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Jürgen Todenhöfer zum Nahost-Konflikt„Der Hass vertieft sich weiter“

4 min

Ein Bild von Trauer und Wut: Bei der israelischen Bombardierung eines Strandes in der Stadt Gaza wurden am Mittwoch vier Kinder getötet.

Herr Todenhöfer, was sehen Sie, wenn sie aus dem Fenster schauen?

Jürgen Todenhöfer: Wir können gerade nicht aus dem Fenster schauen, weil wir alle in Deckung gehen mussten. Kämpfer der Hamas beschießen die israelische Grenzstation, in der wir uns befinden, gerade mit Mörsern. Gestern wurde von den Israelis ein palästinensischer Grenzbeamter getötet. Seither beschießen die sich hier.

Wie nehmen Sie insgesamt die Lage wahr?

Todenhöfer: Ich bin jetzt fast eine Woche in der Region. Zwei Tage in Jerusalem und vier Tage in Gaza. Die Berichterstattung der westlichen Medien entspricht nicht dem, was wir hier erlebt haben.

Jürgen Todenhöfer war von 1972 bis 1990 Bundestagsabgeordneter der CDU. Er ist Publizist und Kenner des Nahen Ostens.

Sondern?

Todenhöfer: Gaza ist unter schwerem Beschuss und nicht Israel. Hamas und der Islamische Dschihad schießen zwar auch auf Israel. Aber erstens verwenden sie weitgehend leichtere Geschosse, zweitens treffen sie äußerst selten. An dem Grenzübergang, wo ich mich jetzt gerade befinde, gab es gestern den ersten Toten auf israelischer Seite. Aber es gibt bereits mehr als 200 Tote auf palästinensischer Seite. 200: 1 – eine grauenvolle Bilanz. Die Krankenhäuser sind überfüllt. Mit Männern, Frauen und mit vielen Kindern.

Sie halten es also für übertrieben, wenn die Israelis sich bedroht fühlen?

Todenhöfer: Nein. Ich habe in Israel drei Mal einen Beschuss aus Gaza erlebt. Auch ich wäre als Israeli beunruhigt, wenn meine Stadt mit großen oder kleinen Geschossen beschossen würde. Aber die werden meistens entweder durch den israelischen „Iron Dome“ in der Luft zerstört oder zerschellen irgendwo. Die Israelis verwenden unvergleichbar schwerere und präzisere Raketen. Wenn die einschlagen, bebt die Erde. Da werden ganze Gebäude dem Erdboden gleich gemacht. Ich will mich hier nicht auf die Frage einlassen, wer mit dem Wahnsinn angefangen hat. Aber das ist hier ein völlig ungleicher Kampf. Die Israelis treffen und zerstören, die Hamas-Geschosse landen meist irgendwo im Umland von Städten und Siedlungen. Aber auch das hat Wirkung: Es verbreitet Angst.

Kann Israel mit diesen Schlägen verhindern, dass die Hamas weiter israelisches Territorium beschießt?

Todenhöfer: Die Wirkung der israelischen Raketen ist etwa 100 Mal so groß wie die der Hamas-Geschosse. Auf diese Weise hat die israelische Armee Hunderte Häuser zerstört, mehr als 200 Palästinenser getötet und weit über 1000 verletzt. Aber sie hat es nicht geschafft, die Hamas von ihrer aus meiner Sicht sinnlosen Ballerei abzubringen. Die Hamas und der Islamische Dschihad schießen weiter...

..und bringen damit immer neue Landsleute in Gefahr.

Todenhöfer: Sie schießen häufig aus Tunnels und von freien, unbewohnten Flächen aus. Ich habe solche Plätze gesehen. Direkt neben unserem Hotel. Diese Plätze nehmen die Israelis dann ebenfalls unter Beschuss. Aber zwei Tage später ist die Hamas mit neuen Raketen wieder an derselben Stelle aktiv. Aber Gaza ist nun einmal das am dichtesten besiedelte Stück Erde der Welt.

Wird ihre Führung denn nicht beeindruckt oder sogar getroffen?

Todenhöfer: Es ist bisher kein einziger führender Vertreter der Hamas getötet worden – außer dem Polizeichef. Mit ihm sind aber 17 weitere Familienmitglieder gestorben. Auch Kinder. Die Spitzen der Hamas gehen hier offen durch die Straßen. Ich hatte Gelegenheit, mit zweien von ihnen auf öffentlichen Plätzen zu sprechen. Militärisch hat Israel sein Ziel, die Hamas in die Knie zu bomben, bisher nicht erreicht. Israel hat zwar einige Hamas-Häuser zerstört. Aber auch viele zivile Nachbargebäude. Und zahlreiche Häuser, die mit Hamas nichts zu tun haben. Zum Beispiel vor wenigen Tagen ein Behindertenheim. Mit zwei getöteten Behinderten und sechs Verletzten. Die wichtigste Wirkung der israelischen Angriffe ist das Leid der Zivilbevölkerung.

Was verändern die neuen Kampfhandlungen im Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern – oder ist das Verhältnis schon so zerrüttet, dass es – zynisch gefragt - auf ein paar Tote mehr nicht mehr ankommt?

Todenhöfer: Für mich kommt es auf jedes einzelne Menschenleben an. Das Leid der Hand voll verletzten Israelis und ihrer Familien berührt mich genauso wie das der unzähligen Palästinenser. Ich finde diesen Krieg von beiden Seiten absolut sinnlos. Und die israelische Kriegsführung völlig unverhältnismäßig und maßlos. Das ist auch nicht gut für Israel. Es gibt so viele Israelis, die keine Anhänger der Politik Netanjahus sind. Sie wollen Frieden und eine Zukunft in Sicherheit. Dieser Krieg aber ist kontraproduktiv – für beide Seiten. Er erreicht nur eins: Der Hass vertieft sich immer weiter.

Israel hat eine Waffenruhe verkündet. Aber die Hamas will sich nicht darauf einlassen. Sehen Sie einen Ausweg?

Todenhöfer: Ich habe Henry Kissinger einmal beim Frühstück nach seiner Lösung für den Palästina-Konflikt gefragt. Er hat mir gesagt: Es gibt keine Lösung für den Palästinakonflikt. Ich befürchte, er hat Recht. Weil einige keine Lösung wollen.

Das Gespräch führte Thomas Kröter