„Das ist wie Gift, das wird nicht aufhören“: Mehr und mehr werben Kriminelle über soziale Medien Kinder und Jugendliche für Bombenanschläge, Auftragsmorde und andere Straftaten an. In einer TV-Reportage schildert ein „Mordmakler“ die krassen Praktiken - und verrät seine Preisliste.
„Wie Pizza bestellen“„Mordmakler“ erklärt in TV-Doku, wie er Kinder für Bombenanschläge rekrutiert

Filmemacher Mirco Seekamp (rechts) befragt einen sogenannten Mordmakler, der Kinder und Jugendliche für Straftaten rekrutiert. (Bild: NDR)
Copyright: NDR
Ein Bombenanschlag für 3.000 bis 7.000 Euro und ein Mord für 15.000 bis 25.000 Euro - durchgeführt von Kindern und Jugendlichen: Was klingt, wie die Handlung eines dystopischen Films, ist Realität, Tendenz steigend. Immer häufiger rekrutieren kriminelle Hintermänner junge Menschen für Straftaten.
Für die aufrüttelnde Reportage „Heute Kids, morgen Killer - Rekrutiert fürs Verbrechen“ (ab sofort in der ARD-Mediathek) haben die Filmemacher Mirco Seekamp und Jan Jacke jugendliche Täter ebenso wie Drahtzieher im Hintergrund aufgespürt und befragt.
Ein Mittelsmann beschreibt in dem 45-minütigen Film, bei ihm gebe es „Vergeltungsaktionen, Sprengstoffanschläge, Auftragsmord und Drogentransporte“ zu erwerben. Er sei Bindeglied zwischen seinem Auftraggeber und den jugendlichen Ausführern. Waffen bekäme er von lokalen Waffenhändlern, von denen gebe es in jeder Stadt mehrere. „Heute wurde mir eine Granate angeboten. Ich plane, die nach Deutschland zu bringen“, erklärt er, als gehe es um eine Möbellieferung. In Hannover wolle er sie für 900 Euro verkaufen. Für welches Ziel, verrät er nicht.
Mittelsmann über jugendliche Straftäter: „Du kannst schon Zwölfjährige anpeilen“

Anonym berichten beteiligte Hintermänner von den kriminellen Strukturen. (Bild: NDR)
Copyright: NDR
„Du kannst schon Zwölfjährige anpeilen“, beschreibt der „Mordmakler“ seine ausführenden Kräfte. „Die können alles machen, wirklich alles.“ Für einen Bombenanschlag winken dabei etwa 500 Euro, „eigentlich nicht viel“, wie er kommentiert. Doch den Kindern sei das egal: „Manchmal betteln sie regelrecht darum.“ Von den Taten versprechen sie sich laut Einschätzung des Kriminellen einen Art „kriminellen Abschluss“.
Über Social Media Jugendliche für Gewalttaten zu rekrutieren, sei „so einfach wie eine Pizza zu bestellen“, zeigt er auf. Klar ist auch: Sobald ein Auftrag zugesagt ist, gibt es kein Zurück mehr. Der Mittelsmann verdeutlicht: „Wenn er nicht auftaucht, kriegt er es zehnfach zurück.“ Um das Schicksal der Kinder schere er sich nicht, das sei ihm „egal“: „Das ist nicht mein Problem.“ Ein Rekrutierer, der mit dem Mittelsmann zusammenarbeitet, scheint auch keine Probleme mit seinem Job zu haben. „Solange es Nachfrage gibt, gibt es auch ein Angebot“, ist er sich sicher. „Das ist wie Gift, das wird nicht aufhören.“
In den Niederlanden zeigen Statistiken: Täglich gibt es mehr als vier Explosionen - und die Zahlen steigen weiter. „Wenn du acht Stück in einer Flasche mit Nägeln und Glasscherben hast, ist dein Haus weg“, erläutert der Rekrutierer, wie eine Bombe aus hochexplosiven, illegalen Böllern geschnürt wird. Lockrufe für Jugendliche finden sich in Telegram-Gruppen, als Kommentar auf Instagram formuliert oder via Snapchat. „Hier geht es um Versuchung und Druck“, weiß der einstige Chef von Interpol, Jürgen Stück. Für ihn steht fest: „Ohne Investitionen im sozialen Bereich wird man das Problem nicht zurückdrängen.“
Tarek (19) nahm Ehepaar als Geisel: „Ich war dumm und naiv“
Vielleicht wäre dann auch Tarek (Name geändert) nicht im Gefängnis gelandet. Doch schon als Jugendlicher driftete er in kriminelle Gefilde ab, ehe er an einer brutalen Geiselnahme eines Ehepaares in Köln beteiligt war. „Um mich zu beweisen“, habe er mitgemacht, erinnert er sich in einem Telefongespräch aus dem Gefängnis heraus. „Erst später wurde mir bewusst, wo ich reingeraten bin.“ Das überfallene Ehepaar soll in den Raub von Drogen involviert gewesen sein. Das jedenfalls behauptete der Auftraggeber, der Tarek (damals 19 Jahre alt) rekrutierte.
„Es wurde von keiner Entführung geredet oder dass ich jemanden schlagen muss“, erinnert sich Tarek an den ersten Kontakt. Doch je näher der Tag des Überfalls kam, desto mehr sei verlangt worden: „Ich war dumm und naiv und das haben die ausgenutzt.“ Als er in der Villa des Paares angekommen sei, seien diese bereits im Keller gefesselt gewesen, unbekleidet. „Der Geschädigte war am Bluten“, beschreibt Tarek das Szenario. „Ich war geschockt.“
Jugendlicher Straftäter zeigt sich geläutert: „Ich würde das für kein Geld der Welt mehr machen“
Trotzdem schlug Tarek mit einer Eisenstange zu, bedrohte das Ehepaar mit einer Schusswaffe. „Ich wollte nicht so rüberkommen, ich mache jetzt nichts“, sagt Tarek zu seinen damaligen Beweggründen. „Er hat um sein Leben gebettelt. Das tat mir selbst leid, aber ich konnte nichts machen.“ Der Auftraggeber stachelte die jungen Täter via Handynachrichten an, forderte Videobeweise ein.
„Aus Sicht dieser schwerkriminellen Hintermänner ist es ein Patentrezept: Man selbst tritt nach außen nicht in Erscheinung“, erklärt Tareks Rechtsanwalt Burkhard Benecken. Tarek hat für sein Verbrechen bezahlt, wanderte mehrere Jahre hinter Gitter. Heute bereue er seine Tat „krass“: „Ich würde das für kein Geld der Welt mehr machen.“ Er wolle eine Familie gründen und einen Beruf erlernen, versichert er. Mittlerweile wisse er: „Das Leben draußen ist wichtiger als im Knast.“ (tsch)
