hätte es kommen sehen können.“

Wolfgang Niedecken über Pazifismus: „Weltfremd würde wohl besser passen“

„Mit dem Wissen um das Kommende fällt es leicht, die Friedensbewegung als naiv zu belächeln“ hatte Niedecken in seiner Autobiographie mit Blick auf die damaligen Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss noch geschrieben. Auch heute halte er die Ideale von damals nicht für „naiv“, erklärte Niedecken, „weltfremd würde wohl besser passen.“

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„Das Lied habe ich damals mit dem Gefühl geschrieben, wir könnten wirklich etwas erreichen. Gut, letztlich haben wir nur das Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt erreicht, was letztlich dazu führte, dass Kohl Kanzler wurde“, erklärte Niedecken. Schmidt habe bis ins hohe Alter überzeugt seinen Standpunkt vertreten, räumte der BAP-Sänger ein. „Vielleicht hat er doch recht gehabt.“

Einen „realistischeren“ Blick auf das Weltgeschehen habe er allerdings schon vor einiger Zeit entwickelt, erklärte Niedecken. „Ich habe schon vor längerer Zeit mal gesagt, dass mir mein Friedenstäubchen in Nicaragua abhandengekommen ist.“ Von 1980 bis 1991 herrschte in dem lateinamerikanischen Land ein Guerilla-Krieg. Auch ein Besuch in Mosambik während des Bürgerkriegs habe für eine Veränderung gesorgt, sagte Niedecken.

Wolfgang Niedecken: „Mit ‚Give Peace a Chance‘ kommst du nicht weit“

„Später war ich viel in Afrika unterwegs, teilweise in Ländern, in denen Bürgerkrieg herrschte, und da kommst du nicht weit, wenn du deinem Gegenüber, der dir an den Hals will, mit ‚Give Peace a Chance‘ kommst. Sowas wäre weltfremd“, hatte Niedecken dazu bereits in einem früheren Gespräch mit der „Frankfurter Rundschau“ gesagt. Er habe sich außerdem „politisch immer stark informiert“, so Niedecken. „1982 war ich das vielleicht noch nicht in dem Maße wie heute.“

Angst davor, dass der russische Präsident Wladimir Putin nun Atomwaffen einsetzen könnte, hat Niedecken unterdessen nicht. „Ich glaube nicht, dass es dazu kommt“, erklärte der 71-Jährige, der durchaus Verständnis dafür zeigte, wenn Alt-Pazifisten ihre Meinung zu Waffenlieferungen und Wiederaufrüstung nicht mehr ändern könnten. „Ich kann das verstehen, aber bei mir ist das nicht so“, sagte Niedecken. 

Großes Lob für Annalena Baerbock und Robert Habeck von Wolfgang Niedecken

Mit der Arbeit der Bundesregierung zeigte sich Niedecken derweil zufrieden. „Ich bin sehr froh, dass in Deutschland die Ampel regiert, wobei, eine Farbe hätte man sich sparen können“, erklärte Niedecken und lobte insbesondere die Grünen-Minister Annalena Baerbock und Robert Habeck. „Ich mag Realpolitiker“, sagte Niedecken.

Der BAP-Sänger, der einst gegen Aufrüstung demonstrierte, zeigte sich zuvor bereits im März einverstanden mit der von Bundeskanzler Olaf Scholz zu Kriegsbeginn ausgerufenen „Zeitenwende“ und dem dazugehörigen 100-Milliarden-Euro-Paket zur Modernisierung der Bundeswehr.

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„Wir brauchen eine Bundeswehr, die funktionstüchtig ist“, sagte Niedecken damals im Gespräch mit der „FR“. „Wir haben uns nach dem Fall der Mauer alle in einer trügerischen Sicherheit gewogen. Die Bundeswehr ist nicht die Schweizer Garde, die nur hübsch aussehen soll, aber nichts bringt.“

Den Song „Zehnter Juni“ will Niedecken trotz seines Sinneswandels nicht streichen. Er könne sich weiterhin vorstellen, das Lied live zu spielen, sagte der BAP-Sänger. „Mit der Stelle von den Lügen, mit denen man nichts am Hut hat, könnten ja auch die Lügen Putins gemeint sein. Ich würd’s also nicht ausschließen.“ (das)

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