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Zeitpunkt für mögliche EskalationMoskau attackiert Pistorius nach Aussagen über Russlands Pläne

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Kremlchef Wladimir Putin (l) spricht während des Gipfels im Palast der Nation mit seinem Sprecher Dmitri Peskow. (Archivbild)

Kremlchef Wladimir Putin (l.) spricht während des Gipfels im Palast der Nation mit seinem Sprecher Dmitri Peskow. (Archivbild)

Boris Pistorius äußert sich erneut zu einem möglichen russischen Angriff auf ein Nato-Land in der Zukunft. Moskau reagiert gleich mehrfach.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat mit Warnungen vor einem möglichen russischen Angriff auf die Nato für scharfe Reaktionen aus Moskau gesorgt. „Militärexperten und Nachrichtendienste können in etwa abschätzen, wann Russland seine Streitkräfte so wiederhergestellt haben wird, dass es in der Lage wäre, einen Angriff auf ein Nato-Mitgliedsland im Osten zu führen“, erklärte der SPD-Politiker in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und fügte hinzu: „Wir haben immer gesagt, das könnte ab 2029 der Fall sein.“

„Jetzt gibt es allerdings andere, die sagen, dies sei schon ab 2028 denkbar, und manche Militärhistoriker meinen sogar, wir hätten schon den letzten Sommer im Frieden gehabt“, führte Pistorius zudem aus und brachte damit einen früheren Zeitpunkt für einen möglichen russischen Angriff auf die Nato ins Spiel. Angesichts dieser Prognose betonte Pistorius zudem das „beachtliche Abschreckungspotential“ der Nato, „konventionell, aber natürlich auch nuklear.“

Moskau reagiert auf Äußerungen von Boris Pistorius

In Moskau kamen die Äußerungen des deutschen Verteidigungsministers offenbar nicht gut an. In mehreren Stellungnahmen versuchte Russland, das 2022 die Ukraine völkerrechtswidrig überfallen hat, eine Darstellung zu etablieren, nach der die eigentliche Gefahr von der Nato ausgehe und nicht von Moskaus Aggression gegenüber seinen Nachbarländern.

„Solche militaristische und kriegsbefürwortende Rhetorik ist zunehmend aus europäischen Hauptstädten zu hören“, zitierten russische Nachrichtenagenturen am Montag etwa Kremlsprecher Dmitri Peskow, der den Berichten zufolge anmerkte, dass Russland „eine Konfrontation mit der Nato nicht befürwortet“.

„Aggressor“: Peskow und Sacharowa attackieren Pistorius

Moskau sei jedoch „gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, um seine eigene Sicherheit und seine Interessen zu gewährleisten“, hieß es demnach weiter vom Kremlsprecher. Auch Maria Sacharowa meldete zu Wort: Es bestehe nun kein Zweifel mehr daran, wer „der Aggressor“ sei, erklärte die russische Außenamtssprecherin.

Noch deutlicher wurden unterdessen einige Abgeordnete der russischen Staatsduma. Dmitri Belik, Mitglied im Ausschuss für Internationale Angelegenheiten, fand gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Novosti scharfe Worte für Pistorius – und versuchte ebenfalls, den Westen als den eigentlichen Aggressor darzustellen.

„Deutschland hat immer von Revanche geträumt“

„Sie hofften, uns mit ukrainischer Hilfe irreparablen Schaden zuzufügen, aber das ist ihnen nicht gelungen, obwohl die ganze Welt der Ukraine geholfen hat“, wurde Belik dort zitiert. „Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg immer von Revanche geträumt, das ist für niemanden eine Neuigkeit, und Pistorius hat dies im Grunde genommen betont“, fügte der russische Politiker an. 

Auch der Vorsitzende des russischen Verteidigungsausschusses, Andrei Kartapalow, kommentierte Pistorius Äußerungen gegenüber RIA. „Sie wissen, dass sie diesen Krieg verlieren werden“, erklärte der Duma-Abgeordnete. „Sie müssen ihren Bürgern nur irgendwie erklären, wofür sie die Steuergelder ausgeben, und sie erklären das alles mit der russischen Bedrohung und dem bevorstehenden Krieg.“

„Wenn sie angreifen, dann werden sie ihre Strafe bekommen“

Der Westen wolle so seine „Fehler“ und „idiotischen Entscheidungen“ rechtfertigen, führte der Politiker aus. „Wir haben nicht vor, gegen sie zu kämpfen, und wir haben auch keinen Grund dazu, aber wenn sie angreifen, dann werden sie ihre Strafe bekommen“, fügte Kartapalow hinzu.

