„White Tiger“ soll Kinder zu Suizid getrieben haben. Ein Ex-FBI-Mitglied bemängelt die Verspätung seiner Festnahme.
Kritik an deutschen BehördenVerzögerte Festnahme im Fall „White Tiger“ trotz FBI-Informationen

Trotz FBI-Informationen verzögerten die deutschen Behörden die Festnahme des mutmaßlichen Verbrechers „White Tiger“.
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Nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ hat das FBI den deutschen Behörden bereits im Februar 2023 bei einem Treffen in Hamburg seine Ermittlungsergebnisse im Fall des mutmaßlichen Hamburger Pädokriminellen, der unter dem Pseudonym „White Tiger“ im Internet aktiv war, mitgeteilt. Er soll im Internet Kinder sexuell missbraucht und zu selbstverletzenden Handlungen bis hin zum Suizid getrieben haben. Ein ehemaliger Ermittler der US-Bundespolizei informierte das Landeskriminalamt über die Identität von „White Tiger“.
Zugleich warf er den deutschen Behörden vor, es versäumt zu haben, den damals 17 Jahre alten Verdächtigen zeitnah aus dem Verkehr zu ziehen.
US-Ermittler werfen deutschen Kollegen späte Festnahme vor
„Es hat uns verrückt gemacht, dass wir ihnen all diese Beweismittel geliefert haben und er trotzdem nicht festgenommen wurde“, sagte der Ex-Ermittler dem Magazin. Spätestens im März 2023 habe er den deutschen Kollegen ein Video vom Suizid eines „White Tiger“-Opfers samt Chats zukommen lassen.
Vor rund einem Monat wurde der 20-jährige Tatverdächtige in der elterlichen Wohnung in Hamburg festgenommen – unter anderem wegen des Verdachts auf Mord. Der Deutsch-Iraner befindet sich seither in Untersuchungshaft.
Staatsanwaltschaft bestätigt Treffen mit FBI in Hamburg
Eine Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft bestätigte das von dem Ex-FBI-Mitarbeiter geschilderte Treffen in Hamburg. „Zutreffend ist, dass es am 13.02.2023 ein Arbeitstreffen mit Vertretern des FBI, des LKA Hamburg, des BKA und der Staatsanwaltschaft in Hamburg gab“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Im Zuge dieses Treffens wurde die Klarnamen-Identität von „White Tiger“ durch das FBI benannt.“
Unmittelbar nach dem Treffen sei bei der Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen den Mann eingeleitet worden – zunächst jedoch ausschließlich wegen des Verdachts auf Besitz und Verbreitung kinderpornografischen Materials. Ein hinreichender Verdacht auf Mord oder versuchten Mord, wie er für verdeckte Ermittlungen erforderlich gewesen wäre, habe sich aus den vom FBI übergebenen Unterlagen zunächst nicht ergeben, hieß es.
Konkrete Chats oder das Suizid-Video seien bei dem Treffen im Februar 2023 nicht übergeben worden. „Relevante Chats wurden erst auf Nachfrage des LKA im März 2023 übergeben“, sagte die Sprecherin.
Staatsanwaltschaft verweist auf Komplexität der Taten
Die Sprecherin betonte die besondere Komplexität solcher Verfahren. Beim „Tatvorwurf des Mordes mit zwei hintereinandergeschalteten mittelbaren Täterschaften bedurfte es zureichender tatsächlicher Hinweise dahingehend, dass der Beschuldigte sowohl das Handeln der als „Werkzeug“ agierenden Geschädigten als auch das des Verstorbenen in seinen Händen hielt“, erklärte sie.
„White Tiger“ soll als 17-Jähriger einen damals 13-Jährigen in den USA über das Internet in den Suizid getrieben und sich dabei einer anderen, ebenfalls von ihm über das Netz gequälten Minderjährigen bedient haben.
Zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens hätten entsprechende Hinweise auf die schwerwiegenderen Vorwürfe noch nicht vorgelegen, erklärte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. „Erst durch die akribische Auswertung der Chats und der Screenrecords auf den sichergestellten Datenträgern und nach Vernehmung der Geschädigten konnte ein dringender Tatverdacht des Mordes in mittelbarer Täterschaft begründet werden.“
„White Tiger“ erstmals 2021 mit Polizei in Kontakt
Vor rund sechs Wochen gaben Polizei und Staatsanwaltschaft die Festnahme des 20-jährigen Deutsch-Iraners öffentlich bekannt. Ihm werden unter anderem Mord, versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung, teilweise schwerer sexueller Missbrauch von Kindern sowie der Besitz kinderpornografischen Materials zur Last gelegt.
Der Mann gilt als mutmaßlicher Anführer einer Gruppe von Cyberkriminellen, die aus sexuellen Motiven heraus acht Kinder im Alter zwischen elf und 15 Jahren im Internet dazu gebracht haben sollen, sich selbst Gewalt anzutun. Den Angaben zufolge stammen die betroffenen Kinder aus Deutschland, England, Kanada und den USA – zwei von ihnen aus Hamburg, eines aus Niedersachsen.
Wie erst kürzlich nach Berichten von „Zeit“ und „Hamburger Morgenpost“ bekanntwurde, hatte die Hamburger Polizei bereits 2021 einen Hinweis vom amerikanischen National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC) auf den Tatverdächtigen erhalten. Damals wurden die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Besitz jugendpornografischer Aufnahmen nach Angaben der Staatsanwaltschaft jedoch nach einer Vernehmung des Verdächtigen wegen Geringfügigkeit eingestellt. (dpa)