JobwunderNeue Stellen bieten sich vielen Beschäftigten – und das kann ein Problem sein

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Beleuchtete Fenster in einem Bremer Bürogebäude.

Beleuchtete Fenster in einem Bremer Bürogebäude.

Wer gut ausgebildet ist, findet derzeit schnell einen neuen Job. Das ist gut für jeden einzelnen – doch für die Gesellschaft nicht immer.

Wann immer es in der Vergangenheit wirtschaftlich bergab ging, folgte fast reflexhaft der Blick auf die Beschäftigungszahlen. Kommt es zu Entlassungen? Steigt die Zahl der Jobsuchen? Droht gar eine Massenarbeitslosigkeit? Das sind die Fragen, die in Deutschland traditionell die Berichterstattung über das Auf und Ab der Konjunktur dominieren.

Die Ursache dafür liegen in der deutschen Geschichte. Mehr als sechs Millionen Deutsche waren in der Weltwirtschaftskrise der späten 1920er- und frühen 1930er-Jahre ohne Arbeit – ein Umstand, der die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zumindest begünstigte.

In den 80er-Jahren führte der Anstieg der Arbeitslosigkeit auf damals unvorstellbare 7,5 Prozent zum Ende der sozialliberalen Koalition und der Regierung Schmidt. In den 90er-Jahren ließ die explodierende Erwerbslosenquote in den neuen Ländern viele Ostdeutsche mit der Einheit hadern. Und in den 2000er-Jahren war es die Zahl von mehr als fünf Millionen Arbeitslosen, die den damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder zu seinen Agenda-Reformen bewog. Unter deren Folgen leidet die SPD bis heute.

Jobs verschwinden, entstehen an anderer Stelle neu

Arbeitslosigkeit gehört zu den Urängsten der Deutschen – und zwar nicht nur für Beschäftigte individuell, sondern auch für das politische System. Nicht ohne Grund hat die Politik sowohl in der Finanz- und Euro-Krise als auch während der Pandemie Milliarden investiert, um die Menschen in Kurzarbeit und damit im Job zu halten.

Inzwischen aber zeigt sich immer deutlicher, dass die Konzepte und Betrachtungsweisen der Vergangenheit für die Gegenwart und vor allem die Zukunft nicht mehr taugen.

Deutschland, Europa und die Welt befinden sich in einem fundamentalen Wandel. Wir erleben nicht weniger als eine komplette Neuerfindung der Art, wie wir wirtschaften. Produktionsweisen werden grün, Arbeitsprozesse digital. Dass bei dieser Umwälzung Jobs verschwinden und anderswo wieder entstehen, ist nicht nur unvermeidbar, sondern geradezu notwendig.

Wer den Job verliert, findet schnell etwas Neues

Und es ist für viele Beschäftigte ein Glück, dass ausgerechnet in den Jahren des Wandels der demografische Wandel voll auf den Arbeitsmarkt durchschlägt. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente, nahezu alle Unternehmen suchen schone heute händeringend nach Mitarbeitern. Wer seinen Job verliert, findet für gewöhnlich schnell etwas Neues.

So günstig die Rahmenbedingungen für jeden Einzelnen sein mögen, so problematisch sind sie für die Gesellschaft. Denn der Personalmangel ist derart groß, dass er selbst die Krise befeuert. Wenn Unternehmen keine Beschäftigten finden, werden sie Produktion einstellen, verlagern und früher oder später ganz abwandern. Damit geht ein Wohlstandsverlust für die Gesamtgesellschaft einher.

Das ist gefährlich, denn wir werden zwar älter, aber nicht weniger. Noch nie haben derart viele Menschen in Deutschland gelebt wie jetzt. Und noch nie standen so vielen Ruheständlern so wenig Beschäftigte gegenüber. Die Versorgung des nicht arbeitenden Teils der Bevölkerung hängt nicht zuletzt davon ab, dass Wirtschaft und Wohlstand weiter wachsen. Verlagerung von Produktion – ob nun wegen hoher Energiepreise oder fehlender Arbeitskräfte ist deshalb eine schlechte Nachricht, auch wenn die Beschäftigten schnell etwas Neues finden.

Der Kampf gegen den Fachkräftemangel muss entschlossener als bisher geführt werden. Die Qualifizierung der verbliebenen Arbeitslosen gehört genauso dazu, die Mobilisierung nicht arbeitender Eltern durch bessere und vor allem verlässlich Betreuungsangebote für Kinder, die Steigerung von Effizienzen durch den Abbau unnötiger Bürokratie sowie ein kluges Konzept für Einwanderung. Nur, wenn wir an all diesen Stellschrauben gleichzeitig drehen, werden wir unseren gesellschaftlichen Wohlstand halten können.

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