Polizist zum Kindesmissbrauch in Lügde„Das Verfahren hat mich krank gemacht"

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Lügde: Auf dem Campingplatz Eichwald in Lügde hängt vor dem versiegelten Campingwagen eine Banderole mit der Aufschrift: «Polizeiabsperrung».

Im Untersuchungsausschuss Kindesmissbrauch des nordrhein-westfälischen Landtags sagten zwei Polizisten zum Fall Lügde aus.

Im Missbrauchsfall Lügde steht die These eines Netzwerks im Raum. Auf die Frage ging der Untersuchungsausschuss Kindesmissbrauch im öffentlichen Teil seiner Sitzung am Montag aber nicht ein. Besonders die unangemessene Befragung der Opfer stand in der Kritik.

Es gibt Momente in der Vernehmung, in denen Thorsten S. mit den Tränen kämpft. Der Polizeibeamte sitzt in der Mitte des kreisrunden Saals im Düsseldorfer Landtag und beantwortet Fragen, die der Untersuchungsausschuss zum Missbrauchskomplex Lügde an ihn richtet. Der Auftritt, die nicht enden wollende Kritik an der Polizeiarbeit, nimmt ihn mit, ab und an bricht seine Stimme.

Der Druck damals sei enorm gewesen, sagt er. Seine Kolleginnen und Kollegen hätten monatelang in Hotels verbracht, fern von ihren Familien, ohne jede Freizeit. So etwas wünsche er niemanden. Was auch immer behauptet werde, „ich bin noch heute stolz auf das Ermittlungsergebnis“, sagt S.

Im Fall Lügde besteht weiter Aufklärungsbedarf – SPD vermutet Netzwerk

Nach fast einem Jahr Pause hat der nun wieder eingesetzte Ausschuss am Montag seine Arbeit aufgenommen. Es soll weiterhin geklärt werden, wie es dazu kommen konnte, dass trotz Hinweisen drei inzwischen verurteilte Männer jahrelang insbesondere auf einem Campingplatz im ostwestfälischen Lügde mindestens 40 Kinder tausendfach missbrauchen konnten. Drei Jahre lang, bis zur Landtagswahl im Mai 2022, hatte sich das Gremium mit dem Fall befasst und 3000 Seiten zusammengetragen. Das Komplettversagen von Jugendämtern und Polizei wurde in dieser Zeit offenkundig, der Aufklärungsbedarf der Parlamentarier aber ist offenbar längst nicht gedeckt.

Die SPD hat angekündigt, nun vor allem der Frage nachgehen zu wollen, ob hinter den Tätern nicht doch ein ganzes Netzwerk steckt. Deshalb sollen nun weitere Personen vernommen werden, die an der Aufklärung des Falls mitgewirkt haben.

Unübersichtliche Akten, CD-Box verschwunden

Den Anfang am Montagvormittag machte Thorsten S. vom Polizeipräsidium Bielefeld. Im Februar 2019 wurden die Ermittlungen auf seine Dienststelle übertragen, nachdem herausgekommen war, dass sich bei der anfangs zuständigen Kreispolizeibehörde Lippe eine Panne an die andere gereiht hatte: Schlampige Durchsuchungen, verschwundene Asservate, unqualifizierte Polizisten.

S. ist ein erfahrener Beamte, 18 Jahre lang bearbeitete er Sexualdelikte, neun Jahre leitete er Mordkommissionen, unter anderem untersuchte er die grauenhaften Vorfälle im sogenannten „Horrorhaus von Höxter“. Im Fall Lügde ernannte man ihn zum Leiter der Ermittlungseinheit. Das Verfahren habe ihn krank gemacht, sagt S. Er sei zwar voll dienstfähig, aber weiterhin in ärztlicher Behandlung.

Mit ruhiger Stimme schildert S., welches Chaos ihnen die Kolleginnen und Kollegen aus Lippe hinterlassen hatten. Die Akten seien dermaßen unübersichtlich geführt worden, dass diese hätten komplett neu strukturiert werden müssen. Den Umgang mit den etwa 1500 Asservaten nannte er höflich ein „Ärgernis“, auch diese hätten sie neu sortieren müssen. Eine Box mit 155 CDs blieb auch auf Anfrage verschwunden.

Anhörung geschädigter Kinder mangelhaft durchgeführt

Am meisten angefasst aber reagierte S. auf die Frage, wie er die von den Kollegen durchgeführten Anhörungen der geschädigten Kinder bewertet habe. Die Beamten hätten keine Qualifikation für derartige Vernehmungen gehabt, sagte S. Standards seien missachtet, vielfach Suggestivfragen gestellt worden. Die Mängel seien so groß gewesen, dass die Aussagen wohl vor Gericht keinen Bestand gehabt hätten. Also hätten sämtliche Befragten erneut aussagen müssen. Für die ohnehin traumatisierten Kinder sei das eine ungeheure Belastung gewesen, sagte S. mit gebrochener Stimme.

Aber auch in Bielefeld ist offenbar nicht alles glatt gelaufen. Eines der Opfer sei stundenlang befragt worden, habe geweint und sei regelrecht zusammengebrochen, sagte der SPD-Abgeordnete Andreas Bialas. Warum denn der Opferschutz sich danach nicht mehr um das Kind gekümmert habe, will er wissen. Eine plausible Antwort darauf hat S. nicht.

Auf die Frage nach einem größeren Netzwerk ging der Ausschuss zumindest im öffentlichen Teil nicht ein. Am Dienstag werden die Vernehmungen fortgesetzt.

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