Nach Tod eines JoggersExperte zu Problembären: „Menschen gehören nicht zu ihrem Beuteschema“

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Eine Braunbärin aus Alaska

Eine Braunbärin aus Alaska

Welche Probleme entstehen dadurch, dass es – auch in Deutschland – wieder wilde Tiere gibt? Wann werden Bären gefährlich? Ein Interview.

In Italien ist ein Jogger von einer Bärin getötet worden, die vor Jahren dort ausgesetzt worden war. Und in Bayern streift derzeit ein Bär umher, der Schafe reißt. Wie gefährlich ist es, wenn es wieder mehr wilde Tiere gibt? Im Interview spricht Andreas von Lindeiner über die Herausforderung. Der Artenschutz- und Wolfsexperte ist beim Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) tätig.

Herr von Lindeiner, in Italien ist vor wenigen Tagen in der Provinz Trentino ein Jogger von einer Bärin getötet worden, die zuvor ausgewildert worden war. Ist es falsch, Bärenpopulationen durch solche Projekte zu erhöhen?

Das Projekt im Trentino wird zwar zum Teil auch kritisch gesehen, ich weiß aber selbst nicht genug über dieses spezielle Projekt, um etwas darüber zu sagen. Der Tod des Joggers ist natürlich tragisch. Es handelt sich aber hier um einen speziellen Fall. Die Bärin war ja zwei Jahre zuvor schon einmal aufgefallen, als sie Menschen angegriffen hatte. Diesmal hatte sie zudem noch Junge geführt, was sie wohl noch gefährlicher gemacht hat. Deshalb hat sie den Jogger sicher auch nicht aus reiner Mordlust umgebracht. Jedenfalls ist es nach so einem Ereignis natürlich gerechtfertigt, ein Tier zu entnehmen, es also gegebenenfalls auch zu töten. Inzwischen ist es ja glücklicherweise gelungen, die Bärin lebend zu fangen.

Woran kann es liegen, dass bestimmte Bären Menschen angreifen und andere nicht? Die Bärin, die auf den Namen Gaia getauft wurde, ist offenbar die Schwester von Bruno, der vor einigen Jahren in Bayern als Problembär erschossen wurde. Er hatte sich immer wieder menschlichen Behausungen genähert. Haben manche Bären einen aggressiveren Charakter, der hier in der Familie liegt?

Ich glaube kaum, dass es daran liegt. Es gibt einen anderen Grund: Die Mutter von Gaia, Bruno und ein weiteres Geschwistertier sind wohl als Familie von Menschen angefüttert worden. Durch so etwas verlieren Tiere die natürliche Scheu vor den Menschen.

Wichtig ist mir aber zu betonen, dass es nicht nur Problembären gibt. In Bayern zum Beispiel wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Spuren von Bären gesichtet, letztes Jahr in Garmisch-Partenkirchen, davor im Allgäu, in diesem Jahr im Landkreis Miesbach und derzeit im Landkreis Rosenheim. Die Tiere selbst hat aber niemand zu Gesicht bekommen, weil sie sich normal scheu verhalten. Wenn vereinzelt solche Tiere auftauchen, handelt es sich meist um junge Männchen auf der Suche nach einer Partnerin. Es ist nicht die Nähe der Menschen, die sie suchen.

Ist also nicht die künstliche Ansiedlung der Tiere an sich das Problem? Und: War das Trentino nicht der falsche Ort, um dort Bären auszusetzen?

Gebiete, in denen Bären noch natürlicherweise vorkommen, sind dünn besiedelt, deshalb kommt es da kaum zu Problemen. Das Trentino ist in weiten Teilen allerdings auch nicht dicht besiedelt. Die Behauptung, es gäbe zu viele Bären, die im Trentino ein Regionalpolitiker geäußert hat, ärgert mich.

Bären haben eine bestimmte Reviergröße und diese verteidigen sie gegen Artgenossen. Dort finden sie ihr Futter, zum Beispiel Rehe, Wildschweine, Beeren und Obstbäume. Die Vorstellung ist falsch, dass sie nicht mehr in unsere Kulturlandschaft passen würden.

