Gerhard Schröder wird 80Treffen mit einem seltsam eigensinnigen Mann

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Gerhard Schröder (SPD), Bundeskanzler von 1998 bis 2005, aufgenommen in seiner Kanzlei.

Gerhard Schröder (SPD), Bundeskanzler von 1998 bis 2005, aufgenommen in seiner Kanzlei.

Besuch bei einem Geächteten: Am Sonntag wird Gerhard Schröder 80 Jahre alt. Wäre da nicht die Sache mit Putin, würden an diesem Tag große Reden gehalten werden.

Manchmal wirkt der verstoßene ehemalige Kanzler Gerhard Schröder sogar noch bis in die Alpenregion. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat kürzlich Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem Kurswechsel aufgefordert – wegen eines Lobes aus Hannover. Gerhard Schröder hatte Scholz’ Weigerung gutgeheißen, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu senden. Er wünsche sich einen „Friedenskanzler“, hatte Scholz‘ Vorvorgänger noch angemerkt.

Das war für Söder zweifellos zu viel. „Von Gerhard Schröder gelobt und vereinnahmt zu werden zeigt eindeutig, dass er auf dem falschen Weg ist“, sagte der Franke mit Blick auf den amtierenden Bundeskanzler. Dieses Lob des Verfemten aus Hannover würde er sich als Bundeskanzler verbitten. „Ich finde das richtig, dass ein Bundeskanzler sich um Frieden bemüht. Aber ein Frieden à la Schröder ist schon etwas, wo er sich überlegen sollte, ob er auf dem richtigen Weg ist.“

Von Gerhard Schröder in existenziellen Fragen gelobt zu werden gilt seit Längerem als anstößig. Nicht nur bei führenden Christsozialen. Auch die amtierende SPD-Spitze hält immer weiter auf Abstand zu dem Mann, der bis 2005 gut sieben Jahre im Kanzleramt agierte, danach für Putins Energiewirtschaft arbeitete und seit Beginn der Eskalation des Ukraine-Krieges mit der Großinvasion der russischen Armee am 24. Februar 2022 politisch völlig isoliert ist.

Hier und da hat Schröder, der am 7. April 80 Jahre alt wird, Reporter zu sich gelassen. Er empfängt uns wenige Tage vor seinem Geburtstag in seiner Rechtsanwaltskanzlei gegenüber der Musikhochschule Hannover und mit Blick auf den Stadtwald Eilenriede.

Kein Bruch mit Putin, basta

Wir erleben im längeren Gespräch einen gleichermaßen nachdenklichen wie seltsam eigensinnigen Mann, der von seinen Grundüberzeugungen nicht lassen will – und der dem in großen Teilen der westlichen und östlichen Welt als Kriegsverbrecher geltenden russischen Diktator Putin nicht die Freundschaft aufkündigen will. „Ich halte das, was Russland unter der Führung Putins in der Ukraine begonnen hat, für falsch. Der Krieg ist ein fataler Fehler.“

Aber den völligen Bruch: Nein, so was mache er nicht. Das komme ihm wie Verrat an eigenen Überzeugungen vor. Menschen, mit denen er ein freundschaftliches Verhalten aufgebaut habe, gebe er nicht einfach preis, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Punktum. Oder, wie es wohl früher hieß, basta.

Auch deshalb wird es an diesem 80. Geburtstag keinen Festakt im hannoverschen Rathaus geben, wie man ihn noch vor fünf Jahren zum Fünfundsiebzigsten zelebrierte, als der damalige SPD-Oberbürgermeister Stefan Schostok den damaligen Ehrenbürger Schröder mit Gästen empfing. Die Ehrenbürgerwürde hat Schröder inzwischen abgegeben – wie auch andere Auszeichnungen. Der Versuch seines Ortsvereins, ihn wegen der Nähe zu Putin aus der SPD auszuschließen, klappte indes nicht.

Ich halte das, was Russland unter der Führung Putins in der Ukraine begonnen hat, für falsch. Der Krieg ist ein fataler Fehler.“
Gerhard Schröder

Erst vor Monaten nahm Schröder in einer kleinen Feierstunde eine SPD-Ehrennadel und Urkunde entgegen – für 60-jährige Mitgliedschaft. Und so wird er jetzt kaum dem Rat des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach folgen, der ihn aufforderte, doch endlich freiwillig aus der SPD auszutreten. Nein, er bleibt. Und hält an Putin fest. Man wisse ja nicht, wozu das dereinst noch mal nützlich sein könne, sagt er, der einige Wochen nach Kriegsbeginn mit einem Verhandlungsangebot bei Putin scheiterte.

