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Kinderpornos und abgehörte TelefonateEX-BND-Chef Hanning und der Fall Block – Die Unschuld vom Münsterlande

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Das Bild zeigt den ehemaligen Staatssekretär im Bundesinnenministerium und früheren Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning, bei einem WAZ-Gespräch im Jahr 2010. (Archivbild).
Foto: Matthias Graben / WAZ FotoPool / IMAGO

Der ehemalige Staatssekretär im Bundesinnenministerium und frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning, ist im Entführungsfall Block in den Fokus gerutscht. (Archivbild)

August Hanning, einst Präsident des Bundesnachrichtendiensts, wird im Fall Block mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Ein Hausbesuch.

Ein kleiner Ort im Münsterland. Zwei Apotheken, ein Bäcker. Zwei Kirchen hat die Gemeinde. Sie ist stolz auf ihre Rad- und Reitwege. Dort wurde August Hanning geboren. Dort wuchs er auf und gründete einst einen Schachverein. Und dort, in einem alten hofähnlichen Anwesen, wohnt der 79-Jährige, der einst Präsident des Bundesnachrichtendiensts (BND) war, auch heute.

Am 16. September 2025 um 9.59 Uhr klingeln 19 Polizisten und zwei Staatsanwältinnen bei Hanning. Der Hausherr öffnet, bekommt einen Durchsuchungsbeschluss gezeigt. Das Tablet und das Mobiltelefon, das Hanning bei der Begrüßung in der Hand hält, muss er als Erstes abgeben, zusammen mit der Apple Watch an seinem Handgelenk. Im Erdgeschoss finden die Strafverfolger Laptops und zwei weitere Tabletcomputer, die sie ebenfalls sicherstellen. Die Razzia markiert wohl den Tiefpunkt in der Karriere eines Manns, der dem deutschen Staat an höchsten Stellen diente. Hanning arbeitete im Bundeskanzleramt, stieg zum Präsidenten des deutschen Auslandsgeheimdiensts BND auf, saß danach als Staatssekretär unter Wolfgang Schäuble (CDU) im Bundesministerium des Innern. Dann, nach seiner Pensionierung, wechselte er in die Sicherheitsbranche.

Er habe mit der ganzen Sache nichts zu tun, teilt Hanning den Beamten in seinem Haus ungefragt mit. So notieren sie es später. Die ganze Sache, das ist der Entführungsfall Block. Zwei Kinder aus der schwerreichen Hamburger Gastronomiefamilie („Block House“, „Hotel Grand Elysée“) wurden in der Silvesternacht 2023 in Dänemark ihrem Vater Stephan Hensel entrissen, gewaltsam nach Deutschland gebracht und dort der Mutter Christina Block übergeben. Christina Block, ihr Lebensgefährte Gerhard Delling und mutmaßliche Helfer stehen in Hamburg deswegen seit Monaten vor Gericht. Sie bestreiten die Vorwürfe. Im Fall Block geht es aber auch um das Unterschieben von Kinderpornografie. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) konnte entsprechende Ermittlungsakten, Protokolle aus Abhöraktionen und weitere Dokumente einsehen. Darin taucht mehrfach der Name August Hanning auf.

Das Bild zeigt Christina Block, deutsche Gastronomin und Unternehmerin,  neben ihren Verteidigern Otmar Kury (r) und Ingo Bott vor dem Prozessbeginn wegen mutmaßlicher Kindesentführung in das Landgericht Hamburg. Foto: Marcus Brandt/Pool-dpa/dpa

Christina Block, deutsche Gastronomin und Unternehmerin, steht neben ihren Verteidigern Otmar Kury (r) und Ingo Bott für den Prozessbeginn wegen mutmaßlicher Kindesentführung in das Landgericht Hamburg.

