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20 Jahre Durch den MonsunWann wurden Tokio Hotel eigentlich cool?

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Das Bild zeigt Gustav (l-r), Tom, Bill und Georg von der Gruppe Tokio Hotel. Foto: Patrick Lux/dpa+

Gustav (l-r), Tom, Bill und Georg von der Gruppe Tokio Hotel.

Vor 20 Jahren hatten Tokio Hotel um Tom und Bill Kaulitz ihren Durchbruch. Heute sind aus der von vielen verhassten Teenieband, die Zwillinge geworden, die plötzlich alle cool, finden. Wie ist das passiert?

Tokio Hotel war schon immer cool, mag so mancher sagen. Dass treue Fans von Tom und Bill Kaulitz, den Stars der Band, und Georg Listing und Gustav Schäfer, die oft eher im Hintergrund stehen, das schon so gesehen haben, als die Jungs aus Magdeburg noch Teenager waren, ist wenig überraschend. Aber 2005, als die Band ihren großen Durchbruch mit dem Hit „Durch den Monsun“ hatte, waren auch viele genervt von den 15-jährigen Zwillingen – um es freundlich auszudrücken.

So euphorisch und frenetisch Tokio Hotel vor allem, aber nicht nur, von jungen Mädchen gefeiert wurde – so groß war auch der Hass, der den Teenie-Musikern entgegenschlug. Das ging so weit, dass die Bandmitglieder sich kaum aus dem Haus trauten, weil sie sonst belagert wurden, und auch ihr Umfeld immer wieder belästigt wurde. Es gab einen Einbruch in ihrem Haus, die Brüder wurden gestalkt. Fünf Jahre nach dem großen Hit zog sich die Band deshalb zurück und die Kaulitz-Brüder nach Los Angeles, wo sie immer noch leben.

Tom und Bill Kaulitz – so beliebt wie noch nie?

Heute sind Tom und Bill Kaulitz wieder in aller Munde, aber anders – mit mehr Harmonie und Liebe und weniger Kreischalarm und Fanatismus. Wenn sie mit Georg Listing und Gustav Schäfer – die Kindheitsfreunde sind noch immer vereint – am Freitag (15. August) auf der Bühne in der Berliner Wuhlheide das 20. Jubiläum ihres Hits „Durch den Monsun“ feiern, werden dort bestimmt nicht nur Fans der ersten Stunde sein, sondern auch neu hinzugekommene. Denn die beiden Brüder und mit ihnen die Band sind, so hat es den Anschein, so beliebt wie noch nie. Jeder scheint die Zwillinge jetzt cool zu finden, witzig, authentisch.

Aber was ist dazwischen passiert? Wie wurden sie von diesen extrem polarisierenden Figuren der Popwelt zu Everybody‘s Darling?

Tokio Hotel: Rückzug nach dem dritten Album

Im Herbst 2009 hatte Tokio Hotel noch ihr drittes Album veröffentlicht, „Humanoid“, Anfang des Folgejahres gingen sie damit auf Europatournee durch 18 Länder, und dann: Stille. Mit dem Umzug von Tom und Bill Kaulitz aus dem Hamburger Umland nach Los Angeles – der Flucht, kann man fast sagen – wurde es ruhig um die Band. „Wir haben vier Jahre Pause und keine Musik mehr gemacht – wir wollten einfach nicht mehr zu dem Zeitpunkt“, kommentierte Tom Kaulitz die Pause im Juni dieses Jahres im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir mussten erst lernen, unsere Arbeit und die Musik wieder zu lieben.“

Bruder Bill führte aus: „Das haben wir auf jeden Fall gebraucht, um erwachsen zu werden, uns zu sortieren und der Öffentlichkeit auch mal eine Pause von uns zu geben. Ich glaube, wir haben auch alle genervt.“ Die Entfernung zur Heimat und den außer Kontrolle geratenen Fans und Hatern schien zu helfen, und führte auch dazu, dass Frontmann Bill Kaulitz – der Mädchenschwarm seit Tag eins des Tokio-Hotel-Erfolgs – begann, offener mit seiner Homosexualität umzugehen, die er bis dato versteckt hatte. Vermeintlich der Karriere willen, so hatte es ihm die Musikbranche eingeredet.

Nicht das eine Coming-Out von Bill Kaulitz

In der Folge hatte er nicht das eine Coming-Out, es war ein Prozess, in dem auch Bills 2021 veröffentlichte Autobiografie und der im gleichen Jahr startende Podcast „Kaulitz Hills“ mit Bruder Tom eine Rolle spielten. Heute geht Bill Kaulitz offen wie nie mit seiner Sexualität um – ein Grund, warum er viel authentischer wirkt als in Teenie-Zeiten. Er muss nichts mehr verheimlichen.

Vier Jahre nach dem Rückzug, 2014, kam Tokio Hotel dann mit dem neuen Album „Kings of Suburbia“ zurück, 2017 folgte „Dream Machine“. Große Wellen wie zu „Durch den Monsun“-Zeiten schlug das aber nicht. Wieder mehr in die öffentliche Wahrnehmung gelangen die Brüder durch Tom Kaulitz‘ Beziehung mit Supermodel Heidi Klum. Die beiden lernten sich 2018 kennen, ein Jahr später folgte die Hochzeit. Zum neuen Erfolg trägt auch der 2021 gestartete Podcast bei, in dem die Brüder mit der Zeit auch immer offener über ihr Leben, ihre Gedanken und Gefühle sprechen, immer mit diesem Ticken Selbstironie.

„Kaulitz & Kaulitz“ katapultiert sie in neue Beliebtheit

2024 folgte die erste Staffel „Kaulitz & Kaulitz“, einer Realitydoku über die beiden und natürlich auch ihre Band, „ihr Baby“. Die Serie ging in diesem Sommer in die Fortsetzung – und ist wohl auch ein Faktor, der die Tokio-Hotel-Zwillinge in neue Beliebtheit katapultierte, zu „everybody‘s darling“ machte, wenn man so will. Obwohl sie das eigentlich nicht wollen. „An unserer Musik und allem, was wir machen, sollen sich auch noch Leute stören. Wir provozieren auch gern“, sagte Tom Kaulitz im Interview. Es ist genau diese neue Offenheit, ihre Selbstironie und vor allem die Geschwisterdynamik, die viele an ihnen lieben.

Bill, der immer groß denkt, alles haben will, und zwar am liebsten sofort, luxusliebend und unvernünftig, aber auf diese mitreißende, witzige Art, die einem das Gefühl gibt: Wenn man mit ihm befreundet wäre, würde das richtig viel Spaß machen; und Tom, der „große Bruder“, wie er sich gern darstellt, der Bill auch mal mit Pragmatismus und Kontoauszügen wieder auf den Boden der Tatsachen holt (oder es versucht), auch wenn er selbst ein Luxusleben führt.

Nur zusammen sind sie ganz, das betonen sie immer wieder, und so funktionieren sie auch in der Öffentlichkeit. Der eine sagt was, der andere unterbricht, beide lachen, sie nehmen sich selbst nicht zu ernst. Sie sind dabei witzig, authentisch und ja: cool – seit wann, darüber mag man streiten können, aber für das Jahr 2025 gilt das definitiv.