Der Eigensinn, ein ganz spezifisches, auch merkwürdiges Verständnis von Loyalität habe Gerhard Schröders Verhalten schon immer bestimmt, sagen Menschen, die ihn seit Jahrzehnten kennen. Etwa der frühere niedersächsische Ministerpräsident, spätere SPD-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel.

Der Mann aus Goslar ist einer der wenigen ehemaligen Spitzenpolitiker, die den Kontakt zu Schröder nicht aufgekündigt haben. „Wenn sein Verhältnis zu Russland ein selbstkritisches gewesen wäre, wäre er im Rückblick ein wirklich großer Kanzler gewesen, der viel bewirkt hat. Aber so bleibt das Bild ein zwiespältiges“, sagt Gabriel gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Als Vorsitzender der Atlantikbrücke hält Gabriel eine SPD-interne Aufarbeitung der Ostpolitik, wie sie gerade einige sozialdemokratische Professoren um Heinrich August Winkler fordern, für dringend geboten.

Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder begrüßt am 16. April 2004 vor dem Theater Hannover am Aegi den russischen Präsidenten Wladimir Putin (r). Schröder feierte hier seinen 60. Geburtstag nach.

Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder begrüßt am 16. April 2004 vor dem Theater Hannover am Aegi den russischen Präsidenten Wladimir Putin (r). Schröder feierte hier seinen 60. Geburtstag nach.

Wäre da nicht die Sache mit Putin, würden an Schröders Geburtstag große Reden gehalten werden, sagt Gabriel. Über den Wirtschaftsreformer etwa. Oder über einen Politiker, „der in den 90er-Jahren die SPD aus ihrem Dornröschenschlaf geholt und in die Mitte der Gesellschaft geführt hat“. Oder auch über einen Kanzler, der sein Land in einen Krieg geführt hat (Afghanistan), es aber gemeinsam mit Frankreich vor einem zweiten Krieg bewahrt habe (Irak). „In jedem Fall bleibt ein polarisierendes Bild von Schröder.“

Anarchisches Auftreten

Polarisiert hat Schröder schon immer. Schon zu Beginn seiner Karriere in Niedersachsen 1986, als die Sozialdemokraten nach dem Rückzug des glücklosen Karl Ravens die frühere Bundesministerin Anke Fuchs gegen ihn als SPD-Kandidaten in Stellung bringen wollten. Fuchs verzichtete indes, als sie merkte, dass der ehemalige Juso-Bundesvorsitzende die stärkeren Bataillone an der niedersächsischen Basis auffahren konnte.

Sein immer auch etwas anarchisch anmutendes Auftreten bescherte ihm schon zu Beginn innerhalb der eigenen Reihen große Aufmerksamkeit wie auch Misstrauen in der eigenen Partei. Sein erster Versuch, den über die Grenzen Niedersachsens hinaus bekannten Christdemokraten Ernst Albrecht aus dem Ministerpräsidentenamt in Hannover zu drängen, scheiterte indes 1986 – und aus dem Bonner Bundestagsabgeordneten, der bereits am Gitterzaun des Kanzleramtes gerüttelt hatte, wurde ein ziemlich gnadenloser Oppositionsführer in Hannover. Doch am 13. Mai 1990 liegt die SPD bei der Landtagswahl mit 44,2 Prozent gut 2,2 Punkte vor der CDU – und Schröder löst den seit 1976 im Leineschloss regierenden Ernst Albrecht, den Vater Ursula von der Leyens, ab.

Politische Erfolge

Schröder entschließt sich, mit den damals noch gar nicht so populären Grünen zu koalieren. Schnell zieht er sich den Zorn der Lehrerschaft zu, als er angesichts steigender Schülerzahlen den Lehrenden ein erhöhtes Pensum verordnet. Sein später gegenüber Schülerzeitungsredakteuren hingeworfenes Diktum, nach dem Lehrer ohnehin „faule Säcke“ seien, verfestigt nur eine Front, die über Jahrzehnte Bestand hat. Zu den Errungenschaften einer neuartigen (und vom Kultusminister Rolf Wernstedt vertretenen) Bildungspolitik in Niedersachsen zählt die deutliche Aufwertung der Gesamtschulen. „Niedersachsen war für mich schon eine wichtige Lehrzeit“, sagt Schröder heute im Rückblick. „Politik hat auch Realitäten umzusetzen, die man nicht unmittelbar beeinflussen kann.“

