BundeswehrEine Wehrpflicht 2.0 wäre unbezahlbar

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Boris Pistorius (r, SPD), Verteidigungsminister, fährt im Turm eines Leopard 2A6 mit einem Soldaten des Panzerbataillon 203 der Bundeswehr.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (r, SPD), in einem Leopard-2-Panzer

Der frühere NRW-Verfassungsrichter Michael Bertrams sieht eher finanzielle als rechtliche Hürden für ein Wiederaufleben der Wehrpflicht.

Als im Jahr 1950 der Koreakrieg entbrannte und sich der Ost-West-Konflikt verschärfte, setzte in der jungen Bundesrepublik Deutschland eine leidenschaftliche Debatte über die Wiederbewaffnung Deutschlands ein. Trotz heftiger Proteste von Opposition und Öffentlichkeit sprach sich schließlich die von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) geführte Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP für eine deutsche Wiederbewaffnung und einen europäischen Verteidigungsbeitrag aus.

1955 trat die Bundesrepublik daraufhin der Nato bei, dem Nordatlantischen Verteidigungsbündnis. Daran anknüpfend trat im März 1956 die Wehrverfassung in Kraft. Zu deren Bestimmungen zählt Artikel 87a des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Konsequenterweise folgte der Wehrverfassung im Juli 1956 das Wehrpflichtgesetz, dem zufolge grundsätzlich alle deutschen Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an wehrpflichtig sind.

Michael Bertrams, Präsident des Verfassungsgerichtshofs, verkündet am 30.10.2012 im NRW-Verfassungsgericht in Münster (Nordrhein-Westfalen) ein Urteil

Michael Bertrams als Präsident des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen

Politisch war die Wehrpflicht von Beginn an umstritten. Gerade mit Blick auf die persönliche Freiheit wurde sie von ihren Gegnern kritisch gesehen und bereits die Musterung als eine entwürdigende Prozedur wahrgenommen. Nach über zehnjähriger Diskussion wurde die Wehrpflicht 1968 schließlich in Artikel 12a des Grundgesetzes verankert. Danach „können“ Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.

Die Wehrpflicht ist eine Kann-Regelung

Da es sich bei Artikel 12a ausdrücklich um eine Kann-Regelung handelt, bedarf es für ein Ja oder Nein zur Wehrpflicht keiner Änderung des Grundgesetzes mit Zwei-Drittel-Mehrheit, sondern lediglich einer einfachen Mehrheit des Bundestags.

Das Parlament hat es nach 1968 zunächst bei der allgemeinen Wehrpflicht nach dem Gesetz von 1956 belassen. 55 Jahre nach ihrer Einführung wurde die Wehrpflicht dann jedoch mit Wirkung vom 1. Juli 2011 ausgesetzt und die Einberufung zum Grundwehrdienst gemäß Paragraf  2 des Wehrpflichtgesetzes auf den „Spannungs- oder Verteidigungsfall“ (Artikel 80a und 115a Grundgesetz) beschränkt. Der Grund für diese Aussetzung: Nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands 1989/90 gab es keine ersichtliche Bedrohung der deutschen Sicherheit mehr.

Von Freunden umzingelt

Von „Freunden umzingelt“, war eine allgemeine Wehrpflicht deshalb gesellschaftlich kaum mehr zu rechtfertigen. Außerdem wollte die damalige schwarz-gelbe Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sparen und die Bundeswehr zugleich professionalisieren. Eine große Personalstärke schien von daher nicht mehr erforderlich zu sein. Stattdessen sollte es eine kleinere, auf Auslandseinsätze spezialisierte Armee geben.

Diese Situation hat sich mit dem im Februar 2022 begonnenen und bis heute andauernden völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine grundlegend geändert. Angesichts dieser neuen Bedrohungslage steht jetzt die Frage im Raum, ob die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht erneut eingeführt werden soll. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und CSU-Chef Markus Söder stehen der Idee offen gegenüber. Auch eine deutliche Mehrheit der Deutschen (61 Prozent) spricht sich in einer aktuellen Umfrage des Instituts Ipsos für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Demgegenüber hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der Forderung nach einer Neuauflage der Wehrpflicht eine deutliche Absage erteilt.

Sollstärke derzeit nicht erreicht

Für eine Wiedereinführung spricht zweifellos der Aspekt der Verteidigungsfähigkeit und Schlagkraft der Bundeswehr, die derzeit nicht einmal ihre vorgesehene Sollstärke von 180 000 Soldatinnen und Soldaten hat. Auch die bis 2031 angestrebte Personalstärke von 203 000 dürfte kaum erreichbar sein. Aus Sicht des zuständigen Ministers wäre die Bundeswehr deshalb im Fall eines notwendigen militärischen Einsatzes nicht „kriegstüchtig“.

Zwar hat sich die Bundeswehr in zahlreichen Auslandseinsätzen bewährt. Die Frage, ob sie die Bundesrepublik Deutschland im Ernstfall verteidigen könnte, beantworten jedoch auch der Chef des Bundeswehrverbandes André Wüstner und der frühere Nato-General Egon Ramms mit einem klaren „Nein“. An diesem Befund ändert das von der Ampelregierung bereitgestellte Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ebenso wenig wie der dauerhaft in Aussicht gestellte Verteidigungsetat in Höhe von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes.

Die Gegen-Argumente überwiegen

Meines Erachtens überwiegen gleichwohl auf absehbare Zeit die Argumente gegen eine Neuauflage der Wehrpflicht. So weist die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zu Recht darauf hin, dass vor einer Wiedereinführung der Wehrpflicht Kasernen neu gebaut oder erweitert werden müssten. Außerdem bräuchte es mehr Ausbilder und militärische Ausrüstung. Für die Wiedereinführung der Wehrpflicht und die erneute Ingangsetzung des Systems wären im Übrigen zweistellige Milliardenbeträge erforderlich. Mit ähnlichen Überlegungen hat sich auch die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) gegen eine erneute Wehrpflicht ausgesprochen.

An den von Strack-Zimmermann genannten Bedenken dürfte schließlich auch die Überlegung von Verteidigungsminister Pistorius zu einer etwaigen Übernahme des „schwedischen Wehrpflichtmodells“ scheitern. Es sieht vor, dass im Interesse einer personellen Verstärkung der schwedischen Armee alle jungen Frauen und Männer gemustert, aber nach Möglichkeit nur ein ausgewählter Teil derer, die Interesse an der Armee bekundet haben, am Ende auch zum Grundwehrdienst eingezogen werden.

Dieses Modell wirft nicht nur Fragen der Wehrgerechtigkeit auf, sondern würde auch die Erweiterung von Artikel 12a GG auf eine Wehrpflicht für Frauen erfordern. Unabhängig davon dürfte es jedoch auch zur Umsetzung dieses Modells am notwendigen Geld fehlen. Das legen jedenfalls die Schwerpunkte der Koalition auf der Klima- und Sozial-Politik nahe, die ihrerseits unter den Regierungspartnern und in der Gesellschaft stark umstritten sind. Unter diesen Bedingungen erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass eine Neuauflage der Wehrpflicht die Antwort auf Pistorius' Hinweis zur „Kriegstüchtigkeit“ der Bundeswehr sein wird.

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