Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Zum 100. Geburtstag von Stephan HermlinDer Fall einer Leitfigur der DDR in die schwarze Tiefe

Lesezeit 4 Minuten

Stephan Hermlin starb am 6. April 1997 in Berlin.

Köln – Stephan Hermlin wäre am kommenden Montag 100 Jahre alt geworden. Er war ein Autor der DDR, der Lesende, Kollegen, die Buchszene seines Landes intensiv beeinflusst und beschäftigt hat. Sein Leben, seine Haltung, seine Texte wirkten in den Alltag der Menschen hinein und boten Stoff für emotionale, ideologische, moralische Beschäftigung mit der Gegenwart und Geschichte des Landes.

Hermlin gehörte mit Christa Wolf, Christoph Hein, Stefan Heym, Volker Braun und Heiner Müller zu den Großen, fast Göttern der DDR. Sie wurden nicht nur wegen ihrer Bücher geschätzt, sondern auch wegen ihrer Überzeugung für die linke Ideologie, die sich bei ihnen nie gegen die Menschen, gegen ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche und Träume richtete, sondern ihr Sich-Selbstbewusst-Werden förderte. Letzten Endes honorierte das Publikum natürlich auch das Dableiben dieser Schriftsteller in dem Arbeiter- und Bauernstaat, der Andersdenkende von Anbeginn unterdrückte.

Stephan Hermlin, 1915 in Chemnitz geboren und 1997 in Berlin gestorben, war einer der führenden und mehrfach ausgezeichneten Autoren der DDR.

„Abendlicht“, sein bekanntestes Werk, erschien 1979. Der Wagenbach-Verlag legt den Band jetzt noch einmal neu auf, versehen mit der Grabrede von Klaus Wagenbach und einer Würdigung von Kathrin Schmidt (14 Euro).

Hermlins „Abendlicht“, 1979 erschienen und soeben bei Wagenbach frisch aufgelegt, ist das stärkste Zeugnis des damals bereits 64-jährigen Schriftstellers. Es beginnt mit der Beschreibung eines Musikvortrages. Schon im nächsten Satz wird eine Landschaft skizziert, dann Dämmerung, Kühle und eine dunkle Zukunft. Monolithisch steht es im Gesamtschaffen, dem Gedichte, Erzählungen vorangegangen waren und dem nichts Gleiches folgte. Kein germanistisches Seminar kam ohne dieses Buch aus. Von Rostock bis zum Erzgebirge wurde es gelesen und erlebte noch 1990 seine achte Auflage im Reclam Verlag Leipzig mit dem Hinweis im Impressum: „Ausgabe für die DDR und die anderen sozialistischen Länder“.

Ein Bürger geblieben

Auf nur 120 Seiten konnte man von der Wandlung eines Jugendlichen lesen, der aus großbürgerlichen, wohlhabenden Verhältnissen kommt, sich der Sache der Arbeiterklasse verschreibt und Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes wird. Das war nicht nur die Geschichte seines ein Viertel Jahrhundert älteren Kollegen Johannes R. Becher, der – aus ähnlichen Verhältnissen stammend – eine gleiche Wandlung im Roman „Abschied“ beschrieben hatte. Es war auch die Geschichte eines jeden DDR-Bürgers, der sich zu etwas bekennen sollte, vielleicht auch wollte, und in dem vornehmen, distanziert wirkenden, sich nicht mit der Regierungsclique gemeinmachenden, gebildeten Bürger Hermlin gern ein Vorbild sah.

Hermlin beschreibt in „Abendlicht“ auch den Tod des Vaters im Konzentrationslager, den Tod des Bruders im Zweiten Weltkrieg als Angehöriger der Internationalen Brigaden, auch die Geschichte seiner jüdischen Familie, die alles verliert. Ein Schicksal, das Hermlin nie dementierte. „Abendlicht“ schien seine Autobiographie zu sein – das war die Rezeption in Ost wie in West und vergrößerte die Aura um den Menschen Hermlin enorm. Er war kein Kämpfer, kein lauter Redner geworden, sondern war der Angehörige des Bürgertums geblieben, der dennoch bei den Linken seine Heimat gefunden hatte und einer ihrer intellektuellen Köpfe wurde.

Erschrecken aus der Vergangenheit heraus

Dann erschienen im Jahr 1996 die Recherchen des Journalisten Karl Corino. Er schrieb, dass nichts stimme – an der Ermordung seines Vater, dem Sterben seines Bruders für die Freiheit Anderer, an dem Verlust des Familienvermögens und der Vertreibung aus der Heimat Chemnitz. Hermlin hatte sich und seinen Angehörigen eine Biographie erfunden, die ihm Mitleid, Respekt und Unangreifbarkeit sicherte und perfekt in das System DDR passte. Er hatte eine persönliche Wandlungsgeschichte gewählt, wie sie sich die Kommunisten für eine ganze Gesellschaft vorgestellt hatten. Und mit allem hatte er auch eine dem System widerständige, nämlich künstlerische Biographie untermauert. Der „Abendlicht“-Erzähler schreibt Gedichte und steigt nicht wie Hermann Kants Protagonisten in die Ingenieur-, Forstwirtschaft-, Arzt- und Sinologenwelt ein. Hermlin wurde ein Autor für alle.

Stephan Hermlin war mit einem mal ein völlig anderer – wenngleich die Ästhetik des „Abendlicht“-Textes davon unberührt blieb. Das Erschrecken über seine biografischen Lügen, sein Nicht-Dementieren, war ein Erschrecken aus der Vergangenheit heraus. Denn die DDR existierte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Hermlins Verehrung sank in eine schwarze Tiefe. Vermutlich hat es in seiner Biographie Verletzungen gegeben, die ebenfalls literarischen Stoff geliefert hätten. Und wie interessant wäre es gewesen, die Geschichte eines Träumers zu lesen, der um den Preis der Lüge für sich und alle ein Leben erfindet.

Unsere Autorin lebte 29 Jahre, bis Juli 1989 in der DDR. Zuletzt erschien von ihr das Buch „Stadt Tier Raum“ im Sprungturm Verlag Köln.