Politik hat auch Realitäten umzusetzen, die man nicht unmittelbar beeinflussen kann.
Gerhard Schröder, Altkanzler

Schon in Niedersachsen schärfte Schröder sein Profil, ein Politiker zu sein, der vor allem die Interessen der Industrie wie auch die in ihr tätigen Arbeitnehmer im Blick hat. Er gibt sich als „Automann“ – ein Image, das sich auch in Kanzlerzeiten hält. Als dem ehemaligen Preussag-Stahlwerk in Salzgitter 1998 die Übernahme durch den österreichischen Konkurrenten Voestalpine droht, entschließt sich Schröder, das Stahlunternehmen zu verstaatlichen und die Anteile an die Börse zu bringen – ein anfangs scharf kritisierter Akt, der sich im Nachhinein aber als richtig erweist.

Die Niedersachsenwahl macht Schröder zum Stimmungstest gegen den SPD-internen Konkurrenten Oskar Lafontaine – und zieht durch. Der damalige SPD-Vorsitzende Lafontaine wird nach dem Sieg bei der Bundestagswahl 1998 erst Bundesfinanzminister, dann nach seinem Rückzug aus dem Ministeramt und der SPD einer der erbittertsten Gegner Schröders.

Neben den wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Reformen (Agenda 2010) wird Schröders Kanzlerschaft vor allem gutgeschrieben, Deutschland aus dem Irak-Krieg herausgehalten zu haben. Dieses habe er in enger Abstimmung mit seinem Freund Jacques Chirac getan, dem damaligen französischen Staatspräsidenten.

„Die Amerikaner haben auf mein Nein gar nicht so rabiat reagiert, wie das zum Teil beschrieben worden ist“, sagt Schröder heute. Rabiater seien da schon die Reaktionen der deutschen Opposition und eines Großteils der Medien gewesen.

Tun und Nichttun

Aber man habe sich, auch durch die zuvor beschlossene Beteiligung am Afghanistan-Einsatz, eine gewisse Souveränität erstritten. Die Beteiligung an diesem Einsatz auch in der eigenen Partei durchzusetzen sei wesentlich schwieriger für ihn gewesen. „Aber wegen der völligen Entrechtung der Frauen in Afghanistan hielt ich diesen Einsatz für unbedingt notwendig“, sagt er in unserem Gespräch. Wesentlich geholfen habe ihm dabei die Argumentation des SPD-Altvorderen Erhard Eppler, dass man auf zweierlei Arten schuldig werden könne – durch das Tun wie auch durch Nichttun.

Nun also bald 80. „An meiner Wiege ist jedenfalls nicht gesungen worden, dass ich als Ladenschwengel zuerst Rechtsanwalt, dann Abgeordneter, Ministerpräsident und zum Schluss Bundeskanzler geworden bin. Das war alles ein ziemlicher Kampf. Ich musste immer das tun, was man nicht tut, wenn man als Teil der bürgerlichen Gesellschaft geboren ist. Auch mein ganzes privates Leben ist so“, sagt Schröder heute. Doch bei all den Brüchen und Neuaufbrüchen in seinem Leben – auch in seinen Ehen – habe er stets viel Glück gehabt, betont der Altkanzler.

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Schönes Wochenende!

„Die Zahl 80 ist indes ein Datum, an dem ich knabbern muss.“ Gewiss, ihm gehe es körperlich gut, er treibe viel Sport, aber stoße zumindest im Geiste auf so eine Grenze, wo man sich die Endlichkeit des eigenen Lebens und Tuns klarmache, sagt Schröder beim Besuch – und blickt ins Weite.

Ob er an den 90. Psalm denke, in dem es heißt, Herr lehre mich bedenken, dass wir sterben, damit wir klug werden? Nein, nein, wehrt Schröder unsere Frage ab. Das sei ihm zu fromm. Er sei zwar Protestant, bleibe aber ein Skeptiker und Zweifelnder. Wenn er das Glaubensbekenntnis eines Skeptikers spreche, dann laute dies so, sagt Schröder und lacht kurz auf:„Herr, so Du bist, behüte meine Seele im Grabe – so denn ich eine habe.“

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