Kontakt zu Ex-Mossad-Agent

Während der Razzia in seinem Anwesen will Hanning unbedingt „Herrn M.“ anrufen. Die Beamten erlauben ihm das nicht. „Herr M.“, Vorname Thorsten, ist ein früherer Polizist des Landeskriminalamts Hamburg. Gegen ihn und Hanning wird ermittelt. Beide stehen unter Verdacht, an der versuchten Entziehung Minderjähriger mitgewirkt zu haben. Bei Hanning besteht laut Ermittlern auch noch der Verdacht falscher Verdächtigung und der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte zur Diffamierung anderer. Beide bestreiten mittels ihrer Anwälte alle gegen sie erhobenen Vorwürfe.

Hanning und M. arbeiteten schon vor Jahren zusammen. Im Fall Block erhielt die Schweizer Sicherheitsfirma System 360 von Christina Block und ihrem Vater Eugen insgesamt 220.000 Euro. Hanning sitzt im Verwaltungsrat der Firma, M. ist Vorsitzender der Geschäftsleitung. Ebenfalls involviert in die vielschichtigen Aktivitäten von Sicherheitsberatern im Auftrag der Familie Block war der israelische Unternehmer und frühere Mossad-Agent David Barkay. Er gilt aufgrund von Zeugenaussagen vor Gericht und Ermittlungsergebnissen als Chef der Truppe, der die beiden Kinder der Blocks entführte. Seit dem Frühjahr 2024 wurde nach ihm international gefahndet. Mitte November bestätigte die Staatsanwaltschaft Hamburg überraschend, dass David Barkay in Kontakt mit den Ermittlern stehe – und ausführlich ausgesagt habe. Eine Anfrage mit der Bitte um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen ließ Barkay unbeantwortet.

Hanning kannte und traf den heute 68-jährigen Israeli. Während der Razzia gab Hanning an, dass er mit Barkay auch in Kontakt gestanden habe, weil er für diesen Kinderpornografie an das Bundeskriminalamt übermitteln sollte. Laut Hanning schickte Barkay ihm in dieser Sache per E-Mail Dateien, deren Inhalt ihm, Hanning, aber unbekannt gewesen sei. Hanning half. Er rief beim Bundeskriminalamt an und schickte die Dateien dann per E-Mail los. In dem Anschreiben nahm er Bezug auf das vorherige Telefongespräch. Das Bundeskriminalamt sollte mit dieser Lieferung offensichtlich auf den angeblichen Besitzer der Dateien angesetzt werden. Es waren Blocks Ex-Mann Stephan Hensel und einer seiner Anwälte, so der Stand der Ermittlungen, die mithilfe kinderpornografischer Inhalte diffamiert werden sollten. Auf dem Garagendach von Hensels Haus in Dänemark wurde in einer wasserdichten Tasche kinderpornografisches Material gefunden. Es stellte sich als gefälscht heraus.

Ermittler erkennen Intrige

Die Ermittler zählten mit Blick auf den Fall Block 542 Bilder und 64 Filme, beschafft laut Aussage des Verdächtigen Barkay in Russland. Was darauf zu sehen ist, haben die Ermittler teilweise in der Akte notiert. Es ist so widerwärtig und schlimm, dass man selbst die knappe, nüchterne Beschreibung kaum ertragen kann. Wäre es gelungen, Hensel und seinen Anwalt als Pädophile zu brandmarken, hätte Christina Block ihre beiden Kinder sicherlich wiederbekommen. Doch der Versuch scheiterte, weil die Ermittler die Intrige durchschauten.

Das Bild zeigt Christina Block, deutsche Gastronomin und Unternehmerin, und Gerhard Delling, ehemaliger Sportmoderator und Lebensgefährte von C. Block, in einer Pause im Prozess wegen mutmaßlicher Kindesentführung im Landgericht Hamburg aus dem Strafjustizgebäude. Foto: Marcus Brandt/dpa

Christina Block, deutsche Gastronomin und Unternehmerin, und Gerhard Delling, ehemaliger Sportmoderator und Lebensgefährte von C. Block, gehen in einer Pause im Prozess wegen mutmaßlicher Kindesentführung im Landgericht Hamburg aus dem Strafjustizgebäude.

