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Russen-Gas
Michael Kretschmers Schielen auf politisch heimatlose Putin-Versteher

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Vorschlag mit Konfliktpotenzial: Michael Kretschmer spricht sich für Gaslieferungen aus der Russischen Föderation aus.

Vorschlag mit Konfliktpotenzial: Michael Kretschmer spricht sich für Gaslieferungen aus der Russischen Föderation aus.

Zur Unzeit plädiert der sächsische Ministerpräsident für künftige Energielieferungen aus Russland – während selbst Trump schwere Sanktionen verhängt.

Er hat es wieder getan, ohne Not: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wirbt in einem Interview für die Wiederbelebung der Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Vor allem denkt er an russisches Erdgas – mit der Einschränkung, erst müsse ein Waffenstillstand her. Und man fragt sich: Warum macht er das, zumal zum jetzigen Zeitpunkt?

Eine Debatte zur Unzeit

Für den CDU-Vorsitzenden und Kanzler Friedrich Merz kommt die Debatte zur Unzeit. Unter großen Schmerzen hat sich die Bundesrepublik von ihrer früheren Abhängigkeit von russischen Energieträgern emanzipiert. Wobei festzustellen bleibt, dass Russland auch über Nacht den Gashahn schloss – als Reaktion auf westliche Sanktionen.

Die Parole „Nie wieder Russland!“ sei falsch, argumentiert der sächsische Regierungschef in seiner Begründung. Ein klassisches Strohmann-Argument, denn niemand hat ernsthaft „Nie wieder Russland!“ gefordert. Was später einmal nach Putin kommt, steht in den Sternen. Vieles ist denkbar, auch was Handel betrifft, zumal als Wiedergutmachung an die Ukraine.

Die aktuellen Sanktionen betreffen indes ein Regime, das schwerster Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen schuldig ist, das sich zudem in einem einseitig erklärten hybriden Krieg mit uns wähnt.

AfD will sich von Kreml-Fixierung befreien

Außerdem kommt Kretschmers Vorstoß zu einer Zeit, in der auch die Trump-Regierung die geradezu verstockte Nichtbereitschaft des Kreml, sich auch nur auf die geringste Abkehr vom Kriegskurs einzulassen, mit Sanktionen gegen die großen russischen Ölkonzerne beantwortet hat. Und jedermann weiß, dass dieser US-Präsident, der Putin eigentlich bewundert, dazu nicht leichten Herzens bereit war. Selbst in der AfD, die viele Beobachter für einen „Kreml-Homunculus“ halten, gibt es offensichtlich Bestrebungen, die einseitige Russland-Fixierung zu überwinden.

Was reitet also Michael Kretschmer, seiner gebeutelten Partei, die sich gerade einen schmerzhaften Generationenkonflikt zum Thema Rente liefert, auch noch diesen Stresstest aufzunötigen?

Kretschmer wirbt offenbar um Russland-Nostalgiker

Das Werben um wirtschaftliche Vernunft dürfte es wohl eher nicht sein. Der Gaspreis liegt in Deutschland für neue Vertragsabschlüsse bei Versorgern derzeit bei um die 9 Cent pro Kilowattstunde – also in etwa auf dem Niveau wie Ende 2021, bevor ihn der russische Aufmarsch in die Höhe trieb. Zudem wird der Gasverbrauch in Deutschland perspektivisch sinken, weil der Anteil erneuerbarer Energien stetig steigt.

Allein der Verlauf des besagten Interviews könnte Aufschluss über die Motivation des CDU-Politikers geben. Er wird nämlich zunächst gar nicht explizit zu Russland gefragt, sondern setzt das Thema selbst – nachdem er sich zuvor über die Stärke der AfD bei den anstehenden ostdeutschen Landtagswahlen und über eine drohende „Deindustrialisierung“ Deutschlands äußerte.

Ein Verdacht drängt sich auf: Möchte Kretschmer um jene hier besonders häufig anzutreffenden Russland-Nostalgiker werben, die – enttäuscht von der zerfallenden Wagenknecht-Partei und einer auf Trump ausgerichteten AfD – eine neue politische Heimat suchen?