KriegsreporterUkraine führt „rote Zonen“ für Journalisten ein – Ist unabhängige Berichterstattung noch möglich?

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Ein ukrainischer Mehrfachraketenwerfer feuert seine Raketen ab.

Ein ukrainischer Mehrfachraketenwerfer feuert seine Raketen ab. In besonders extremen Kriegsgebieten gelten nun besondere Regeln für Kriegsreporter und -reporterinnen. (Symbolbild)

Mehr als 15.000 Journalistinnen und Journalisten haben sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine akkreditieren lassen. Doch ihre Arbeit wird in Zukunft wohl deutlich schwieriger. Das Kriegsgebiet wurde nach einem Ampelmodell eingeteilt – und in „roten Zonen“ müssen Reporter draußen bleiben.

Neue Regeln für Journalistinnen und Journalisten, die aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine berichten wollen, sorgen für große Kritik am Umgang Kiews mit Medien. Es wird der Vorwurf laut, dass die ukrainische Regierung die Berichterstattung von der Front unmöglich mache. Kiew hingegen sagt, dass die neuen Vorschriften für mehr Sicherheit bei der Berichterstattung sorgen und die Soldaten sowie die lokale Bevölkerung in Kriegsgebieten schützen sollen.

Ampelmodell: Ukrainische Kriegsgebiete für Reporter in grüne, gelbe und rote Zone geteilt

Bereits Ende Februar wurden die Regeln für Berichterstattende im Kriegsgebiet geändert. Demnach müssen die vier militärischen Regionalkommandos in der Ukraine ihr jeweiliges Zuständigkeitsgebiet nach einem Ampelmodell einteilen – in grüne, gelbe und rote Zonen. Journalistinnen und Journalisten haben dann keinen Zutritt mehr zu roten Zonen. In gelben Bereichen dürfen sie ihrer Arbeit nur in Begleitung eines Presseoffiziers oder einer vom Militär beauftragten Person nachgehen. Grüne Zonen sind ohne Einschränkungen betretbar. Seit Ende März setzen die Militärkommandos die neuen Vorschriften um.

Nach Angaben der Militärverwaltung von Donezk sind seitdem 52 Ortschaften in der Ostukraine für die Berichterstattung gesperrt. Auch im Süden der Ukraine gibt es laut dem dort zuständigen Militärkommando zahlreiche rote Zonen: etwa alle Häfen, militärische Objekte, aber auch wiedereroberte Gebiete und Grenzzonen. In diese fällt zum Beispiel die Stadt Snihuriwka in der Region Mykolajiw, die rund 40 Kilometer von der Front entfernt liegt.

Ist Berichterstattung im Krieg in der Ukraine nun „praktisch unmöglich“?

Laut Christian Mihr, Geschäftsführer der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (RSF), seien die neuen Regeln „übertrieben“. Eine Berichterstattung von der Front sei dadurch „praktisch unmöglich“. Die Leiterin des Büros der Organisation für Osteuropa und Zentralasien, Jeanne Cavelier, spricht von einer „unverständlichen“ Entscheidung. „Journalisten wird der Zugang zu bestimmten Gebieten nach eigenem Ermessen verweigert, während eines der Hauptprobleme seit Beginn des Krieges die Verbreitung zuverlässiger Informationen ist, die dank der freien Arbeit der Journalisten gewonnen werden konnten“, sagte sie laut einer Mitteilung.

In die gleiche Richtung schlägt die Kritik von Oxana Romanjuk, Direktorin der ukrainischen Organisation „Institute of Mass Information“ (IMI): „Ich bin sehr überrascht, dass wir die Änderungsanträge einfach als Tatsache hinnehmen müssen. Das kann man kaum als konstruktiven Ansatz bezeichnen.“ Zudem sei die Einteilung der Zonen nicht immer nachvollziehbar. „Es ist unverständlich, wie von der russischen Armee beschossene Städte in den grünen Zonen landen, während einige sehr friedliche Städte als rote Zonen eingestuft werden“, wird Romanjuk von RSF zitiert.

Das Militär spricht vom Schutz von Soldaten, Lokalbevölkerung und Berichterstattenden

Das ukrainische Militär hingegen wiegelt ab: Man wolle nicht die Berichterstattung behindern, sondern die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten „unter Berücksichtigung der Situation und der Bedürfnisse der Armee organisieren“, sagte Natalija Humenjuk, Sprecherin des Militärkommandos Süd, der Nachrichtenagentur „Army Inform“ des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Die Einteilung der Zonen nach dem Ampelmodell solle wöchentlich überprüft werden. Und in „Fällen, die eine sofortige Berichterstattung erfordern“, könne man auch weiterhin Zugang zu den roten Zonen beantragen.

Auch Olexij Danilow, Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine, betont, dass man nichts verberge. Ziel der neuen Regeln sei lediglich der Schutz der Berichterstattenden. Der ukrainische Generalstab führt zudem als Grund an, „dass die Arbeit der Journalisten die Kämpfe und die Sicherheit der Soldaten, der lokalen Bevölkerung und der Journalisten selbst negativ beeinflussen kann“, zitiert die „Tagesschau“ einen Sprecher.

Bereits acht getötete Journalisten seit Kriegsbeginn

Laut „Reporter ohne Grenzen“ sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 bereits acht Journalisten bei ihrer Arbeit getötet worden. 19 weitere wurden verletzt, 50 gerieten unter Beschuss - mehr als die Hälfte davon sei gar gezielt beschossen worden. Laut dem Generalstab der ukrainischen Streitkräfte wurden seit Invasionsbeginn mehr als 15.000 Presseakkreditierungen für Journalistinnen und Journalisten aus rund 70 Ländern ausgestellt.

Gegenüber der „Tagesschau“ aber machte der Reporter Stas Kozliuk, der unter anderem für die „New York Times“ berichtet, deutlich, dass den Journalistinnen und Journalisten das Risiko bewusst sei. „Aber gleichzeitig muss jemand diese Arbeit machen“, wird Kozliuk zitiert. „Jemand muss zeigen, was dort passiert. Deshalb gehen wir dorthin.“ Die Pressefreiheit sehe er insgesamt nicht gefährdet, obwohl er nicht abschätzen könne, ob objektive Berichterstattung von der Front in Zukunft weiter möglich sein werde.

Neben der Einführung des Ampelmodells sehen die neuen Vorschriften für Medien zudem vor, die Dauer von Akkreditierungen zu verkürzen. Wurden diese im vergangenen Jahr noch bis zum 1. Mai 2023 ausgestellt, sollen sie nun lediglich eine Gültigkeit von sechs Monaten haben und müssen dann verlängert werden. Bei einem Verstoß gegen die neuen Regelungen kann die Akkreditierung ausgesetzt oder ganz entzogen werden. Gültig sind die Regeln außerdem nicht nur für Kriegsberichterstatter, sondern auch für Lokalreporter, die über Geschehnisse berichten wollen, die nicht unmittelbar mit dem Krieg in Zusammenhang stehen.

Tatsächlich gehen die Pressevorschriften auch auf Wünsche der Medien nach einer besseren Kommunikation mit dem Militär zurück. Allerdings war deren Idee, dass die roten Zonen lediglich in Ausnahmefällen eingerichtet würden. Das Dekret des Oberbefehlshabers der ukrainischen Streitkräfte über die neuen Regeln für Berichterstattende solle gültig sein, bis das Kriegsrecht in der Ukraine aufgehoben wird.

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