Prognosen wie die jüngste von Pistorius, ab wann ein russischer Angriff auf die Nato denkbar sei, haben seit Kriegsbeginn in der Ukraine immer wieder für Aufsehen gesorgt. Nach Recherchen des WDR gehen die genannten Jahreszahlen vorrangig auf eine Bedrohungsanalyse aus 2023 zurück. Darin hieß es, Russland sei vermutlich in den kommenden drei bis fünf Jahren in der Lage, einen großmaßstäblichen Krieg mit der Nato zu führen, berichtete die „Tagesschau“.

Bedrohungsanalyse: Russland rüstet auf

Demnach wäre nicht 2029 der Zeitrahmen, sondern 2028, was Pistorius jüngste Aussagen erklären könnte. Die Nennung des Jahres 2029 sei darauf zurückzuführen, dass zunächst versehentlich eine Analyse aus dem Vorjahr herangezogen worden sei, kurz bevor Pistorius im Sommer 2024 erstmals einen möglichen Zeitpunkt für eine russische Aggression öffentlich genannt hatte. 

Das Fazit der Analyse gilt davon jedoch als unbetroffen, berichtete der WDR weiter. „Russland ist wohl in den kommenden Jahren nicht nur in der Lage, die personellen und materiellen Verluste in der Ukraine auszugleichen, sondern sogar aufzurüsten“, heißt es dort zum Inhalt der Bedrohungsanalyse, die von der Nato erarbeitet worden sei und die Grundlage für Pistorius Warnungen sein soll.

Nennung konkreter Zeitpunkte gilt als umstritten

Demnach baut Russlands Militär neue Stützpunkte nahe der Nato-Grenze und modernisiert bestehende Anlagen. Außerdem baue Russland Eisenbahnverbindungen auf, um im Kriegsfall ballistische Raketen schnell bereitstellen zu können, heißt es angeblich in der Analyse. 

Eine ballistische Interkontinentalrakete des Typs „Yars“ wird bei einem Test abgefeuert. (Archivbild)

Eine ballistische Interkontinentalrakete des Typs „Yars“ wird bei einem Test abgefeuert. (Archivbild)

Die Nennung konkreter Zeitpunkte, wie nun erneut durch Pistorius, soll bei den Nachrichtendiensten jedoch umstritten sein, berichtete die „Tagesschau“ Ende September. Zum einen, weil es zu viele Variablen und Dynamiken gebe, um seriös auf Jahreszahlen zu verweisen.

Kreml machte Falschangaben zu Angriffsplänen auf Ukraine

Zum anderen, weil die Absichten von Kremlchef Wladimir Putin nicht miteinbezogen würden. Da Putin auf Überraschungen setze, könne man nie genau wissen, ob Russland „nächstes Jahr oder 2029 einen konventionellen Krieg mit der NATO beginnen will“, heißt es in dem Bericht.

Dass Moskau versichert, keinerlei Pläne für einen Angriff auf ein Nato-Land zu haben, hat jedenfalls keine Aussagekraft für eine realistische Einschätzung. Noch kurz vor dem Überfall auf die Ukraine behauptete der Kreml, es gebe keinerlei Pläne, das Nachbarland anzugreifen.

„Wir gehen davon aus, dass sie diesen Krieg fortsetzen wollen“

Seit Kriegsbeginn kommen aus Moskau jedoch immer wieder bedrohliche Töne, insbesondere in Richtung des Baltikums. Zudem beharrt Moskau in Bezug auf die Ukraine auf Bedingungen, die einer Kapitulation gleichkommen – und hat diese noch in der letzten Woche untermauert. Einen Frieden in der Ukraine könne es nur geben, wenn dieser Moskaus Bedingungen und ursprünglichen Zielen entspreche, erklärte Kremlsprecher Peskow.

Warnungen vor einem „großen Krieg“ hatte es derweil zuletzt erneut auch aus dem angegriffenen Land gegeben. „Das Problem ist, dass die russische Rüstungsindustrie ihre Produktion steigert“, schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in der letzten Woche bei X mit Blick auf die Pläne in Moskau.

„Wir gehen davon aus, dass sie diesen Krieg fortsetzen wollen“, hieß es weiter von Selenskyj, der warnte, Europa müsse bis 2029 oder 2030 auf einen „großen Krieg“ vorbereitet sein. „Nach der Lage auf dem Schlachtfeld zu urteilen, will Russland nicht aufhören“, erklärte der Ukrainer und forderte „mehr Druck“ auf Moskau.