Wie kann denn ein Bär einen Menschen von einem Wildschwein unterscheiden?

Am Geruch. Wir Menschen gehören nicht zu ihrem Beuteschema und werden eher als Bedrohung gesehen, weshalb sie uns meiden. So bringen sie es auch ihren Jungen bei. Ungünstig ist es, wenn sie durch den Kontakt die Scheu verlieren oder Menschen mit Futter in Verbindung bringen – weil sie gefüttert wurden oder weil Menschen in der Natur, zum Beispiel beim Campen, Nahrungsreste herumliegen lassen. Das sollte man in Gebieten mit Bären unbedingt vermeiden.

Eine Auswilderung und gezielte Wiederansiedlung von Bären in Deutschland ist jedenfalls nicht geplant. Dafür wird die Wiederansiedlung von Wölfen unterstützt oder zumindest toleriert. Auch darüber gibt es immer wieder Streit.

Ja, dabei geht es nicht um die wirklich sehr geringe Gefahr für den Menschen, sondern um Angriffe auf Nutztiere wie Schafe. Fast in ganz Deutschland lassen sich Tiere vor Wölfen aber durch Zäune schützen, nur nicht in bestimmten Hochlagen in den Alpen, wo das Gelände dies nicht zulässt. Wenn sich ein Rudel angesiedelt hat, funktioniert es oft am besten: Dann sind dessen Gewohnheiten bekannt und Landwirte können sich damit arrangieren und wissen, wie sie ihre Tiere schützen. Durchziehende Wölfe, die sich anders verhalten können, werden dort, wo ein Rudel lebt, von diesem vertrieben.

Problematisch ist es auch bei Wölfen, wenn Menschen diese füttern
Andreas von Lindeiner

Für Menschen sind die Wölfe komplett ungefährlich?

Wildtiere gilt es auch, als solche zu respektieren. Problematisch ist es auch bei Wölfen, wenn Menschen diese füttern. So war das zum Beispiel bei Kurti, einem Wolf, der auf einem Truppenübungsplatz in der Lüneburger Heide von Soldaten angefüttert worden war. Er verlor immer mehr die Angst vor Menschen und benahm sich auffällig. Schließlich musste er dann erschossen werden.

Schafe liegen hinter einem Zaun auf einer Weide in Oberaudorf im Landkreis Rosenheim. In der Umgebung wurden zuvor zwei Schafe von einem Bären gerissen und ein drittes verletzt, das daraufhin getötet werden musste.

Schafe liegen hinter einem Zaun auf einer Weide in Oberaudorf im Landkreis Rosenheim. In der Umgebung wurden zuvor zwei Schafe von einem Bären gerissen und ein drittes verletzt, das daraufhin getötet werden musste.

Wie lassen sich solche möglicherweise gefährlichen Tiere von harmlosen unterscheiden? In Bayern hat Ministerpräsident Markus Söder ja bereits angekündigt, er wolle die Regeln verschärfen, damit Wölfe eher abgeschossen werden können.

Ich frage mich, welche Regeln er da verschärfen will, ohne mit EU-Recht zu brechen, denn es handelt sich immer noch um streng geschützte Tiere. In dem Moment, wo sich Wölfe unauffällig verhalten und nur das fressen, was sie in freier Wildbahn erbeuten, gibt es keinen Grund, sie zu töten. Auch nicht, wenn ein Wolf zum Beispiel nachts auf einer Dorfstraße gesehen wird. Es gibt aber bereits den Aktionsplan Wolf, der festlegt, wann man eingreifen sollte. Wenn ein Wolf immer wieder Nutztiere reißt, die ordnungsgemäß geschützt sind, sich unprovoziert Personen nähert oder auch Hunde in Begleitung von Menschen angreift, kann er getötet werden. In Österreich gab es auch Bären, die sich immer wieder Bauernhöfen und Fischerhütten genähert haben oder gar in Gebäude eingedrungen sind. Das geht natürlich nicht. Nur weil ein Bär einzelne Schafe auf einer Weide gerissen hat, wie jetzt im Landkreis Rosenheim, ist er hingegen noch keine Gefahr für den Menschen.

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