Grünen-Politiker Anton Hofreiter„Mir begegnet mittlerweile eine gewisse Gewaltbereitschaft“

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Anton Hofreiter von den Grünen ist Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. In einer Gesprächssituation gestikuliert er mit den Händen.

Grünen-Politiker Anton Hofreiter (Bündnis90/Die Grünen) im April 2022.

Die Grünen werden zunehmend Ziel von Angriffen. Der Bundestagsabgeordnete und Ex-Fraktionschef Anton Hofreiter berichtet von seinen Erfahrungen.

Am Wochenende konnte Grünen-Chefin Ricrada Lang nur verzögert eine Veranstaltung in Magdeburg verlassen, weil Bauern die Straßen blockierten. Es flogen Eier, protestierende Landwirte setzten Reifen und Tonnen in Brand. Über die allgemeine Gefährdungslage spricht ihr Parteikollege im Interview.

Herr Hofreiter, Grünen-Politiker sind immer öfter Hass und auch physischen Angriffen ausgesetzt. Können Sie mal schildern, wie sich das auf Ihren Alltag auswirkt?

Die wachsende Bedrohung wirkt sich von Region zu Region unterschiedlich auf meinen Alltag aus. Aber in vielen Regionen, in denen ich allein unterwegs bin, muss ich mittlerweile sehr genau schauen, wer mir begegnet und wie. Zwar ist das Verhältnis der unterstützenden Begegnungen zu den aggressiven ungefähr 15 zu 1. Doch was sich verändert hat über die letzten Jahre, ist, dass Menschen nicht mehr sagen „Sie machen falsche Politik“. Es geht in wüste Beschimpfungen über. Und gerade, wenn ich Gruppen begegne, dann gehen diese Beleidigungen wiederum manchmal ins Körperlich-Bedrohliche über. Da begegnet mir eine gewisse Gewaltbereitschaft. Wenn aggressive Menschen dann noch betrunken sind, dann wird es erst recht gefährlich.

Gibt es Gegenden, die auf Sie besonders bedrohlich wirken?

Zur Wiesen-Zeit, also beim Oktoberfest, muss ich den Münchner Hauptbahnhof weiträumig umgehen. Aber die Lage ist in ganz Bayern bedrohlicher geworden, insbesondere seit dem letzten Landtagswahlkampf. Dazu kommen Regionen in anderen Bundesländern, in denen Rechtsradikale stark sind. Das gilt nicht nur, aber schwerpunktmäßig in Ostdeutschland.

Martin Dippe (links), Präsident des Bauernbundes Sachsen-Anhalt, präsentiert der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang am Samstag seine Forderungen am Rande einer Parteiveranstaltung in Magdeburg.

Martin Dippe (links), Präsident des Bauernbundes Sachsen-Anhalt, präsentiert der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang am Samstag seine Forderungen am Rande einer Parteiveranstaltung in Magdeburg.

Sind Sie schon mal attackiert worden?

Bei einer Begegnung war es kurz davor, dass ich dachte, die werden jetzt körperlich.

Bekommen Sie Personenschutz?

Nein, ich bekomme keinen Personenschutz, weil die Bedrohung diffus ist, Leute mich also zufällig in der S-Bahn oder im Bus treffen, etwa bei einem Volksfest oder einem Fußballspiel, und außerdem angetrunken sind. Allerdings kümmert sich die Polizei mittlerweile deutlich besser um unsere Veranstaltungen. Da habe ich punktuell Personenschutz.

Hätten Sie gern mehr Schutz? Oder treffen Sie selbst Vorkehrungen?

Wir sprechen inzwischen alle Veranstaltungen mit der Polizei ab. Da machen wir sehr positive Erfahrungen. Ich würde mir aber wünschen, dass Hasskriminalität in sozialen Netzwerken deutlich stärker verfolgt wird. Wir bräuchten überall gut ausgestattete Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Denn aus Worten werden irgendwann Taten.