Ein Vormittag Anfang Dezember, die Razzia in Hannings Anwesen im Münsterland liegt Monate zurück. Der frühere Geheimdienstchef öffnet der Reporterin die Haustür. Spontan ist er bereit, mit dem RND ein sogenanntes Hintergrundgespräch zu führen. Die Bedingung: Zitiert werden darf nur, was Hanning vor der Veröffentlichung noch einmal gelesen und dann freigegeben hat. Hanning bittet in ein Büro, das im Keller eines Nebengebäudes liegt. Es ist kühl in dem Raum, Hanning entschuldigt sich. Er trägt Pantoffeln, einen grünen Pullover und an einem langen Anhänger einen Schlüsselbund um den Hals. Er setzt sich an einen großen Tisch aus Holz. Eine Stunde lang wird er offen alle Fragen zu seiner Rolle im Fall Block beantworten. Hanning spricht ruhig. Er hat sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt, ist sichtlich um Souveränität bemüht.

Warum hat er – wie aus dem Notizbuch von Christina Block und auch aus dem Gerichtsprozess hervorgeht – mit dem früheren dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen geredet? Um Block zu unterstützen? Warum hat er öffentlich angekündigt, er werde im Block-Prozess als Zeuge aussagen, tut das jetzt aber doch nicht? Und warum hat Hanning die Dateien mit Kinderpornografie weitergeleitet? Auf die Fragen antwortet Hanning ausführlich. Doch die entsprechenden Zitate gibt er tags darauf nicht frei.

Abgehörtes Handygespräch

Über die Weiterleitung der Kinderpornos unterhielt sich Hanning auch mit seinem Kollegen M. Das war im Sommer 2025, zu der Zeit hörten die Ermittler M.s Mobiltelefon ab und hielten später fest, was ihnen relevant erschien. Nach Kenntnissen der Ermittler schlug M. in den Telefonaten Hanning vor, dass dieser offensiv auf die Staatsanwaltschaft zugehen und dort Angaben über die Weiterleitung des kinderpornografischen Materials machen solle. Hanning lehnte dies jedoch ab. Andere Dokumente, die das RND einsehen konnte, bringen mehr Licht in seine Beziehung zum mutmaßlichen Chef der Entführertruppe. Hanning half Barkay nicht nur bei der Weiterleitung der Dateien. Er wollte auch Geschäfte mit ihm machen. Am 14. Oktober 2023, als Barkay und mindestens eine Kollegin bereits seit Monaten im Hotel der Blocks in Hamburg residierten, unterschrieb Hanning ein „Memorandum of Understanding“, eine Absichtserklärung: Auf Englisch und in zehn Punkten ist darin eine Zusammenarbeit zwischen Hanning und Barkay festgehalten. Hanning sollte Barkays Beratungsfirma Kunden in Deutschland zuführen – und dafür 50 Prozent des Honorars erhalten.

Zu der beabsichtigten Kooperation mit dem Israeli hat Hanning in seinem Büro einiges gesagt, wollte sich aber auch damit nicht zitieren lassen. Zurück bleibt ein Mann, der als Präsident des Bundesnachrichtendiensts weltweit schwierige Verhandlungen führte und den man wohl als mit allen Wassern gewaschen bezeichnen darf. Und der sich in Israel gut auskennt. In Hamburg wird Hanning von derselben Rechtsanwaltskanzlei vertreten wie Eugen Block. Hannings Anwalt Leon Kruse hat im September erklärt, er gehe davon aus, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt werde. Sein Mandant bestreite „die falschen Anschuldigungen“ entschieden.

Der Block-Prozess am Hamburger Landgericht geht nach einer mehrwöchigen Pause an diesem Mittwoch weiter. Die Aussagen David Barkays haben die Position der Angeklagten Christina Block offenbar eher nicht verbessert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Unternehmerin von ihrer früheren Aussage abrückt. Block hatte bisher behauptet, nichts von der Entführung ihrer Kinder gewusst und die Entführer nicht beauftragt zu haben. Sollte Christina Block nun ihrerseits auspacken und dem Gericht die ganze Geschichte erzählen, kämen wohl auch weitere Details zur Rolle August Hannings ans Licht.