Sie sind auch aufgrund Ihrer Frisur leicht erkennbar. Haben Sie mal überlegt, sich zu tarnen?

Nein, wenn man aufgrund dieser latenten Bedrohung anfinge, sich zu verstecken, dann wäre das eine Niederlage. Es sollte sich jeder im Straßenraum so bewegen können, wie er will.

Macht Ihnen die wachsende Bedrohung Angst?

Ich bin kein ängstlicher Typ. Aber mir macht der Zustand unserer Gesellschaft große Sorgen. Und besonders große Sorgen macht mir gerade seit der letzten Landtagswahl, dass Teile der demokratischen Parteien eine Sprache benutzen, die die Gefahr für Menschen, sich demokratisch zu engagieren, massiv erhöht. Ich hatte in Bayern bis zum Landtagswahlkampf gar keine Probleme. Die Zahl der Menschen, die mich aufmuntern, hat sich sogar erhöht. Aber es gibt jetzt eben auch in Bayern Begegnungen, bei denen ich das Gefühl habe: Es braucht nicht mehr viel, und das Gegenüber wird gewalttätig.

Das heißt, Menschen fühlen sich ermuntert.

Ja. Personen oder Gruppen fühlen sich zu aggressivem Verhalten ermuntert, wenn Grüne von Ministerpräsident Söder als Feinde markiert werden, wenn dieser etwa sagt, wir gehörten nicht zu Bayern und seien Insektenfresser – oder wenn er Steffi Lemke mit Margot Honecker vergleicht. Das ist eine Feindmarkierung und darf zwischen demokratischen Mitbewerbern nicht passieren. Es muss klar sein, dass der Graben nicht zwischen den demokratischen Parteien verläuft, sondern zwischen Demokraten und Antidemokraten. Söder verwischt das.

Wie erklären Sie sich, dass Menschen darauf anspringen?

Ich führe das neben der Feindmarkierung auf die wachsenden Spannungen in der Gesellschaft zurück – durch die Pandemie, den Krieg, die Inflation. Schließlich sollte man die jahrelange Straflosigkeit im Netz bei übelsten Hass- und Mordfantasien nicht unterschätzen. Das verschiebt Maßstäbe.

Nun gibt es Leute, die sagen: Das liegt alles nur daran, dass die Ampelkoalition eine so schlechte Politik macht, und die Grünen kriegen das halt ab.

Ich glaube, wer das sagt, der lügt sich selbst etwas in die Tasche. Denn erstens kann man darüber streiten, ob die Ampel tatsächlich eine so schlechte Politik macht. Immerhin ist es zum Beispiel gelungen, die Energieimporte aus Russland ohne schwerwiegende Folgen innerhalb kürzester Zeit zu ersetzen. Zweitens kann es nicht sein, dass ein Dissens über Politik plötzlich als Rechtfertigung für Gewalt gilt.

Sprechen Sie über die Bedrohung mit anderen Politikern?

Ja. Ich spreche mit anderen Betroffenen, die ebenfalls bedroht werden. Ich spreche aber mittlerweile auch sehr offensiv mit den vielen Anständigen in der CSU und sage ihnen: „Macht Euch bewusst, was Euer Ministerpräsident da anrichtet.“

Welche Reaktionen gibt es darauf?

Manchen sind die Folgen gar nicht bewusst. Sie reagieren entsetzt.

Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, die Politik an den Nagel zu hängen, um ungefährdeter leben zu können?

Nein. Aber wir müssen uns als Gesellschaft darum kümmern, dass ein anderer Ton in die Debatte einzieht – und dass die vielen Tausend Kommunalpolitiker ausreichend geschützt werden, auch durch ein anderes Diskussionsklima und die Regulierung der sozialen Netzwerke.

Befürchten Sie, dass mal mehr passiert, dass Politiker verletzt oder getötet werden?

Solang das Hassniveau so hoch ist, besteht immer die Gefahr, dass mehr passiert.

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